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Digital In Arbeit

Meuchelmord am Bildschirm

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Ein Blick in viel zuwenig bekannte und beachtete mögliche TV-Wirkungsweisen gab der Professor am Institut für Publizistik der Universität Mainz und langjährige Mitarbeiter der deutschen Meinungsforschungsdoyenne Elisabeth Noelle-Neumann, Hans Matthias Kepplinger, kürzlich in einem Medienseminar der steirischen ÖVP: Auch Bilder können trügen.

Ausgangspunkt seiner umfangreichen diesbezüglichen Untersuchungen war die Berichterstattung der beiden deutschen Fernsehanstalten ARD und ZDF im Vorfeld der deutschen Bundestagswahlen 1976, aus denen man folgenden verkürzten Schluß ziehen könnte: Kameraeinstellungen und Bildschnitte hatten wesentlichen Einfluß auf das Wahlergebnis. Ist dadurch Helmut Kohl, der damals nur knapp die absolute Mehrheit verfehlte, um die Kanzlerschaft gebracht worden?

Kepplinger weist auf den überaus großen Wirkungsmechanismus des Fernsehens hin: „Fernsehbilder und Fotos besitzen zwar den Schein der Unbestechlichkeit und der Objektivität, aber gerade deshalb ist die Möglichkeit der bewußten Manipulation und der unbewußten Verzerrung der Realität besonders groß. Die Betrachter und Zuschauer glauben, unvermittelt die Realität zu sehen, während sie in Wirklichkeit einen ganz bestimmten Ausschnitt wahrnehmen, der nach Kriterien ausgewählt wurde, die sie nicht kennen. Und sie sehen diesen Ausschnitt in einer Weise dargestellt, deren Machart Tür sie völlig im dunklen liegt.“

Die Kameraleute sind sich, wie eine von Kepplinger durchgeführte Umfrage zeigt, dieser Möglichkeiten durchaus bewußt: 78 Prozent antworteten auf die Frage, ob man mit rein opti

schen Mitteln Personen besonders positiv oder negativ im Fernsehen erscheinen lassen könne, mit: „Das ist sehr gut möglich“: 22 Prozent meinten: „Das ist schon möglich“.

Außerdem: Zwei Drittel würden einen Politiker, den sie besonders schätzen, in Augenhöhe filmen, keiner würde ihn verzerrt mit deutlicher Überoder Untersicht (also aus der Vogeloder der Froschperspektive) aufnehmen.

Vor diesem Hintergrund ist die Analyse der Wahlsendungen vom April 1976 bis zum Wahltag 3. Oktober 1976 zu sehen: Während die Sendungen insgesamt zeitlich als ausgewogen bezeichnet werden können, wurde Helmut Kohl signifikant häufiger aus der Vogel- und Froschperspektive gezeigt als Helmut Schmidt (12 zu vier Prozent aller Einstellungen).

Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Darstellung von Publikumsreaktionen. Von einer amerikanischen Studie ausgehend, wonach die Darstellung negativer Publikumsreaktionen auch bei positiven Einführungstexten des Moderators einen starken Einfluß auf die Wahrnehmung und Beurteilung von Personen besitzen, wurden die Bildschnitte und Kameraschwenks in den Vorwahlsendungen beurteilt. Fazit Kepplingers: „Die Journalisten des ARD und des ZDF zeigten in Zusammenhang mit CDU-CSU-Politikern weitaus häufiger negative Publikumsreaktionen als im Zusammenhang mit SPD- und FDP-Politiker.“ Bei Schmidt brachten beide Anstalten 97 Prozent positive und nur 3 Prozent negative Publikumsreaktionen, während sich bei Kohl 75 Prozent positive zu 25 Prozent negative gegenüberstehen.

Beispiele Tür positive Reaktionen sind Applaus, verbale Zustimmung

durch Zurufe, optische Zustimmung durch Gesten und Fahnen, gelungene Interaktionen zwischen Kandidaten und Publikum wie Händeschütteln und Gespräch, Aufmerksamkeit und Interesse des Publikums, während als negativ Pfiffe, Buh-Rufe und fehlende bzw. mißglückte Interaktionen gewertet wurden.

Diese Ergebnisse stellt Kepplinger in eine Relation mit folgender Umfrage-Erkenntnis: Während im Zuge des Wahlkampfes im Sommer 1976 der Anteil derjenigen, die die Koalition bzw. die Opposition wählen wollten, nahezu konstant blieb, veränderten sich bei Personen mit hohem Fernsehkonsum die Urteile darüber, wer die Wahl gewinnen werde, dramatisch:

Sie sahen Kohl zunehmend als Verlierer, während Personen mit geringerem Fernsehkonsum bei ihrer ursprünglichen Ansicht über die Aussichten der beiden Spitzenkandidaten blieben. „Die beiden Entwicklungen waren unabhängig vom politischen Interesse und anderen möglichen Störvariablen."

Aus all diesen aufsehenerregenden Thesen, die in der Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Veröffentlichung 1979 für vielerlei Aufregung sorgten, können verschiedene Schlußfolgerungen abgeleitet werden: Einerseits sollte jeder Medienkonsument die verschiedensten TV-Darstellungsformen kritisch betrachten und hinterfragen. Andererseits aber ist vor allem auch eine institutionelle Konsequenz angebracht: Der Wunsch nach totaler Ausgewogenheit kann ohnehin nie erfüllt werden, nicht einmal um den Preis einer fast klinischen Sterilität. Es ist also journalistisches Ethos gefordert, das auch die Kameraleute und die Cutter miteinbindet.

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