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Menschwerdung in den Zeichen der Zeit

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Das Kind in der Krippe war schwarz. „Er entäußerte sich und wurde ... den Menschen gleich.“ Den Juden ein Jude, den Römern ein Römer, den Afrikanern ein Afrikaner.

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Das Kind in der Krippe war schwarz. „Er entäußerte sich und wurde ... den Menschen gleich.“ Den Juden ein Jude, den Römern ein Römer, den Afrikanern ein Afrikaner.

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Jugendliche ziehen eine ganze Woche hindurch singend und tanzend durch die Straßen, um die Geburt Jesu Christi zu feiern. Ich habe diesen Jubel in Ghana erlebt. In der Kirche sah ich das Jesuskind in der Krippe liegen — es war schwarz. Ein Wort aus dem Philipperbrief kam mir in den Sinn: „Er entäußerte sich und wurde... den Menschen gleich.“ Das ist doch der Sinn der Inkarnation — den Menschen gleich zu werden, den Juden ein Jude, den Römern ein Römer, den Afrikanern ein Afrikaner, den Indern ein Inder...

Wir konnten es eben miterleben. Die Vertreter aus Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika haben das Bild der römischen Bischofssynode geprägt. Die Synode gab sich Rechenschaft über zwanzig Jahre nach dem Konzil. In diesen zwanzig Jahren ist die Kirche zur Weltkirche geworden. Der Schwerpunkt der Christenheit hat sich verlagert.

Das Christentum hat aufgehört, die Religion der Weißen zu sein. So hat sich wenigstens äußerlich die Inkarnation des christlichen Glaubens in Völkern, Kulturen, Religionen und Traditionen vollzogen.

Weihnachten wird in der ganzen Welt gefeiert. Was wunder, wenn das Jesuskind in Afrika anders aussieht als in unseren Krippen in Österreich.

Die Inkarnation des ewigen Wortes wird im Philipperbrief „Entäußerung“ genannt. Noch genauer heißt es, „er wurde wie ein Sklave“. „Sklave“ und „Entäußerung“ sagen, daß die Inkarnation etwas ist, was mit Verde-mütigung, Erniedrigung und Mühe zu tun hat. Bei Christus hat die Entäußerung sogar in den Kreuzestod gemündet.

Die Menschwerdung ahnten damals, vor fast 2000 Jahren, nur die Kleinen, Armen und Demütigen. Selbst sie lernten nur mit Mühe den Glauben. Als dann aber der Glaube in ihnen aufgebrochen war, konnten sie nicht mehr schweigen von dem, was sie gesehen und gehört hatten.

Die ersten Christengemeinden hielten in ihrer Mitte das Geheimnis der Inkarnation lebendig: Sie lebten so, als würde Christus weiterhin bei ihnen aus- und eingehen. Sie waren so von Christus erfüllt, daß sie in ihren Gebeten und liturgischen Feiern jeden Buchstaben, den sie aus den heiligen Büchern des Alten Bundes lasen, mit dem Licht Christi erfüllten.

Für uns Nachgeborene wird daraus deutlich, was mit Inkarnation in Kulturen und Religionen gemeint ist: Alle Bereiche so mit dem Glauben an Christus zu erfüllen, daß sie wie der Alte Bund zu einem Neuen Bund umgestaltet werden.

Die Kulturen Afrikas, Indiens, : Lateinamerikas und Ozeaniens 1 stehen der Kirche ferner als damals der jüdische Glaube den Christen. Christus, die Apostel und die ersten Christen waren aus dem jüdischen Glauben hervorgegangen. In die Bereiche der jungen Kirchen ist der christliche Glaube notgedrungen in europäischer Ausprägung gebracht worden. Die Umsetzung in die jeweüi-ge Kultur ist um ein Vielfaches schwerer und hat in vielfältige, kaum überschaubare Kulturen zu geschehen.

Für eine Kirche, die bis vor zwanzig Jahren relativ einheitlich war, ist eine Inkarnation, wie sie heute erforderlich ist, mit Entäußerung im Sinne des Philipperbriefes verbunden. Zur inhaltlichen Aufgabe einer Inkarnation in andere Kulturen kommt noch die Sorge um den Verlust der Einheitlichkeit.

Bedenkt man, daß es in Afrika allein mehr als 5000 Denominationen gibt, die sich Unabhängige Christliche Kirche nennen (einige wenige sind auch aus der katholischen Kirche hervorgegangen), kann man die Sorge der Kirchenleitung verstehen.

Nicht zu leugnen ist, daß der große Aufbruch der Christenheit in außereuropäische Kontinente aus zeitbedingten Umständen nicht gerade im Sinne einer Inkulturation erfolgt ist. Der Aufbruch damals geschah zwar im Namen des Christentums, doch das eigentliche Motiv war Eroberung.

