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Menschenfreund — Weltfreund

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Vor einem Jahr wurden die sterblichen Überreste Franz “Werfeis vom kalifornischen Beverley Hills nach Wien gebracht und auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Anläßlich der Enthüllung des von Frau Anna Mah-ler-Werfel geschaffenen Denkmals am Grabe veranstaltete die österreichische Gesellschaft für Literatur ein mehrtägiges Symposion, das dem Leben und Werk Franz Werfeis gewidmet war. Persönliche Erinnerungen boten Conrad H. Lester, Milan Dubrovic und Friedrich Torberg, zwei Literaturwissenschaftler sprachen über Zeit und Werk des Dichters: Roger Bauer, Paris/München, Eduard Goldstücker, Prag/Brighton. Am letzten Abend lasen Mitglieder des Burgtheaters Proben aus Werfeis Lyrik und Prosa. Prof. Roger Bauer bot in seinem Vortrag „Werfet als Repräsentant seiner Zeit“ einen weitausholenden, umfassenden Kommentar zum Thema.

Franz Werfel, 1890 in Prag geboren, wurde, wie zwei Jahrzehnte vor ihm Hugo von Hofmannsthal, schon als Jüngling durch seine Gedichtbände berühmt. Er begann als expressionistischer Ekstatiker, einer der Glühenden des „Oh-Mensch-Jahrzehnts“. Der Ruhm der Lyrikers — das waren seine vier Gedichtbände bis zum Jahre 1919; sie enthalten seine berühmtesten Gedichte. „Werfel ist nicht ein lyrischer Dichter...“, schrieb damals der Herausgeber der bekanntesten Anthologie des Expressionismus Menschheitsdämmerung. „Das Wesentliche ist, daß hier zum erstenmal im neuen Jahrhundert aus so verzückter Intensität die ethische Posaune ertönt, anschwellend vom zarten, sehnsüchtigen Gesang des Knaben zum prophetischen Furiose des Erzengels.“ Die Rolle des Weltfreundes (so der Titel seines ersten Gediohtfoamdes) hat er als Jüngling von einundzwanzig übernommen und sein Leben lang durchgehalten. (Die erste Auflage des Gedichtbandes von 4000 Exemplaren war nach wenigen Wochen vergriffen.)

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Der Antrieb aller Gedichte Werfeis war: ,.Frömmigkeit“, und ihrer aller Ziel: „Sendung“. Was er im Nachwort zum zweiten Band Wir sind über seine Gedichte sagte, könnte er ebensogut am Ende seiner dichterischen Lebensbahn gesagt haben: „Sie reden in mancherlei Gestalten nur von einem. Von dem permanenten Existenzfoewußtsein, das ist Frömmigkeit“ Sein gesamtes schriftstellerisches Werk wird von jenem Antrieb und von jenem Ziel bestimmt, ob es sich um Gedichte und Erzählungen, um Romane oder Dramen handelt Sie zeigen den Weg eines, der es wagte, die Menschen, ja die Menschheit zu lieben, der als Dichter vor allem wirken und erziehen wollte. Alle Titel seiner Bücher hatten in diesem Sinne Manifest-eharakter, angefangen vom Weltfreund (1911) bis zu seinem Naohlaß-banid Kunde vom irdischen Leben (1945). Es macht geradezu das Kennzeichen des Schriftstellers Franz Werfel aus, etwas bewirkt haben zu wollen. Ja, seine Lebensangst bestand in der Angst vor der Wirkungslosigkeit, wie sein Lebensglück im Glück des Bewirkens.

Seine Gedichte sind nur seilten etwas grundsätzlich Verschiedenes von seiner epischen Prosa. Auch sie ist fast ganz durchwachsen und durchweht von Poesie: Gedichte kommen in den Romanen vor, Gedichte geben sich als Erzählungen aus, es gibt dramatisierte Gedichte, und Dramen sind wie Gedichte gemacht Nur eines hat er nie gekannt, die eigentliche Künstler-Passion, wie sie etwa Franz Kafka, sein Freund, in Zusammenarbeit mit seiner nahezu metaphysischen Unruhe zeitlebens kannte: tiefe, zehrende Angst um das makellose Gelingen des Werkes. Aus der ihm eigenen instinktfrohen Selbstsicherheit heraus erwuchs Werfeis Schaffen in seiner erstaunlichen Fülle und Vielgestaltigkeit — viele hundert Gedichte, drei Dutzend Erzählungen, ein Dutzend dicker Romane, fast zwei Dutzend Dramen,

Opernlibretti und Essays. Er konnte fast alles, woran er sich versuchte. Es war Fülle, es war ein Vielzuviel, was die unverkennbare Ungleich-wertigkeit des Geschaffenen erklärt und die überaus schwankenden Urteile über das Werk. Sein Freund und Mentor Max Brod zählte viele Gedichte Werfeis „zu den Meisterwerken aller Dichtkunst“, bemän-

gelte aber auch „die gelegentlich falschen Töne, die Übertriebenheiten, das allzu Virtuose, die gewollten Naivitäten, die da und dort den rauschenden Strom der Werfeischen Verse aufstauen“. Franz Kafka, durch Brod mit Werfel befreundet, schwankte zwischen Bewunderung und Abneigung, angesichts ihrer geistigen Verwandtschaft und gleichzeitigen Verschiedenheit durchaus verständlich.

