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Digital In Arbeit

Menschlich handeln im eigenen Büro

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„Wie sollen wir Menschlichkeit praktizieren, wenn wir kalkulieren und wirtschaftlich handeln müsseh?“, klagen Unternehmer. Tatsächlich ein unauflösbarer Widerspruch?

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„Wie sollen wir Menschlichkeit praktizieren, wenn wir kalkulieren und wirtschaftlich handeln müsseh?“, klagen Unternehmer. Tatsächlich ein unauflösbarer Widerspruch?

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Im Blick auf das Wirtschaftsleben von heute gibt es ein weitverbreitetes Unbehagen. Zugespitzt könnte man fragen: „Verkommt darin allmählich die Moral?“

Beispiele dafür häufen sich: So mancher Unternehmer oder Bankmagnat hat seine „weiße Weste“ verloren. Andere tragen eine, die „mit allen Wassern“ gewaschen ist. Kurzum, zahlreiche mehr oder weniger große Skandale und Affären — vorwiegend in Wirtschaft und Politik — verstärken dieses Gefühl. Christen — stehen sie im Wirtschaftsleben -sieht man offensichtlich gar nicht mehr an, daß sie welche sind. Und — es herrscht Unsicherheit darüber, warum das so ist.

Unsere moderne Leistungsund Konsumgesellschaft hat alle Grenzen des Anstandes zersetzt, argumentieren die einen. Der Mensch wird zunehmend nur als reibungslos funktionierendes Element in der betrieblichen Kalkulation gesehen, klagen die anderen.

„Wie sollen wir Menschlichkeit praktizieren, wenn wir rechnen müssen, wirtschaftlich sein sollen?“ kontern beispielsweise Unternehmer. Schließlich gelte es, den Fortbestand eines Betriebes zu sichern. Da auch menschlich und sozial agieren zu müssen oder zu sollen, verstoße ja förmlich gegen das Gesetz der Wirtschaftlichkeit.

Abseits dieser Kontroversen häufen sich indessen die Klagen der Mitarbeiter, Kollegen, Manager und Betriebsherren. Sie fühlen sich vom jeweils anderen mißverstanden oder ungerecht behandelt. Der Chef (Vorgesetzte) verhält sich wie ein „Ober-tan“ im Sinne von Karl Kraus, unfähig, sich auf das betriebliche Gegenüber einzustellen. Die Kollegen, so heißt es, üben sich auch lieber in bissigem Zynismus, Ungeduld oder Sprachlosigkeit. Dabei verkünden Firmen oft recht stolz, bereits die Träger eines neuen Zeitgeistes zu sein. „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“, heißt es.

Das mag auch durchaus so sein. Daß dieses Denken allerdings noch nicht sehr weit verbreitet ist, zeigt beispielsweise ein Blick auf die (österreichischen) Stellenangebote.

Was zählt und was gesucht wird, sind meist noch immer nur die sachlich-fachlichen Qualitäten eines Mitarbeiters, geordnet nach ökonomischen Gesichtspunkten. Und wer die gewünschte Leistung erbringt, dem werden Geldprämien, der Sprung in höhere Etagen der betrieblichen Hierarchie und ähnliches in Aussicht gestellt.

Viele meinen nun angesichts der eingangs erwähnten Skandale, Klagen, einer für viele bedrük-kenden Situation in der Arbeitswelt — es muß eine neue Wirtschaftsethik her. Die Mängel, Widersprüche und Unzulänglichkeiten unserer Wirtschaftsordnung müssen mit den Geboten und Prinzipien einer neuen Ethik aufgehoben beziehungsweise beseitigt werden.

Eine Forderung, die zu bejahen ist. Aber wer sie will, muß konstruktive Gesellschaftskritik üben. Er muß sich — wie das in der Katholischen Soziallehre schon lange geschieht — um andere, bessere Wegweiser für die Akteure des Wirtschaftsleben bemühen. Denk- und Verhaltensweisen müssen entwickelt werden, die die gewünschten menschlichen Tendenzen auch schaffen und fördern. Vertrauen beispielsweise oder partnerschaftliches Denken.

Und da scheint es, als ob vor lauter Wald die Bäume nicht mehr auffallen. Die lauten Rufe nach Ordnungspolitik und Wirtschaftsethik lassen vergessen, wie sehr „Ethik“ zunächst eigentlich den persönlichen Umgang miteinander bestimmen müßte. So wie der Friede im eigenen Haus beginnt, setzt menschenwürdiges Wirtschaften im eigenen Büro an.

Ein „neuer Mensch“ zu werden, dazu ist jeder aufgerufen. Aber dieser wird nicht das Produkt neuer Systemkohstruktionen sein können; eine menschenwürdige Wirtschaftsgesellschaft wird nicht bloß mit Hilfe ordnungspolitischer Entscheidungen entstehen. An „der Basis“ muß ernstgenommen und glaubhaft gemacht werden, was den Umgang miteinander humaner macht. Da lassen sich auch wirkliche Korrektive gegen die Rauhheit des Betriebslebens finden.

Zum Beispiel, indem man nicht vergißt, daß man es mit Menschen zu tun hat und etwa folgendes überlegt: Vielleicht will ein Chef, ein Kollege eigentlich fair und gerecht sein. Seine Arroganz oder Ungerechtigkeit ist in Wirklichkeit nur ein Schutzmechanismus, um den anderen auf Distanz zu halten. Vielleicht ist es gar nicht so sehr, wie vermutet, nur Egoismus oder Instinktlosigkeit.

Oder: Wer sich gerne selbst über den anderen stellt und ihn das auch spüren läßt, tut das unter Umständen „nur“, um sich auf diese Art Respekt zu verschaffen.

Das alles heißt natürlich nicht, daß jedes Fehlverhalten auf solche kleinen, „verstehbaren“ Schwächen reduziert werden kann und soll. Aber diesen Schwächen mit ein bißchen mehr Leichtigkeit durch Heiterkeit, Menschenfreundlichkeit, sanfter Ironie (Schadenfreude?) entgegenzutreten, ist eine solche Möglichkeit für alle Beteiligten, das Miteinander erträglicher zu machen. Und — es ist vor allem kein Problem, trotzdem einen Betrieb nicht zur „Sozialanstalt“ zu machen.

Es ist also durchaus möglich, Menschlichkeit, soziales Verhalten und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen. Der Anfang dafür ist ja allen zugänglich; er hegt in uns selbst.

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