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Miesmacher als Haider-Helfer

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Vor einem Jahrzehnt hat ein Viertel der FPÖ-An-hänger Österreich als Nation bestritten, heute sind es 44 Prozent. Vor allem Junge. Und sogar Grüne sind anfällig.

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Vor einem Jahrzehnt hat ein Viertel der FPÖ-An-hänger Österreich als Nation bestritten, heute sind es 44 Prozent. Vor allem Junge. Und sogar Grüne sind anfällig.

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Zahlreiche Politologen, auch solche, die seinerzeit nicht wußten, daß man sie dereinst dieser Zunft zurechnen wird, haben mit Begriffen gerungen, um einer Ansammlung von Menschen auf einem bestimmten Territorium attestieren zu können, beziehungsweise ihnen das Attest verweigern zu müssen, daß sie eine Nation seien. Wie haben sich doch weiland Otto Bauer und Josef Tschu-gaschwili Stalin angestrengt.

Da machen es sich die Umfrageforscher leichter. Sie befragen einfach ein repräsentatives Sample besagter Menschenansammlung, ob sie sich als Nation bekennen, und das Problem ist gelöst. Selbst juristische und völkerrechtliche Haarspaltereien, selbst Zweifel, ob eine Religionsgemeinschaft ein Territorium besetzen und sich dann als Nation deklarieren darf, können so weggewischt werden.

Diese Bemerkungen sind nicht zynisch, sondern durchaus ernst gemeint. Nationen sind nicht seit Urzeiten existent, sondern entstehen aufgrund eines kollektiven Willensaktes, wie immer die rassischen, geschichtlichen, kulturellen, sprachlichen, politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Voraussetzungen seien. Wie sehen nun diese Manifestationen und Willenskundgebungen aus? Wir haben in Österreich einen Nationalfeiertag eingerichtet und feiern ihn mit Fitneßmärschen. Schlecht? Mehr als eine Rede im Ministerrat fördert ein Fitneßmarsch die Gemeinsamkeit einer Nation.

Um zu erfahren, was die Österreicher, also die Betroffenen selbst meinen, hat die Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft schon in den sechziger Jahren der Nation „aufs Maul geschaut“, diese Umfragen wurden mit denselben Methoden seither mehrmals wiederholt, und hier ist das Ergebnis:

Die Ergebnisse sind sonnenklar: Das Erlebnis des gemeinsamen Zusammenhalts, der wirtschaftlichen und nicht zuletzt' der außenpolitischen Erfolge, hat zu einem wachsenden Bekenntnis zur österreichischen Nation geführt. Während sich die Nation offensichtlich in die eine Richtung entwickelt hat, hat sich eine kleine Gruppe, unter anderem Jörg Haider, in die andere entwik-kelt. So etwas nennt man eine Fehlentwicklung.

Eine nähere Analyse der Umfrageergebnisse zeigt nun einige interessante Tendenzen auf. Die Freiheitliche Partei hat nur sehr dürftige Kundgebungen im Hinblick auf die Bejahung einer eigenständigen österreichischen Nation zustande gebracht. Aber immerhin, während zu Beginn unserer Untersuchungen noch 50 Prozent der Anhänger der FPÖ das Bestehen einer österreichischen Nation leugneten, sank dieser Prozentsatz bis 1979 auf 25 Prozent ab. Unsere jüngste Umfrage zeigt allerdings, daß nunmehr wieder 44 Prozent der Anhänger der FPÖ die Existenz einer österreichischen Nation bestreiten.