Rilke wechselte in seinem Urteil in kurzer Zeit von bewundernder Zuneigung zu vorsichtiger Distanzierung, ja Abwehr. Doch sehr charakteristisch eine Stelle in einem Brief vom September 1913: „Werfel... schafft, wenngleich einsam, so doch aus dem Gemein-Menschlichen heraus mehr als aus der Natur; aber es ist um so erschütternder oft, wie er da ans Elementare kommt, ans fast anorganisch Rücksichtslose, hinaustritt aus der Stube unmittelbar ins All und es erträgt...“ Und einige Monate später schickte er seiner Gönnerin, der Fürstin Thum und Taxis, eine Zeitschrift mit einem Begleitschreiben: „— diesmal um Werfeis willen: es stehen von ihm ein paar wiederum herrliche Gedichte darin...“ Robert Musil lehnte Werfel brüsk ab, reihte ihn unter die „erfolgreichen Schriftsteller“, die „Pseudodichter“ ein, in der Gefolgschaft des „Großschriftstellers“ Arn-heim aus dem ..Mann ohne Eigenschaften“, und nannte Werfeis „moralischen Anspruch“ sogar .konfus und verlogen“. Karl Kraus gehörte anfangs zu den Bewunderern von Werfel und druckte drei Gedichte aus dessen Weltfreund, mit Lob kommentierend, in der „Fackel“ ab. Dann aber kam eis zu jener leidigen Affäre, in der eine rein private Äußerung zu einer mehr als nur literarischen Fehde hochgespielt wurde. Werfeis Mutmaßung, zwischen Sidonie Nädherny von Borutin und Rilke habe eine engere Beziehung bestanden, traf den um die Baroneß leidenschaftlich werbenden Karl Kraus zutiefst Dann war nur noch vom literarischen „Scheinmenschen-thum“ Werfeis die Rede, dem Lyriker, dem „die Gefühle wie geschmiert gehen“. Aus Rache ließ Werfel im Spiegelmenschen (1920) den Wesenlosen mit deutlicher Anspielung auf den Herausgeber der „Fackel“ reden: „Ich will den Stadt-klatsoh zu einem kosmischen Ereignis machen... Ich will mit Kalauer und Pathos so treffend jonglieren, daß jeder, der bei der einen Zeile konstatiert, ich sei ein spaßiger Denunziant und Fürzefänger, bei der nächsten zugeben muß, daß ich doch der leibhaftige Jesaja bin...“ Kraus konterte hart in seiner magischen

Operette Literatur oder Man wird doch da sehen. Er verhöhnte darin Werfel, verschonte auch dessen Vater nicht und machte die „Sohmöcke“ im Cafe „Central“ und „Herrenhof“, die Werfel anschwärmte, lächerlich Der leidige Streit brachte keinem der beiden Beteiligten Ruhm ein und beansprucht heute nur noch sehr beschränktes Interesse. Man schließt dieses Kapitel am besten endgültig mit der nach 1938 versöhnlichen Haltung Werfet und seinem Satz: „Hätte Kraus gleich mir noch die Notwendigkeit der Emigration erlebt, ich wäre zu ihm gereist und hätte mich mit ihm versöhnt“

Keine .grausame Köstlichkeit der Formulierung“ von Karl Kraus hat es je vermocht, Werfeis Werk „abzuwerten“ oder gar zu „vernichten“, (auch wenn es — grauslich genug — in einem Zeitungsreferat dieser Tage so zu lesen stand). In den zwanziger Jahren hatte sich Werfel vom Expressionismus abgewandt, wenngleich in seiner Epik und Dramatik, welche die Lyrik ablösten, noch expressionistische Elemente fortwirkten. Sein expressionistisches Werk ist, bis auf einige wundervolle Gedichte, nur noah von historischer Bedeutung. Von den Bühnenwerken brachte ihm bloß die Komödie einer Tragikomödie Jakobowsky und der Oberst Erfolg. Den Stoff dazu hatte Werfel seiner Flucht vor den deutschen Truppen kreuz und quer durch Frankreich abgewonnen. Sein Ruhm als Epiker begann bald nach seinem Tode zu schwinden. Kafka, Broch Musil überflügelten ihn. Werfel blieb als Erzähler in traditionellen Bahnen, ausgezeichnet durch Phantasie und Begabung für Menschengestaltung. Die Errungenschaften der modernen Romantechnik kümmerten ihn nicht. Er wollte fabulieren, seine Leser unterhalten — nicht anders als Thomas Mann, aber ohne dessen Verpflichtung zur Form. Der Vorwurf von Karl Kraus, Werfel dichte nicht mit, sondern aus der Sprache, trifft auf den Epiker Werfel zu. Aber das gilt auch für Dik-kens, Balzac, Stendhal, Dostojewskij, Tolstoj und andere.

