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Mensch im Käfig

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FURCHE: Wie sind Sie mit der heutigen Rezeption Ihrer Bücher zufrieden? Sehen Sie auch allgemeine, politische, gesellschaftliche Entwicklungen dafür verantwortlich, daß sie sich positiv entwickelt hat?

HILSENRATH: Meine ersten Bücher wurden in Deutschland überhaupt nicht akzeptiert. Die Aufnahme des Romans „Nacht“ war katastrophal. Der Verleger war begeistert, aber es gab dann eine Opposition im Verlag, dieses Buch könnte antisemitische Reaktionen haben, weil ich mit der philosemiti-schen Tradition gebrochen hatte. Ich habe die Dinge so beschrieben, wie sie im Ghetto waren, wie sich die Juden gegenseitig zerfleischt haben, als ihnen der Lebensraum abgeschnitten wurde, es geht also um das Verhalten des Menschen in einem Käfig. Es ging mir gar nicht um Juden. Es kam 1964 heraus und ist völlig untergegangen.

Mein großer Erfolg kam erst 13 Jahre später, als ich „Der Nazi und der Friseur“ geschrieben hatte. Ich habe dann noch drei Bücher geschrieben, „Bronskis Geständnis“, das New York aus der Froschperspektive zeigt, „Gib acht, Genosse Mandelbaum“, das ist eigentlich das leichteste Buch, eine Satire über einen russisch-jüdischen Emigranten, der in den freien Westen will. Es hat auch mit Amerika und Sex zu tun, es ist eine Satire auf Kommunismus und Kapitalismus, eine Sexfarce, aber in Wirklichkeit ein politisches Buch, und das kam bei der Kritik sehr schlecht an. Die anderen Bücher kamen sehr gut an, später, als sie dann noch einmal herauskamen.

Und dann schrieb ich einen Satireband, „Zibulsky“, eine Satire auf die Bundesrepublik, Dialoggedichte, eine neue Form. Aber in den sechziger Jahren wollte keiner mehr von dem Thema was wissen, Juden,

Nazis, davon wollte keiner was wissen.

FURCHE: Sperre?

HILSENRATH: Sperre.

FURCHE: Wann hat diese Sperre begonnen?

HILSENRATH: Das weiß ich nicht, denn ich habe ja in Amerika gelebt, schrieb aber deutsch und schickte meine Manuskripte ein, aber das wollte hier keiner.

FURCHE: Aber es erschienen doch immer wieder Bücher über diese Themen?

HILSENRATH: Wenn überhaupt, mußte das eine Schwarzweißmalerei sein, so wie ich das gemacht habe, war es literarisch hier unmöglich, 1973 kam dann „Der Nazi und der Friseur“ raus, den wollte auch anfangs keiner drucken. Dann fand sich ein ganz kleiner Verlag, der das Wagnis unternahm. Es wurde ein Erfolg, da war also die Akzeptanz dann eigentlich schon da.

FURCHE: Haben Sie den Eindruck, daß diese gewissen Blockaden, die sich gegen die Aufarbeitung der Vergangenheit stemmen, nun nachlassen?

HILSENRATH: Ich mache ja die Aufarbeitung nicht so, wie sie andere machen, ich drücke nicht auf die Tränendrüsen, meine Bücher sind satirische Grotesken.

FURCHE: Außer „Nacht“...

HILSENRATH: Auch Nacht hat sehr viel schwarzen Humor.

FURCHE: Nun ja...

HILSENRATH: „Nacht“ ist im Understatement geschrieben, also nicht sentimental. Es ist ein ganz brutales, hartes Buch, aber eher so wie ein Hemingway-Roman geschrieben. Die anderen schreiben entweder zu sentimental, oder zu betroffen, das kann man nicht lesen. Ich bin wahrscheinlich derjenige, der über die Sache am unbefangensten schreiben kann, obwohl ich ja zu den Betroffenen gehöre.

Das Gespräch führte Hellmut Butterweck

Michael Köhlmeier: Mit den Dämonen leben

II URCHE: Sie haben von den Dämonen der Seele gesprochen und gemeint, es wäre besser, wenn diese nicht herauskommen. Wie haben Sie das gemeint?

KÖHLMEIER: Ich müßte es vielleicht so ausdrücken: Man soll sich nicht einbilden, sie je herauszubekommen. Zwischendurch bildet man sich immer wieder ein, man hätte sie herausbekommen - das ist ein sehr gefährlicher Zustand. Ich bin davon überzeugt, daß auch die Dämonen, die zu Auschwitz geführt haben, nicht aus der Seele des Menschen zu verbannen sind, weil sie ein Bestandteil dieser Seele sind und wenn man meint,

man hätte sie herausgejagt, können sie unter der Decke ihr Unwesen treiben. Um es kühn zu sagen: Auch die Aufklärung hat ihren Anteil an Auschwitz, weil sie geglaubt hat, manche Dinge aus der Seele des Menschen verbannen zu können, den Menschen grundsätzlich verändern zu können, und das hat eben dazu geführt, daß sich unter der Decke ein größerer Druck entwickelt.

FURCHE: Das soll aber doch wohl nicht heißen, neue Verbrechen dieser Dimension seien nicht verhinderbar?

KÖHLMEIER: Nein, ich glaube, daß sie verhinderbar sind. Aber sicher nicht dadurch, das man sich einbildet, man hätte diese Dämonen aus der Seele gejagt oder aus ihr verbannt. Ich meine, daß man einfach lernen müßte, mit dieser dunklen Seite der eigenen Seele zu leben, eine andere Möglichkeit haben wir ja eh nicht.

FURCHE: Und sie bei den anderen einzugrenzen?

KÖHLMEIER: Dadurch, daß man sie akzeptiert, werden sie ja vielleicht eingegrenzt.

FURCHE: Die eigenen Wünsche vielleicht, aber nicht das Tun der anderen...? Das Buch macht den Eindruck einer auf die NS-Zeit maßgeschneiderten Metapher, und zugleich ist es ein realistischer Roman. Wieviel ist in diesem Buch eigene Erfahrung? Haben Sie den Präfekten, die Mitschüler, so erlebt?

KÖHLMEIER: Die eigene Erfahrung war die Tat selber.

FURCHE: War diese so arg wie geschildert?

KÖHLMEIER: Ja, ziemlich. Ja, die war schon so arg. Der Mitschüler war eine Woche im Krankenhaus und es ist auch kolportiert worden, daß eine Weile die

Angst umging, daß er stirbt oder die Sprache verliert.

FURCHE: War der Druck im katholischen Internat tatsächlich so arg, wie Sie ihn schildern?

KÖHLMEIER: Ja, er war schon so arg. Aber es ist mir in diesem Roman darauf nicht angekommen. Es ist eine Laborsituation. Es gibt diese Internate ja auch wirklich nicht mehr, und damit hätte sich das Thema erledigt. Aber es ist eine kleine, für den Autor sehr gut handhabbare Welt.

FURCHE: Hatte dieser Roman für Sie selbst eine stärkere Be-freiungsfunktiön als anderes, was Sie geschrieben haben?

KÖHLMEIER: Das glaube ich bestimmt, obwohl man es erst im Abstand von einigen Jahren wirklich sagen kann. Er ist auch bedeutend eruptiver geschrieben, ich habe diesen Roman in fünf Monaten geschrieben, was auch nur möglich ist, weil ich über dieses Thema 25 Jahre lang nachgedacht habe. Es war immer gegenwärtig.

Das Gespräch führte Hellmut Butterweck

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