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Mexiko im Papst-Fieber

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Bei seinem zweiten Mexiko- Besuch bekräftigte Johan- nes Paul II. die kirchliche Option für die Armen und ließ es an eindringlichen Ermahnungen für die Unter- nehmer nicht fehlen.

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Bei seinem zweiten Mexiko- Besuch bekräftigte Johan- nes Paul II. die kirchliche Option für die Armen und ließ es an eindringlichen Ermahnungen für die Unter- nehmer nicht fehlen.

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Nach einer Warnung vor den „falschen Führern und Propheten", unter denen man sowohl die Führer der Volksorganisationen als auch der religiösen Sekten verstehen konnte, segnete Papst Johannes Paul II. die fast drei Millionen Ein- wohner des Riesenslums von Chal- co an der Peripherie der mexikani- schen Hauptstadt. Die ganze vorige Woche lebte die Riesenmetropole - mit 18 Millionen Menschen die größte Stadt der Welt - im Papst- fieber. Während des einwöchigen Besuches des höchsten kirchlichen Würdenträgers hatte dieser in der Hauptstadt zwanzig und in zehn weiteren Bundesstaaten Dutzende von Veranstaltungen zu absolvie- ren. Nach seiner Teilnahme an der Lateinamerikanischen Bischofs- konferenz von Puebla 1979 war dies der zweite Besuch von Papst Jo- hannes Paul II. im einstigen Azte- kenland.

Die Bewohner von Chalco konn- ten den Papst nur von weitem se- hen, denn die mexikanischen Be- hörden hatten mehrere Sicherheits- gürtel um den Pontifex Maximus gezogen. Für die Papstmesse waren eigens ein sechs Meter hoher Altar, ein 25 Meter hohes Betonkreuz und eine Kapelle errichtet worden. Doch hatte der Papstbesuch für die Bewohner des einst total vernach- lässigten Stadtteils, die bei den letzten Wahlen mehrheitlich gegen die Regierungspartei PRI gewählt hatten, auch konkrete Vorteile gebracht: im vergangenen Jänner weihte Staatspräsident Salmas de Gortari höchstpersönlich die Was- ser- und Stromversorgung für Chalco ein.

Kurz vor dem Auftritt in Chalco war es im laizistischen Mexiko zu einem historischen Novum gekom- men: erstmals in der Geschichte des Landes hatte ein Staatspräsident den Bischof von Rom offiziell emp- fangen. Im luxuriös ausgestatteten Präsidentenpalast von Los Pinos sprachen Sahnas de Gortari und Johannes Paul II. unter demonstra- tiven Bezeugungen gegenseitiger SympathieundWertschätzungvom „Ende der Dogmen" und von der Revolution in Osteuropa.

Doch trotz aller schönen Worte kam es nicht zu der von vielen erwarteten Geste: der Wiederher- stellung der diplomatischen Bezie- hungen zwischen Mexiko und dem Vatikan, die Ende des letzten Jahr- hunderts, nach dem Machtantritt des liberalen Präsidenten indiani- scher Herkunft, Benito Juarez, abgebrochen worden waren. Seit der mexikanischen Revolution von 1917 besteht sogar eine Art Kalter Krieg zwischen der katholischen Kirche und dem Staat, der auch trotz der tiefen Volksreligiosität nicht überwunden wurde.

Die tiefe Religiosität der Bewoh- ner des 85-Millionen-Staates äu- ßerte sich bei allen Veranstaltun- gen des Papstes. Von besonders symbolhafter Bedeutung war für die Bevölkerung der Auftritt von Johannes Paul II. in der Basilika von Guadalupe, dem wichtigsten Wallfahrtsort Mexikos, wo er den Indio Juan Diego, dem nach kirch- licher Darstellung vor fast fünf Jahrhunderten die Jungfrau Maria erschienen war, seligsprach.

Weiters sprach der Papst den Priester Jose Maria de Yermos, der sich im vergangenen Jahrhundert durch seine caritiativen Aktivitä- ten auszeichnete, und drei Indio- kinder aus dem Volk der Tlaxcala, die zu Beginn der Kolonialzeit ge- tötet wurden, weil sie den christli- chen Glauben verteidigten, selig. Gerade dieser Akt wurde als An- griff auf die indianische Identität und Glorifizierung der Kolonial- herrschaft, die ja gewaltsam ihre Religion in die Neue Welt übertrug, kritisiert, doch ging diese Kritik im allgemeinen Jubel bei den Auftrit- ten des Papstes unter.

Auch die mahnende Stimme des emeritierten Bischofs von Cuerna- vaca, Sergio Mendez Arceo - eines der namhaftesten Vertreter der Befreiungstheologie -, daß die Kir- che die Arbeiter in ihrem Kampf um bessere Löhne begleiten müsse, denn ihre Lebensbedingungen sei- en heute wesentlich schlechter als zur Zeit des ersten Papstbesuches vor elf Jahren, verlor sich im allge- meinen Trubel.

Dabei fand der Papst bei seinen Ansprachen, etwa vor Unterneh- mern in Monterrey, deutliche Wor- te sowohl gegenüber Kommunis- mus und Kapitalismus:

„Gewisse Interessen möchten das siegreiche System als einzigen Weg für unsere Welt darstellen, wobei sie sich auf die Erfahrungen mit den Rückschlägen des realen So- zialismus berufen und die notwen- dige kritische Beurteilung dessen unterlassen, was der liberale Kapi- talismus bis jetzt hervorgebracht hat - zumindest für die Länder der sogenannten Dritten Welt."

In Monterrey erließ der Papst auch einen neuen Appell zur sozia- len Gerechtigkeit, warnte aber, dieser Aufruf dürfe auf keinen Fall mit dem Programm des Klassen- kampfes verwechselt werden.

Vor Vertretern verschiedener indianischer Ethnien im südlichen Bundesstaat Chiapas, wo auch sehr viele Flüchtlinge aus Guatemala leben, sprach der Papst in den In- diosprachen Tsotsil und Zoque. Er ersuchte die Indigenas, angesichts ihrer deprimierenden Situation nicht zu verzweifeln, und erinnerte an die Worte Christi, die „in diesen schwierigen Momenten des Lebens ein Zeichen der Hoffnung darstel- len".

Hochstimmung herrschte bei den Dienstleistungsbetrieben. Tausen- de Gäste aus Zentralamerika ka- men, um den Papst zu sehen, und zu den Messen in den nordmexikani- schen Städten Chihuahua und Monterrey auch viele Besucher aus den Vereinigten Staaten. Die Ho- tel- und Gastgewerbebetriebe wa- ren heillos überlastet. Die katholi- sche Kirche hatte an die Bevölke- rung appelliert, den gläubigen Besuchern Unterkunft und Verkö- stigung zur Verfügung zu stellen.

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