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Menschen sind wichtiger Vom Sinn zum Unsinn

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Zu Wahlplakaten hört man als Politiker immer die gleichen Reaktionen: nämlich Vorschläge zur bessern Gestaltung, nach einem Sieg die Versicherung, daß es die beste Werbung gewesen sei, und nach einer Niederlage die Mitteilung, daß bei solchen Aussagen nichts anderes herauskommen könne.

Anders verhält es sich bei Plakaten während einer Legislaturperiode. Mit Interesse ist daher zu registrieren, wie die an allen Wiener Ausfallsstraßen affichierte Aussage „Menschen sind wichtiger als Autos“ aufgenommen wird.

Der politische Gegner meint, man wolle den Leuten das Auto wegnehmen, obwohl man selbst einen Dienstwagen habe. Der besorgte Industrielle erkundigt sich, ob eine neue Welle der Maschinenstürmerei bevorstehe. Die an Kreuzungen um ihr Leben bangende ältere Wienerin meint, man hätte noch aggressiver sein sollen, während die Mutter einer kinderreichen Familie die Verbannung des Autos von der Nebenstraße verlangt, um Lebensraum für ihre Kinder zu gewinnen.

Man kann erleben, daß Autofahrer, die ausnahmsweise einmal zu Fuß gehen, sich auf einer Kreuzung über die Rücksichtslosigkeit ihrer auf vier Rädern daherkommenden Mitbürger ärgern, um wenig später die gleiche Verhaltehsweise an den Tag zu legen. Diese Haltung ist ebenso schizophren wie die Behauptung der sozialistischen Autofahrerorganisation, daß das Auto ein Instrument zur Emanzipation bestimmter Gesellschaftsgruppen sei. Dazu muß festgehalten werden: Niemand will das Auto abschäffen - es geht nur darum, das Ausmaß seiner Verwendung zu überdenken.

Was haben wir nicht alles dem Auto geopfert: Straßen, Plätze und Märkte sind nicht mehr Begegnungsorte für Menschen, sondern Austragungsstätten von Aggressionen und falschen Wettbewerbsgelüsten. Die notwendige Muße von Wochenenden oder Urlaubszeit wird durch den eigentümlichen Drang, ein Maximum an Kilometern zu absolvieren, begrenzt. Die Frage des Benzinpreises ist heute von staatspolitischer Bedeutung, und den Hunger in der Welt vergessen wir sofort, wenn irgend jemand die Möglichkeit entdeckt, aus dem in vielen Gebieten der Welt raren Brotgetreide allenfalls Betriebsstoff für unsere Autos zu machen.

Das kann nicht Freiheit und Emanzipation sein, wenn die Lebensfähigkeit des Menschen der Lebensfähigkeit des Automotors untergeordnet wird!

Noch einmal sei es wiederholt: Das Auto wird weiter seine Bedeutung haben. Zur Diskussion steht nur, inwelcher Weise wir unser Leben gestalten, um nicht politische Sklaven der Ölscheichs und geistige Sklaven eines normierten Freizeitverhaltens zu werden. Für Pendler ist das Auto von ebenso großer Bedeutung wie als Transportmittel für die Wirtschaft - aber auf die richtige Zuordnung im Leben kommt es an.

Damit aber beginnen die Probleme. Die Bundeshauptstadt Wien hat zur Zeit der Ersten Republik ein besseres Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln gehabt als heute. Seit Jahrzehnten haben wir einseitig viele Mittel in den Straßenbau gesteckt und den Ausbau von Straßenbahn und Stadtbahn vernachlässigt, Schnellbahn und U-Bahn zu spät gebaut. Zum Glück können wir auf das innerstädtische Verkehrsnetz von Kaisers Zeiten zurückgreifen, wie es etwa in den nächsten Jahren bei der Vorortelinie geschieht.

Noch aber feiert der Tiefbau fröhliche Urständ’. Flötzersteig-Hochlei- stungsschnellstraße und Brigitte- nauer Autobahn, Lobau-Autobahn und Gürtelautobahn - lauter Bedrohungen für Mensch und Natur mitten in der Stadt.

Was wird durch diese Straßen gewonnen? Meistens nur fragliche Minuten, wobei gerade schnelle Straßen neuen Verkehr erzeugen. Wenn man wenigstens konsequent gewesen wäre und im gleichen Ausmaß Parkplätze geschaffen hätte! So aber versucht man, neuen Raum für sich bewegende Autos zu gewinnen, während die geparkten jetzt schon keinen Platz mehr finden. Wir können das Autoproblem, nur lösen, gfvir Möglichkeiten an Stelle des Autos JJfihaff, ęįch, M Sftgt„Pl wegen. Von der Luftverschmutzung, den Verkehrstoten, der seelischen Belastung der Fußgänger im Straßenverkehr, der Kinderfeindlichkeit dieser Entwicklung soll hier gar nicht die Rede sein.

Viel weitergehende Folgen hat die Priorität des Autos gegenüber dem Menschen bereits gehabt. Denken Sie daran, daß Großstädte heute meist durch ein Labyrinth von unter der Erde untergebrachten Lebensflächen ausgezeichnet sind. Die Künstlichkeit des städtischen Lebens ist so weit gediehen, daß man streckenweise gar nicht mehr das Licht des Tages zu erblicken braucht. Eigenartig ist nur, daß diese Passagen meistens auch die Zerfallserscheinungen städtischen Lebens so deutlich zeigen. Von der Verwahrlosung bis zur Kriminalität, von der Aggressivität bis zum Alkoholismus sind dicht beieinander alle Fehlentwicklungen vertreten.

Ober der Erde muß man dem Menschen den Lebensraum wieder gewinnen: durch Fußgängerzonen, verkehrsarme Bereiche, Grünbrük- ken und ähnliches! Würden wir das Auto weniger benützen, hätten wir auch mehr Gelegenheit zu menschlicher Begegnung. Aber dazu sind ja heute Häuser der Begegnung, Kommunikationszentren, Info-Centers und ähnliche - allein schon durch diese Begriffe ausgewiesene - Ungetüme da.

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