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Menschenrechte gelten nicht für Kurden

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Für die Respektierung der Rechte ihrer Volksgenossen in Griechenland und Bulgarien setzt sich die Türkei stets vehement ein, die Minderheiten im eigenen Land leiden jedoch seit Jahrzehnten unter einem viel härteren Los. Das Schicksal der Kurden ist das beste Beispiel für diese moralische Doppelbödigkeit.

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Für die Respektierung der Rechte ihrer Volksgenossen in Griechenland und Bulgarien setzt sich die Türkei stets vehement ein, die Minderheiten im eigenen Land leiden jedoch seit Jahrzehnten unter einem viel härteren Los. Das Schicksal der Kurden ist das beste Beispiel für diese moralische Doppelbödigkeit.

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Die Unterdrückung der Kurden ist so alt wie der Staat selbst, dessen Gründer Mustafa Kemal (Atatürk) ihn kulturell an den Westen anzubinden versuchte. Den politischen Anschluß vollzogen seine Erben: 1952 trat die Türkei der NATO bei, und vor zwei Jahren wurde die Aufnahme in die EG beantragt. Bei der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte vermißt man dagegen das Einschlagen des westlichen Weges.

Für die Kurden bedeutet dies einen Kampf um das kulturelle, politische und wirtschaftliche Überleben. Von den Bündnispartnern der Türkei haben sie außer zaghaften und deshalb erfolglosen Protesten keine Hilfe zu erwarten, im Gegenteil: Von den USA finanzierte Kampfflugzeuge und unzählige NATO-Militärbasen im Südosten des Landes finden auch bei der Unterdrückung der Kurden Verwendung.

Vergessen ist schon seit langem, daß dieses Volk einen nicht unwichtigen Beitrag zur Gründung der Republik vor 68 Jahren lieferte, denn die Kurden bildeten von 1919-23 mit den Türken eine gemeinsame Front. Atatürk hatte ihnen dafür - vage formulierte - nationale Rechte versprochen und mit Erfolg an die muslimische Brüderschaft appelliert.

Der Dank blieb den kurdischen Mitstreitern aber versagt, auch von der internationalen Politik. Während ihnen im Vertrag von Sevres 1920 noch Autonomie und spätere Unabhängigkeit in Aussicht gestellt wurde, war im Vertrag von Lausanne 1923 davon keine Rede mehr. Dadurch bestärkt, errichtete die Türkei den neuen Staat auf der Basis eines rigiden Nationalismus. Dessen verheerendste Frucht war der Mythos von der Türkei als dem Land eines einzigen Volkes, der die Kurden zu „Bergtürken" und ihre Sprache zu einem türkischen Dialekt degradierte. Die Negierung der Existenz eines kurdischen Volkes gehörte bis vor kurzem zur offiziellen türkischen Politik.

In den anderen Staaten mit kurdischer Bevölkerung - im Irak und Iran, in Syrien und der Sowjetunion - war diese zumindest als eigene Ethnie anerkannt, auch wenn sie dort ebenfalls um viele Rechte kämpfen muß. Die Kurden in der Türkei hatten und haben angesichts der vielfältigen Formen der Verfolgung und Unterdrückung immer das schwierigste Los. Nur die gänzliche Vertreibung, wie die der zwei Millionen Griechen, und die genozidartige Auslöschung, wie die der Armenier in der Türkei, blieben ihnen erspart. Für solche Maßnahmen war die kurdische Bevölkerung zu groß. Doch ansonsten blieb ihr an Leid nichts erspart.

Den Auftakt machte ein Dekret im Jahr 1924 mit dem Verbot kurdischer Schulen, Vereinigungen und Publikationen. Jegliches Bekenntnis zur kurdischen Identität, etwa die Pflege der eigenen Sprache und des traditionellen Brauchtums, wurde mit schärfsten Strafen vergolten. Die kulturelle Unterdrückung ging mit der physischen einher, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Jahr für Jahr berichten Menschenrechtsorganisationen von Folter, Verschleppung, Vertreibung und Mord, sogar von der wiederholten Zerstörung ganzer Dörfer.

