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Wirtschaftlich hat Nicolae Ceausescu sein Land bereits ausgeblutet. Eine Folge davon ist die totale Verwüstung der Umwelt. Rumänien versinkt in Hoffnungslosigkeit und Apathie.

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Wirtschaftlich hat Nicolae Ceausescu sein Land bereits ausgeblutet. Eine Folge davon ist die totale Verwüstung der Umwelt. Rumänien versinkt in Hoffnungslosigkeit und Apathie.

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Ileana C muß um vier Uhr morgens aufstehen, will sie Brot und Milch kaufen. Nach stundenlangem Anstehen, versteht sich. Die Milch ist zumindest verwässert, dem Brot ist Sägemehl beigemengt.

Dank der genialen Führung des großen Conducators Nicolae Ceau-sescu ist die Alternativwirtschaft zur massenhaften Veränderung und Fälschung der sowieso raren Lebensmittel übergegangen. In Zeitungsannoncen werden Würste aus Fischknochen- oder Hühnerknochenmehl plus Soja, aufgefrischt mit chemischen Färb- und Aromastoffen, angepriesen. Butter und Margarine sind gänzlich aus den Regalen verschwunden. Sie werden durch synthetische Fette ersetzt. Die Weinpanscherei wird hier vom „Wirt“ Staat selbst betrieben: Wein wird nur noch aus Äpfel, Zucker, Industriealkohol, Säuren und chemischen Substanzen hergestellt. Prost? Mahlzeit!

Wahrlich erschreckende Fakten enthüllt ein Umweltreport der oppositionellen „Rumänisch-Demokratischen Aktion“. Demzufolge stehen Nicolae Ceausescu & Co. der katastrophalen Umweltverwüstung „grundsätzlich unsensibel“ gegenüber.

Zu einem Zeitpunkt, wo das Ozonloch immer größer wird, nimmt Rumänien mit stolzgeschwellter Brust die ersten Fabriken, die Spraydosen mit Treibgasen produzieren, in Betrieb.

Die Illusion von Unabhängigkeit und Selbstversorgung auf dem Energiesektor hat auch eine riesige Kampagne zum Bau von Kraftwerken in Bewegung gesetzt. Für den Bau Hunderter Wasserkraftwerke wurden Hunderttausende Hektar Wald geschlägert oder überschwemmt: Hunderte Dörfer wurden zerstört. Um die teuren Erdöl-und Erdgasimporte aus der Sowjetunion zu reduzieren, sind die Wärmekraftwerke zur Verbrennung minderwertiger Torfkohle übergegangen. Der Torfkohle entweichen bei der Verbrennung große Mengen an Bitumen und Schwefel. Filter gibt es nirgends - wozu auch?

Der Conducator, mitsamt Gemahlin Elena stets dem Fortschritt ergeben, läßt in Cernavoda ein Atomkraftwerk errichten. Ein Platz zur Lagerung der radioaktiven Abfälle ist nicht gefunden. Vorerst will man den Abfall auf den Feldern um das AKW lagern. Das nötige Uranerz wird im Siebenbürgischen Erzgebirge gewonnen. In der Nähe der Stadt Petru Groza werden Millionen Tonnen Uranerz im Freien gelagert - auf unbefristete Zeit. Zumindest diesem Landstrich ist eine strahlende Zukunft sicher.

Der ökonomischen Erschöpfung des Landes folgt nun der ökologische Kollaps. Die intensive Bewirtschaftung des Bodens, die jahrzehntelang praktizierte Monokultur und Überdüngung, haben Tausende Hektar Ackerland in allen Regionen des Landes in unfruchtbare Salzböden verwandelt. Die Zerstörung des Bodens wird auch durch die unsachgemäße Lagerung von Millionen Tonnen Getreide, Kartoffeln, Rüben, Gemüse und Obst betrieben: Transport- und Lagerkapazitäten sind begrenzt, ein Drittel der Ernte bleibt auf den Feldern liegen. Die Ernte verfault, verwandelt sich in Alkohol und verbrennt den Ackerboden, der in der Folge unfruchtbar wird.