Da die jüngste Umfrage nach der Äußerung von Jörg Haider über die „Mißgeburt“ durchgeführt wurde, ist diese Entwicklung nicht allzu verwunderlich. Die Anhänger der FPÖ, die möglicherweise nicht mehr dieselben sind wie 1979, folgten dem Spruch ihres Führers. So weit, so schlecht. Die doch auffällige Erhöhung des Prozentsatzes, der die Existenz einer österreichischen Nation leugnet, kann mit der Entwicklung in den Reihen der Anhänger Haiders nicht erklärt werden. . Es kommt noch etwas hinzu. Es sind unter den jüngeren Jahrgängen die Prozentsätze, die die Existenz einer österreichischen Nation leugnen, signifikant höher als bei den Jahrgängen über 25. Es sind auch unter den Anhängern der Grünen, diejenigen, die die Existenz einer österreichischen Nation bestreiten, größer als unter den Anhängern der Großparteien, also der staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP, nämlich:

Für diese interessante Entwicklung können natürlich mehrere Erklärungen angeboten werden, die überprüft werden sollten. Aber wie bei jeder Meinungsumfrage müssen zuerst einige Arbeitshypothesen entwickelt werden. Man könnte annehmen, daß es die Einwirkung der Schule ist, die in der jungen Generation diese doch deutliche Abwendung von der Idee einer österreichischen Nation bewirkt hat, genauso wie bekanntlich die Lehrerschaft die Jugend in einem gewissen Ausmaß antiindustriell, antitechnisch, antiwissenschaftlich, oder sagen wir vielleicht korrekter: wissenschaftsskeptisch, technikskeptisch, fortschrittsskeptisch erzogen hat.

Eine andere Erklärung hat aber vielleicht etwas mehr für sich. Die ältere Generation hat den Aufstieg Österreichs aus dem Elend und dem Zusammenbruch nicht nur erlebt, sondern auch zustande gebracht. Dieses Erfolgserlebnis hat offenbar die Einstellung zur Eigenstaatlichkeit, zur eigenständigen Nation geprägt. Eine Nation kann überhaupt nur von ihren Angehörigen bejaht werden, wenn die Gemeinschaft Erfolge erzielt. Es können dies außenpolitische, wirtschaftliche, eventuell sogar militärische Erfolge sein. Auf den Erfolg kommt es an.

In den achtziger Jahren, die die junge Generation dann selbst erlebt hat, und etwas erleben und etwas erzählt bekommen sind doch zwei Welten, war Österreich nicht annähernd so erfolgreich wie in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren. Es gab die wirtschaftlichen Rückschläge, es gab die außenpolitischen Rückschläge und es gab nicht zuletzt

Bekenntnis erfolgsabhängig?

(Foto Votava) die Selbstzweifel und die Vergangenheitsbewältigung des Gedenk- und Bedenkjahres. Möglicherweise haben viele wohlmeinende Österreicher, die das Gedenkjahr intensiv nutzten, um ihre Profession, nämlich die Zeitgeschichte ein wenig in den Vordergrund zu schieben, zuviel des Guten getan und einem Teil der jungen Generation die Freude an der österreichischen Nation vergällt.

Wenn jungen Leuten eine derartig miese Vergangenheit, eine derartig schäbige Verhaltensweise der älteren Generation vor Augen geführt wird, das Ganze noch im Licht der Gegenwart reichlich fehlgedeutet wird, muß man sich eigentlich wundern, daß sich nicht noch größere Prozentsätze dieser jungen Generation von der Nation erschaudernd abgewandt haben.

Nun, seit einigen Monaten sind wir wirtschaftspolitisch wieder sehr erfolgreich, man kann hoffen,' daß die Koalitionsparteien beziehungsweise ihre Protagonisten langsam begreifen werden, daß nur efficiency zählt, und gegenseitiges Haxelstellen in der Koalition nur der Opposition hilft und man als Politiker auch höchstpersönlich eher untergeht als an der Oberfläche bleibt, wenn man sich als permanenter Njet-Sager zu profilieren versucht.

Dazu kommt noch, wie gerade eine Untersuchung von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) gezeigt hat -auch diese wird in der SWS-Rundschau veröffentlicht werden —, daß die österreichische Seele noch immer einigermaßen in Ordnung ist. Das heißt, sie ist in der Lage, Unangenehmes zu vergessen und Positives zu behalten. Und genau dies benötigt man, was immer uns auch Psychoanalytiker einreden wollen, zur seelischen Gesundheit.

Der Autor ist Vizepräsident der Österreichischen Nationalbank. .

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