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Menschliche und politische Tragödie

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Zwischen dem Frieden mit Ägypten und dem Libanon-Debakel erfüllte sich Menachem Begins politische Sendung. In welcher Rolle wird dieser Politiker Israel und der Welt in Erinnerung bleiben?

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Zwischen dem Frieden mit Ägypten und dem Libanon-Debakel erfüllte sich Menachem Begins politische Sendung. In welcher Rolle wird dieser Politiker Israel und der Welt in Erinnerung bleiben?

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Kurz vor seinem Wahlsieg im Mai 1977 saß Menachem Begin noch mit einer Angina pectoris im Krankenhaus. Kaum war er seines Sieges sicher, wurde er mit einem Schlag der alte Begin, der wieder schwungvolle Reden hielt.

Als Israels Ministerpräsident Menachem Begin sechs Jahre da-

nach kundgab: „Ich habe keine Kraft mehr zum Regieren”, hatte zum einen die Krankheit wieder die Uberhand gewonnen und zum anderen taten politische Enttäuschungen das ihre. Begin magerte sichtlich ab, er litt unter Müdigkeitserscheinungen und konnte seinen Regierungsfunktionen kaum mehr als vier bis fünf Stunden am Tag nachkommen. Der siebzigjährige Begin war am Ende seines Weges.

Und wenn er seine offizielle Demission hinausschob, so nur, um seinen Parteifreunden die Möglichkeit zur Bildung einer neuen Regierungskoalition zu^eben.

Wie wird Menachem Begin in die Geschichte eingehen?

Zwei hervorstechende Ereignisse kennzeichnen seine Amtszeit: das weitaus wichtigste war am Anfang dieses Zeitraums, als es ihm gelang, mit dem größten arabischen Staat, Ägypten, einen Frieden zu schließen. Dieser Frieden erweckte in der ganzen Welt großes Aufsehen und verhalf ihm zum Friedensnobelpreis, auch wenn heute dieser Frieden etwas brüchig ist und die Normalisie rung zwischen den beiden Staaten viel zu wünschen übrig läßt.

Das zweite Ereignis hatte er vor einem Jahr begonnen, den Libanon-Krieg, der bis heute nicht beendet ist, und sich nach Begins Worten für Israel in eine Tragödie verwandelt hat.

Das erste Ereignis vereinte das gesamte Volk um Begin und seine Regierung. Begin war unter den oppositionellen Wählern sogar populärer als unter den eigenen Anhängern, die Begins Großzügigkeit gegenüber dem ehemaligen Feind weder verstehen noch akzeptieren konnten.

Doch in der zweiten Regierungsperiode sickerte der alte Begin wieder durch, derselbe, der schon zu Gründungszeiten des Judenstaates Widerstand erweckt hat, was mitunter in offene Feindschaft ausartete. Es war Begins revisionistische Weltanschauung, die nun dominant wurde.

Erstens der Glaube an ein. Groß-Israel und an das von Gott verheißene Land: das führte dazu, daß Begin zwei Gesetze vom Parlament annehmen ließ, für die Einverleibung Ost-Jerusalems und der Golan-Höhen in Israel als einen Teil der Verwirklichung der Cherut-Ideologie, obwohl er da durch den Ruf Israels in der Welt stark angeschlagen hatte. Doch für Begin zählte die Ideologie hier stärker.

Ferner kurbelte er die jüdischen Neuansiedlungen in den besetzten Gebieten um jeden Preis an, selbst wenn die Infrastruktur zu den neuen Siedlungen fehlte und die Böden dazu nicht vorhanden waren und man sie von den früheren Besitzern konfiszieren mußte.

Der Holokaust ist bei Begin durch seine eigene Familientragödie zu einem Teil seines Lebens geworden. Er fürchtet bis heute, daß Israels Feinde dasselbe wie die Nazis zu tun beabsichtigen und das jüdische Volk auszurotten wünschen, ließe man ihnen die Freiheit dazu. So sieht Begin in der PLO eine moderne Verkörperung der Nazis, die einen Vernichtungsplan gegen das jüdische Volk ausgeheckt haben. Einen Unterschied zwischen den gemäßigten und den extremen Flügeln innerhalb der PLO gibt es für Begin nicht.

Das war auch der Grund, warum Begin den von Ariel Scharon ein Jahr lang vorbereiteten Libanon-Krieg sofort akzeptierte und dessen Siegesmission als bare Münze hinnahm. Als alle diese israelischen militärischen Siege im heillosen Sumpf des libanesischen, unter sich verfehdeten Völkergewimmels untergingen, war die Tragödie von Menachem Begin unsagbar groß, denn sein gesamter ideologischer Überbau .zerschellte an den Tatsachen.

Begin, im Glauben an die Notwendigkeit, die sogenannten PLO-Nazis auszurotten und eventuell eine neue Ordnung im Libanon einzuführen, war bereit, das Volk zu entzweien in der Annahme, daß der Sieg letzten Endes auch die Kriegsgegner von gestern überzeugen würde.

Das war das erste Mal, daß in Israel ein Krieg nicht von allen akzeptiert wurde. Als man um dessen Motive diskutierte und einige sogar den Militärdienst verweigerten, hatte Begin das Gefühl, daß die Spaltung der Nation sowie die 518 Todesopfer überflüssig waren, sodaß in seinen Augen der Krieg gescheitert war — für einen Mann der Missionen wie Begin bestimmt keine Kleinigkeit.

Diese beiden Ereignisse haben das politische Gesicht des Mittleren Ostens verändert, das Kräfteverhältnis verschoben und die Position der Großmächte im Nahen Osten beeinflußt. Beide Ereignisse sind mit der Person Menachem Begin eng verbunden.

Heute ist es schwer, nach Begins Demission eine neue Regierung zu bilden: Menachem Begin besaß die Autorität und die Gabe, zerstrittene Parteien hinter sich zu scharen, sein Nachfolger Yitzak Schamir besitzt diese Gabe nicht.

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