Die Verluste an ruiniertem Ak-kerland will/wollte man auf zwei Arten wettmachen: durch die Urbarmachung von Auwäldern des Donaudeltas und durch die Bewässerung trockener Landstriche. Beides hat sich bis jetzt als Bumerang erwiesen. Hunderte von Feuchtbiotopen in den Donauauen, die trok-kengelegt wurden, sind nach knapp zehn Jahren schon wieder versalzt. Trotzdem will man weitere 300.000 Hektar Auwald Schlägern. Damit werden wohl alle Vögel dort - das Donaudelta ist ein einzigartiger Nistplatz für viele Vogelarten - den Schwanengesang anstimmen müssen.

Aber Graf Draculas später Nachkomme bringt auch „Leben in die Wüste“. Infolge eines undurchdachten Bewässerungsprogramms sind Tausende Hektar Ackerland - vor allem in der Dobrudscha - in unfruchtbare Sümpfe verwandelt worden. Die Seen in der Dobrudscha sind teilweise schon über die Ufer getreten und haben zur permanenten Überschwemmung einiger Ortschaften geführt. Der erhöhte Grundwasserspiegel nagt auch schon an den Fundamenten der Hotels in den Touristenzentren Mamaia und Eforie.

Das breite Regierungsprogramm zur „Systematisierung“ der Dörfer hat auch eine ökologische Spitze: Die Flüsse und Bäche, die durch die Ortschaften flössen, sind unter Beton- und Asphaltstraßen verschwunden. Die Bäume, die an ihren Ufern wuchsen, wurden ge-schlägert. Dieses Schicksal hat inzwischen auch schon viele Alleen entlang von Straßen und Wegen ereilt. „Das Abholzen der Bäume ist für die rumänische Verwaltung zu einer Besessenheit geworden“, kommentiert die „Rumänisch-Demokratische Aktion“ den amtlichen Wahnsinn. In vielen Städten des Landes wurden die Bäume in den Parkanlagen liquidiert. Eine „wildeBaumfällkampagne“ hatdie Baumriesen auf den Bukarester Boulevards beseitigt. Die „mächtige Eiche vom Tibesti-Gebirge“, als die sich Ceausescu von seinen Hofschmeichlern besingen läßt, verträgt eben keine Konkurrenz.

Der Segen der forcierten Industrialisierung liegt den Rumänen schwer auf der Lunge. Das Ausmaß an Erkrankung der Atemwege bezeichnen die Autoren des Umweltreports als „verheerend“. Chronische Bronchitis, Tuberkulose und Bindehautentzündungen sind „drastisch angestiegen“. Statistiken über die Umweltbelastungen sind nicht zugänglich - falls es sie überhaupt gibt. Aber die Verschmutzung bedarf keiner mikroskopischen Betrachtung - sie ist augenfällig. Und riechbar!

Die Raffinerien von Copsa Mica und Pitesti arbeiten nach einer über 50 Jahre alten Technologie. Ihre Rußemissionen haben die Umgebung in eine schwarze Landschaft verwandelt. Die Bauindustrie, die fleißig an der Massenproduktion von Fertigbauwohnklötzen, die die alten Dorfhäuser ersetzen werden, werken, tauchen wiederum so manchen Ort in eine weiße Hülle. Die Bewohner von „Cömarnie“ nennen ihre Stadt deshalb „Silberstadt“: Eine dicke, weiße Zementschicht, die aus der örtlichen Zementfabrik stammt, bedeckt die Dächer, Fassaden, Straßen und Bäume der Stadt. Die Negativbilanz ließe sich noch endlos fortsetzen. Wen wundert es da, daß die Bewohner des Landes ihr Heil in der Flucht suchen?

Den Rumänen wird Blut und Leben ausgesogen. Allerdings nicht von den Vampirzähnen eines schaurigen Grafen Dracula.

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