Dem gesellt sich noch die wirtschaftliche Ausbeutung hinzu, indem die feudalistischen Verhältnisse im agrarischen Südosten der Türkei bewußt aufrechterhalten blieben. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während ein Sechstel der Grundeigentümer drei Viertel des Bodens besitzt, fristen fast vierzig Prozent der Kurden in der Türkei als landlose Bauern ihr tristes Dasein. Als Entwicklungsprojekte bezeichnete Vorhaben, wie zum Beispiel der Bau des Atatürk-Staudammes, ändern nichts daran.

Der Widerstand gegen das türkische Joch ließ nicht lange auf sich warten. Dem ersten Aufstand im Jahr 1925 folgten bis 1939 weitere Revolten mit den führenden Geschlechtern der kurdischen Stammesgesellschaft an der Spitze. Die blutigen Niederlagen machten jedoch in der Folge einen Wechsel der Strategie notwendig. An Stelle des offenen Kampfes trat die bis heute praktizierte Guerillataktik. Zudem wurden nun Bürgerliche und Intellektuelle zu den neuen Trägem des kurdischen Widerstandes, der sich in Form von mehr als zwanzig im Untergrund arbeitenden Parteien beziehungsweise Befreiungsbewegungen, fast durchweg von linken Ideologien geprägt, konstituiert hat. Am militantesten ist die 1978 von Abdullah öcalan gegründete, dem Marxismus-Leninismus verschriebene Kurdische Arbeiterpartei (PKK). Ihre Peshmergas kämpfen seit sieben Jahren für einen eigenen Kurdenstaat, wodurch sie sich von vielen anderen Gruppierungen in der Türkei, aber auch von den prominenten irakischen Kurdenführern Jalal Talabani und Massud Barzani unterscheiden, die sich eine Autonomie innerhalb der Ländergrenzen zum Ziel gesetzt haben.

Die Angriffe der PKK, die der Türkei 1984offen den Krieg angesagt hat, gelten Stützpunkten der Polizei, der Armee und der weitverbreiteten paramilitärischen Einheiten. Zwar verfügt sie über Kommandos in der Türkei, viele Einsätze nehmen jedoch vom Nordosten des Iraks ihren Ausgang. Seit Jahren operiert deshalb das türkische Militär auch jenseits der irakischen Grenze - in Abstimmung mit Saddam Hussein. Luftangriffen und einer Bodenoffensive im vergangenen Monat fielen wieder vor allem kurdische Zivilisten zum Opfer. Zur gleichen Zeit setzte der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz Talabani und Barzani unter Druck, mit der PKK auf ihrem Territorium „aufzuräumen". Die Fronten verlaufen ebenso zwischen den Kurdengruppierungen, mit dem Ergebnis, daß anscheinend Teile der PKK zunehmend radikalisiert und damit erstmals auch Unbeteiligte in den Kampf hineingezogen werden. Die Entführung von zehn deutschen Touristen in der Osttürkei, sowie die vermutlich ebenfalls von einer PKK-Untergruppe gekidnappten fünf Archäologen, die bislang nicht freikamen, sind ein Indiz für diese Entwicklung, von der sich sogar die PKK-Führung distanziert. Dies kann ein Anzeichen für einen Richtungsstreit innerhalb der Kurdischen Arbeiterpartei sein.

Die Unnachgiebigkeit der türkischen Regierung ist in dieser Auseinandersetzung Wasser auf die Mühlen der Radikalen, denn Liberalisierungsparolen hinsichtlich der Kurdenfrage entpuppten sich stets als leere Worte. So wurde etwa das Verbot der kurdischen Sprache aufgehoben, jedoch nur für den privaten Bereich, da „keine echte kurdische Sprache", sondern „nur Dialekte, Stammessprachen" existieren, so Staatspräsident Turgutözal erst vor einem halben Jahr.

Solchen Lippenbekenntnissen stehen die zeitweilige Außerkraftsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Anwendung von „Anti-Terror-Maßnahmen" gegenüber, die Polizei- und Militärwillkür legalisieren. Mit dieser Politik verschärft die Türkei den nationalistischen und separatistischen Kampf der Kurden. Der Westen, auch die UNO und die KSZE, zu deren Unterzeichner der Helsinker Schlußakte die Türkei zählt, begnügt sich in der Rolle des beobachtenden Zaungastes. Meist werden sogar vor den permanenten Menschenrechtsverletzungen die Augen verschlossen.

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