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Mengele liebt Musik

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Der Fernsehfilm „Das Mädchenorchester in Auschwitz“, der am vergangenen Sonntag im österreichischen Fernsehen gezeigt wurde, hat Österreichs Öffentlichkeit weniger bewegt als „Holocaust“. Vielleicht hat er bei Menschen, die ihn sahen, gerade deshalb mehr bewirkt, weil die große Polarisierung unterblieb.

„Mädchenorchester“ unterscheidet sich von „Holocaust“ aber auch dadurch, daß dieser Film zwar nichts beschönigt und nichts verschweigt, aber doch die Geschichte von Menschen erzählt, denen das Schrecklichste erspart bleibt und die mit dem Leben davonkommen, wenigstens zum größeren Teil.

„Mädchenorchester“ erzählt eine wahre Geschichte, beruht auf dem Erinnerungsbuch der französischen Sängerin Fania Fėnelon, die Auschwitz überlebte, weil sie eine hervorragende Stimme hatte und als Pianistin ausgebildet war.

Die Vorstellung, daß es sich nicht um eine Hollywood-Erfindung handelt, sondern um eine historische Begebenheit am Rande der Zeitgeschichte, hat etwas Gespenstisches an sich: In der Baracke liegen die kahlgeschorenen, abgemagerten weiblichen Häftlinge. Wer das historische Bildmaterial kennt, weiß an dieser und anderen Stellen des Films sofort, daß hier Ausch- witz-Details wirklichkeitsgetreu nachgebaut wurden.

Eine Aufseherin schreit in den Raum, ob eine die „Butterfly“ singen kann. Fania Fėnelon (Vanessa Redgrave) kann es und gerät so in eine privilegierte Gruppe, in der man nicht vergast und nicht geschlagen wird, sondern vom Morgen bis in die Nacht verbissen Opern und Symphonien probt.

Dirigentin und für die Gruppe verantwortlich ist eine Nichte von Gustav Mahler: historisch! Sie arbeitet hart an der Qualität der Aufführungen - weil Kunst für sie unter jeder äußeren Bedingung eine todernste Sache darstellt, und weil sie weiß, daß das Orchester der SS gefallen muß.

Ein Durchfall vor diesem Publikum könnte für das Orchester Gaskammer und Krematorium bedeuten. Auch das steht in den Memoiren von Fania Fėnelon und wird von anderen Quellen bestätigt.

Der Film verschweigt nichts. Man sieht nicht, wie in „Holocaust“, splitternackte Menschen zur Erschießung antreten, aber man sieht die „Selektion an der Rampe“, sieht, wie der größere Teil der ankommenden Häftlinge in Richtung Gaskammer getrieben wird, man sieht, wie die anderen gedroschen und kahlgeschoren werden, man sieht die Hinrichtung geflüchteter und wieder eingefangener Häftlinge.

Doch dieser Film geht eine Schichte tiefer. Er zeigt das, was Hannah Arendt die „Banalität des Bösen“ genannt hat, er fängt eine Dimension des Schreckens ein, die bislang dem breiten Publikum vorenthalten blieb.

Gerade die Vorurteilslosigkeit, mit der sie SS-Leute hier zeigen, läßt den Zuschauer erschrecken. Sie werden nämlich so gezeigt, wie sie wirklich waren. In der Mehrzahl keineswegs als entmenschte Bestien. Natürlich gab es im Wachpersonal von Auschwitz eine große Zahl von Sadisten. In diesem Film aber wird die „schweigende Mehrheit“ der SS-Leute von Auschwitz gezeigt, die nicht aus Vergnügen dreschen, nicht aus Sadismus Menschen töten, sondern mit gutem Gewissen ihre Pflicht erfüllen.

Am Abend lauschen sie dann zutiefst ergriffen den Klängen deutscher Komponisten und anerkennen die Leistung des Frauenorchesters. Unter ihnen sitzt auch der Lagerarzt Doktor Mengele, der jedem zeitgeschichtlich Interessierten aufgrund seiner unmenschlichen medizinischen Experimente mit Häftlingen bekannt ist. Ein Mann, der sich nach hartem Tagewerk bei guter Musik entspannt.

Doktor Mengele soll noch leben. Der Film „Mädchenorchester“ macht die Unauffälligkeit begreiflich, mit der er und seinesgleichen (Eichmann!) nach dem Krieg weiterlebten.

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