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Menschen unter Hammer und Zirkel

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Da harn* wa zu zirkeln", kommentierte die Berliner „Schnauze" einst, als die Regierung der „Deutschen Demokratischen Republik" ihr neues Wappen mit Hammer und Zirkel in die bis dahin gesamtdeutsche schwarz-rot-goldene Fahne einsetzte. Man wollte damit sagen, man werde „zirkeln", ausmessen, herumrechnen müssen, wie man in diesem System werde leben können.

Das war vor fast 30 Jahren. Seit mehr als 20 Jahren schließt die Mauer den Westteil der alten Reichshauptstadt hermetisch von der DDR ab. Und die Menschen, die keine Wahl hatten als dazubleiben, haben sich „ausgezirkelt", wie sie ihr Leben leben können.

Die Grenzpolizistin, die in Bad Schandau das Zugabteil betritt, könnte, der Figur nach, als Walküre in Bayreuth auftreten.

Wie die Vorschrift befiehlt, läßt sie den Koffer öffnen, den Inhalt an einer Seite anheben, ohne mehr als-einen Blick hinein zu werfen. Wie die Vorschrift befiehlt, zieht sie „Presse", „Arbeiterzeitung", „FURCHE" aus dem Gepäcknetz — „Die wollen Sie ja doch nich' in die DDR einführen!" — und klemmt sie unter den Arm. Dann wünscht sie freundlich „einen schönen Aufenthalt in unserer Republik!"

Drei Aha-Erlebnisse schon beim Betreten des Staates unter Hammer und Zirkel:

• Uniformen dominieren das Bild der Bahnhöfe und Straßen, aber ihre Träger vermitteln nicht mehr jene drückende Frontleit-stellenatmosphäre wie noch vor wenigen Jahren.

• Vorschriften regeln das Leben der Menschen dieses Staates von der Zeugung bis zum Grab — aber aus der Schikane von einst, erfunden, um die Menschen in den Griff zu bekommen, ist eine sagenhafte Bürokratie geworden, die vom Amtierenden freundlich — aber streng nach dem Buchstaben — verabreicht, vom Empfänger resignierend zur Kenntnis genommen wird.

• Phrasen dominieren die offizielle Diktion, so sehr, daß der Amtsträger — welcher Ebene immer — gar nicht mehr merkt, wie hohl sie klingen. Da sprudeln nicht nur die Bekenntnisse zu „unserer Republik", sondern ebenso laut auch zum „sozialistischen System", zur „Völkerfreundschaft mit der Sowjetunion" ungebremst über die Lippen — und alle diese Bekenntnisse zerfließen im Nichts, sobald derselbe Amtsträger mit dem Gast unter vier Augen spricht.

Diese Phänomene fallen nur dem Fremden noch auf. Die Menschen, die seit 35 Jahren oder seit ihrer Geburt in der DDR leben, nicken zustimmend, wenn man sie darauf anspricht. Aber sie merken es nicht mehr. Sie sind daran gewöhnt, wie an ein System, mit dem sie sich arrangiert haben, wie sich dieses System mit ihnen arrangiert hat.

Das System — Partei und Regierung (in dieser Rangfolge) — hat die Menschen so im Griff, daß es im einzelnen nachlassen kann. Der Schießbefehl an der Grenze zur Bundesrepublik wurde nicht aufgehoben, aber im Wortlaut den Bestimmungen der bundesdeutschen Grenzpolizei angepaßt, berichtet ein Kommunalpolitiker und SED-Funktionär. Seither hört man weniger von „Republikflüchtlingen". Solche Maßnahmen werden meist nicht amtlich gemeldet; damit erspart sich das Regime den GesichtsverJust, nachgegeben zu haben.

Die Vorherrschaft der „Arbeiterklasse" ist ein für alle Mal festgelegt. Das bedeutet, daß die SED in allen Gremien eine sichere Mehrheit hält, noch verstärkt durch etliche von Gewerkschaftsbund, Frauenbund, Kulturbund nominierte Abgeordnete. Den Rest der Mandate teilen sich die (Ost-)CDU und drei weitere, noch kleinere Parteien auf. Die CDU verfügt über zehn Prozent der Sitze, unverändert und unveränderbar seit der ersten Aufteilung.

Die CDU, früher eher eine Mittelstandspartei, mausert sich mehr und mehr zur Plattform christlich engagierter Bürger, analysiert einer ihrer Mandatare in der „Volkskammer", dem DDR-Parlament.

In keinem andern sozialistischen Staat genieße die Kirche eine so weitgehende, wenn auch streng geregelte Eigenständigkeit wie hier, versichert der Infor-, mant, der neben seiner Berufstätigkeit als Schuldirektor auch noch im Pfarrgemeinderat aktiv ist und nun auf der Friedenstagung der „Berliner Konferenz europäischer Katholiken" die Position seiner Regierung vertritt.

Die CDU-Funktionäre schreiben es ihrer Partei zugute, daß der leidige Streit um die Jugendweihe entschärft wurde: Die Regierung habe das Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus aus der Gelöbnisformel herausgenommen, womit diese auch für Christen annehmbar geworden sei. Das Bekenntnis zur Republik und zum sozialistischen System sei natürlich geblieben.

Nicht nur die junge Journalistin sieht den Gesprächspartner völlig verständnislos an, wenn er fragt, ob sie Wien kenne, ob sie nicht einmal hinkommen werde. Die jungen Menschen im Ostteil Berlins kennen nicht einmal den Westteil ihrer Heimatstadt.

Bulgarien, Rumänien ja, dort trifft man sich mit den Verwandten aus dem Westen. Aber auch in den „Bruderländern" sorgen die „Brüder" für Frustrationen, wenn sie offen fragen, ob „Ost" oder „West" — und rücksichtslos den Besitzer harter Währungen bevorzugen.

„Valuta" ist überhaupt ein Zauberwort. Konsumwaren des höheren Bedarfs gibt es im „Intershop" auf „Valuta". Dort nimmt man Schillinge oder Francs eben-sogerne wie DM, nur nicht die eigene Währung. Mit dieser können Inländer dieselben Waren in eigenen Geschenkläden zum drei-bis vierfachen Preis erstehen. Aber die S-Bahnfahrt kostet auch heute noch 20 Pfennig.

Mit der Devisenknappheit werden die Reisebeschränkungen begründet, die Zwangsumtauschquoten, die Visagebühren, die Schwierigkeiten der Wirtschaft und im Handel mit den „Brüderländern".

Aber die Geburtenziffern steigen, berichtet der Chefarzt der Poliklinik im Neubaugebiet von Marzahn. Nicht nur aus demographischen Gründen, durch das Nachrücken stärkerer Jahrgänge. Immer mehr Frauen nehmen das Pflegejahr nach Geburt eines Kindes in Anspruch, während der Betrieb ihren Lohn weiterzahlt.

Die DDR, vor wenigen Jahren noch am Ende der europäischen Statistik, weist wieder mehr Geburten als Todesfälle auf. Haben die Menschen wieder Hoffnung geschöpft?

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