Die einheimischen Kulturen fanden kaum Beachtung, ja man erblickte in ihnen sogar einen Feind, den es zu überwinden galt, wollte man zu seinen Zielen gelangen. Da diese Haltung zu anderen Kulturen auch mit europäischer Überlegenheit verbunden war, darf es nicht wundern, wenn in Amerika Kulturen zerstört wurden oder in Indien und China der „Ritenstreit“ im europäischen

Sinne gelöst wurde.

Es spricht andererseits für die Kirche, daß in ihr immer wieder mutige Propheten auftraten, die Ehrfurcht vor anderen Religionen, Uberzeugungen und Menschen bezeugten. Schließlich ist es eine unleugbare Tatsache, daß die Menschen den christlichen Glauben annahmen und junge, eigenständige Kirchen entstanden sind. Die Kolonialherren mußten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre überseeischen Gebiete verlassen, die Kirche ist aber geblieben, eine einheimische Kirche, in deren Reihe die ausländischen Missionare noch immer ihren Platz haben und gerne gesehen sind.

Die Kirche hat sich in die Herzen der Menschen einen Weg gebahnt. Christus ist in ihnen Mensch geworden. Es ist kein übertriebener Optimismus, wenn urchristlicher Aufbruch in einer bodenständigen Liturgie und Katechese festzustellen ist.

Die Liturgie wird in den jungen Kirchen als Fest gefeiert. Tanz und Trommel oder Blumen und ortseigene Gesten haben darin längst ihren festen Platz. Solche lebendige Gemeinden, in welchen Gebet eine Freude und die Bibel das Lebensbuch der ganzen Gemeinschaft ist, sind auch der Nährboden für eine, dem jeweiligen Kulturraum angepaßte, theologische Reflexion.

Eine Afrikanerin, die in Wien lebt, beklagte sich, daß sie in unseren Gottesdiensten nicht beten könne. Indonesische Theologiestudenten in Österreich stellen fest, daß in ihrer Heimat die Gemeinschaft, bei uns eher der Individualismus dominiert. Eine österreichische Missionarin in Afrika (Liberia), die als einzige Europäerin unter afrikanischen und indischen Missionaren tätig ist, gesteht, daß sie erst jetzt begreift, wie sehr Gemeinschaft und Drängen nach Gemeinde ihre Mitmissionare bestimmen.

Hierin werden Unterschiede zwischen europäischem Denken und dem spezifischen Empfinden der jungen Kirche deutlich, von dem wir in der Regel zu wenig wissen und daher auch nicht darauf eingehen. Selbst die Weltkirche hält in den Sakramenten an abendländischen Symbolen fest, ohne die den jeweiligen Völkern eigenen Riten und Symbole genügend zu berücksichtigen.

Afrikanische und asiatische Theologien sind bei uns nur wenigen Experten bekannt, die Universitäten schenken ihnen kaum Beachtung. Erst die aus Lateinamerika stammende Theologie der Befreiung hat sich Gehör verschafft. Sie ist zum Dialogpartner geworden, der ernstgenommen wird.

Die Kirche des Jahres 2000 steht unter besonderen Vorzeichen. Die Menschen in Nord und Süd unserer Erdkugel werden sich bewußt, daß sie den gleichen Aufgaben und drängenden Problemen gegenübertreten: der Lösung des Problems der Armut von zwei Dritteln der Erdbewohner und der Rettung der Schöpfung vor der Zerstörung. In diesen „Zeichen der Zeit“ ereignet sich heute die Menschwerdung Gottes in seiner Welt.

Eine Kirche aus der Dritten Welt, die Kirche Lateinamerikas, hat aus ihrer leidvollen Situation einen Weg gezeigt, wie die Weltkirche die Zeichen der Zeit im Sinne des Evangeliums zum Heile wenden kann. Die Kirche besitzt kein Patentrezept, doch im Vertrauen auf die Botschaft des Evangeliums vermag sie auch heute, die Strukturen der Welt und die Herzen der Menschen umzuwandeln.

Das Evangelium hat in Lateinamerika, aber auch in Afrika und Asien Christen zu Gemeinden geformt, die wieder in einem urchristlichen Sinn das Wort Gottes leben und sich in ihrem Alltag von ihm leiten lassen. Sie erleben darin Befreiung von ungerechten Strukturen und umfassende menschliche Förderung.

Die befreiende Botschaft des Evangeliums muß die Menschen und Strukturen auch der abendländischen Welt durchdringen, damit der Geist Christi ein höchstnotwendiges Umdenken und neue Wertmaßstäbe bewirken kann. Nur so kann ein Klima entstehen, in welchem die Menschen bereit sind, die vorherrschende Weltordnung zu überdenken und die Welt auch zu retten.

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