Der nach dem Prager Frühling ins

Wie Verdi, Roman der Oper, als Huldigung für den hochgeschätzten Musiker (als Antipoden Wagners) zu gelten hat, so verkörpert die böhmische Magd in Barbara oder Die Frömmigkeit die Erinnerung und Huldigung an die Heimat, an Werfeis Kindesmagd Babi, mit dem ergreifenden Aufruf: „O Land der Mitte, Zwei-Völkerland, Drei-Völkerland,

Böhmerland!... Deiner Stämme Zahl, Deutsche, Slawen, Hebräer, umarmt einander in inbrünstiger Feindschaft Aber vielleicht sieht Gott nur die Umarmung und nicht die Feindschaft. Land der unendlich blühenden Saatfelder, Land der gierigen Industrien, Land grobschlächtiger Leiber, Land der entschwebenden Geister.“ Auch im Veruntreuten Himmel ist die Hauptgestalt des Romans, die Magd Teta Linek, aus dem Stamm der tschechischen Dienstboten. Werfel liebte als Ro-manheldinnen die warmherzigen, frommen, kirchengläubigen Frauen.

Friedrich Torberg brachte wohl den schönsten Beitrag der Veranstaltung, als er seine in New York gehaltene „Gedenkrede auf Werfel“ las. Der junge Torberg war Werfel besonders nahegestanden, hatte ihn noch nach dessen schweren Herzanfall aufzuheitern gesucht und sich mit Alma in die Nachtwachen geteilt. Torberg machte auch nachdrücklich auf den letzten Roman „Stern der Ungeborenen“ aufmerksam.

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Das Vorwort zum Lied von Bernadette enthält Werfeis Bekenntnis: „Der Verfasser ist ein christlicher Jude. Er ist trotzdem ein umgetaufter Jude“, und dazu gleich die Begründung: „Auf der Existenz und Zeugensohaft Israels beruht geheimnisvoll ein Teil der Wirklichkeit des Christentums.“ Werfeis Gläubigkeit und Frömmigkeit war aufrichtig und echt, auch wenn Thomas Mann verständnislos von einem .Liebäugeln“ >Werfels mit der katholischen Kirche sprach. Dagegen Werfeis eindeutige Feststellung: „Mein mystischer, und ich kann wohl sagen katholischer Glaube ist das Knochengerüst meiner Gedichte und meines epischen und dramatischen Schaffens.“

Im Verlauf des Symposions wurde des öfteren beklagt, daß Werfel fast „vergessen“ sei. Für einen Teil seines Werkes trifft das gewiß zu. Unvergessen aber blieb der Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh, dem Heldenkampf des armenischen Volkes gegen die Türken gewidmet. Das Buch erschien in armenischer Übersetzung in einer Auflage von 500.000 Exemplaren, die in wenigen Tagen vergriffen waren. Die Armenier gedenken Franz Werfeis nur in höchster Wertschätzung und betrachten sein Werk als ihr Nationalepos. Für einen größeren Leserkreis erst noch zu entdecken gilt sein letztes Werk Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Zwei Tage nach Vollendung des Manuskripts ist Werfel im August 1945 gestorben. Mit diesem Roman hat Werfel sich über sein Gesamtwerk erhoben: das Buch ist mehr als jede andere Arbeit als sein

dichterisches und gedankliches Testament zu betrachten. Zwischen 1943 und 1945 war Franz Werfel seiner Zeit weit vorausgeeilt: hier sein „Vermächtnis an die Nachgeborenen“, das diese erst noch zu erreichen hätte...

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„So lebendig kann Franz Werfel sein!“ stellte der Leiter und Initiator des Symposions, Wolfgang Kraus, am Ende des Vortrages von Prof. Roger Bauer fest. Aber der Ausruf gebührt allen Beiträgen: den drei zu Wort gekommenen Freunden Franz Werfeis, die in ihren lebhaften Erinnerungen die Faszination, die von dem Welt- und Menschenfreund ausgegangen sein mußte, lebendig werden ließ, nicht minder den beiden gelehrten Vorträgen wie der eindrucksvollen Lesung aus der Lyrik und Epik Werfeis durch die beiden Mitglieder des Burgtheaters: Annemarie Düringer und Joachim Bissmeier.

Werfel vergessen? An fünf Nachmittagen und Abenden war der große Saal der österreichischen Gesellschaft für Literatur in Palais Palffy bis auf den letzten Platz gefüllt.

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