7040806-1990_16_01.jpg
Digital In Arbeit

Menschen-Pestizid

Werbung
Werbung
Werbung

Der vorübergehende Rücktritt des belgischen Königs Baudouin hat Aufmerksamkeit erregt. Seine Weigerung, die im Parlament be- schlossene Liberalisierung der Abtreibung durch seine Unter- schrift zu sanktionieren, verdient Beachtung. Das Inkrafttreten des Gesetzes hat sie aber nicht ver- hindert.

Weniger Beachtung fand aber eine Abstimmung Anfang März im Europa-Parlament in Straßburg. Sie war wohl als Flankenschutz für die Entscheidung in Belgien ge- dacht: Mit 147 Ja- gegen 60 Nein- Stimmen verabschiedete es eine Entschließung, die den „dringen- den Wunsch" nach einer Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs in allen EG-Ländern äußerte. Jetzt bleibt nur mehr Irland im Visier. Verurteilt wurden Bemühungen, die Abtreibungen wieder zu er- schweren: mit Zwei-Drittel-Mehr- heit. Das sagt genug über den gei- stigen Zustand Westeuropas aus.

Zeichnet sich eine neue Offensive ab? Möglicherweise. Denn auf dem Sektor der Abtreibungstechnik gab es einen beachtlichen „Fortschritt" : Seit Ende 1988 ist in Frankreich das Präparat „RU-486" zugelassen, eine Abtreibungspille auf Hormop- basis. Etienne Baulieu, jener For- scher, der dieses Präparat entwik- kelt hatte, wurde auch prompt im September 1989 mit dem „Lasker- Preis", der nach dem Nobelpreis höchsten Auszeichnung für Arzte bedacht.

RU-486 gilt es, jetzt unter die Leute zu bringen. Noch schreckt Hoechst, deren französische Toch- ter Roussel-Uclaf das Präparat entwickelt hat, vor einer allgemei- nen Einführung zurück, fürchtet das Unternehmen doch einen allge- mein Kaufboykott von Seiten der Abtreibungsgegner. Daher wurde die Zulassung in Frankreich als richtige Show inszeniert: Einfüh- rung auf Antrag von Roussel; Pro- test der Abtreibungsgegner. Rous- sei zieht das Produkt vom Markt zurück. Der Gesundheitsminister interveniert und „zwingt" das Unternehmen zu seinem „Glück".

Ähnlich könnte die Sache auch in anderen Ländern laufen. Zunächst Mobilisierung der Öffentlichkeit mit dem Argument: Schluß mit der blutigen Abtreibung! Was in Bel- gien noch als Argument für das neue Gesetz herhalten mußte (weg mit den Abtreibungen aus düsteren Hinterstuben in die Operationssä- le), ist eigentlich schon passe.

Jetzt wird die „sanfte" Pille pro- pagiert - als Alternative zum Ein- griff: „Diese brutale Prozedur blieb bisher 35.000 Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen woll- ten, erspart. In Frankreich als bis- her einzigem Land haben sie die Freiheit, sich gegen den chir- urgischen Eingriff und für die .Abtreibungspille' RU-486 zu ent- scheiden", macht „Wienerin" (3/ 1990) Werbung für das neue Pro- dukt. Und bei einer Tagung in Ot- tawa im November 1989 forderte die „International PlannedParent- hood Federation" die Regierungen weltweit auf, diese „revolutionäre Entwicklung" zuzulassen.

Man beachte: Die Abtreibungs- pille als Heilmittel gegen die Ab- treibung. Sie sei unblutig und billi- ger. Wer könne da dagegen sein? Die Argumentationskette bleibt diesselbe - auch wenn sie sich ge- gen die derzeitige Praxis wendet: Abtreibung sei ein Faktum. Damit hätten wir uns abzufinden. Es gehe darum, sie möglichst erträglich für die Frau zu gestalten. Daher hieß es früher: Weg von der Stricknadel, hinein in die Klinik. Und heute: Raus aus dem Operationssaal, RU- 486 ins traute Heim!

Übersehen wird dabei geflis- sentlich, daß bei jedem Eingriff ein Kind das Leben verliert und daß dieses Geschehen immer banaler wird. Was in den Abtreibungskli- niken geschieht, eröffnet heute zumindest manchen die Einsicht in die Schrecklichkeit dessen, was da vorgeht. Viele schrecken heute wohl rechtzeitig vor dieser Prozedur zurück. All das wird aber wegfal- len, wenn man die drei für die Abtreibung notwendigen Pillen zu Hause im Nachtkästchen hat.

In einer Fernsehdiskussion mit Baulieu hat der französische Gene- tiker Jeröme Lejeune die Zukunft realistisch beschrieben: „Wenn diese Pille im industriellen Maß- stab erzeugt werden wird, dann wird man auf alle besonderen Rück- sichten vergessen. Dann wird dar- aus eine enorme Gefahr für Frauen, die gesund, aber schwanger sind... An dem Tag, an dem sie sich dann deprimiert fühlen oder wegen der beginnenden Schwangerschaft er- brochen haben oder wegen der viele Schwierigkeiten in ihrem Leben einfach verzagt sind, wer wird dann neben ihnen sein? Niemand.

Sie werden die Nachtkastl-Lade öffnen, die drei Pillen nehmen - und das Kind wird verloren sein... Ich sage es mit dem gebotenen Ernst: Dieses Produkt wird mehr Men- schen töten als Hitler, Mao Tse- tung und Stalin zusammen. RU- 486 ist ein Spezialgift, das erste Pestizid gegen Menschen... Ich plä- diere dafür, daß wir im Land eines Pasteur keinen chemischen Krieg gegen die Kinder beginnen sollten."

Auch wir Österreicher sollten diesen Krieg unterlassen und Ge- sundheitsminister Harald Ettl zum Überdenken seiner Position bewe- gen, die lautet: „Die Ressentiments der Konservativen gegen RU-486 teile ich nicht. Wenn der Antrag reinkommt, werden wir uns sicher nicht gegen eine Zulassung sträu- ben". Aber hier geht es nicht um Ressentiments, sondern um ein Menschengift. Das sollte ein „Ge- sundheits"-Minister doch wissen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung