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Militär auf Tauchstation

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Nicht nur die Unfähigkeit zu trauern, auch die Unfähigkeit zu gedenken ist ein Merkmal der Zweiten Republik. Bringt der Gedenk-März 1988 die notwendige Wende?

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Nicht nur die Unfähigkeit zu trauern, auch die Unfähigkeit zu gedenken ist ein Merkmal der Zweiten Republik. Bringt der Gedenk-März 1988 die notwendige Wende?

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Wirft man die Vergangenheit zur Tür hinaus, so kommt sie zum Fenster wieder herein: in einer solchen Situation scheint unsere Republik im Hinblick auf das Jahr 1988 zu sein.

Der März 1988 wird sicherlich zur bisher größten Herausforderung für das Selbstverständnis der Zweiten Republik. Diese Herausforderung ist sowohl innen-, aber auch außenpolitisch von größter Bedeutung für die zukünftige positive Entwicklung unseres Landes.

Unser Bundesheer als gesetzlich definierte „bewaffnete Macht der Republik Österreich” wird sich diesem Ereignis nicht entziehen können. Es .wird, ob gewollt oder ungewollt beziehungsweise „aufgezwungen”, in diese große geistige Auseinandersetzung um das Selbstverständnis unserer Republik involviert werden.

Nicht zuletzt ist der März 1988 erst der Auftakt zu Ereignissen „vor 50 Jahren”, die bis 1995 (!) reichen. Ein „Durchtauchen” (die derzeit vorherrschende Meinung führender „Militärs”) wäre äußerst problematisch. Ein schlechter Start wird auf längere Zeit negative und vielleicht nicht wieder gutzumachende wehrpolitische Auswirkungen auf die Zukunft unserer „bewaffneten Macht” haben.

Die Chancen für unser Heer könnten daher sein:

• Als Lehre aus der Geschichte sollten Aktionen gesetzt werden, die die Notwendigkeit eines wehrhaften Österreich sowohl im Inland als auch im Ausland klar und eindeutig verdeutlichen.

• Ein bewußt österreichisch-demokratischer Patriotismus sollte gefördert und verstärkt werden.

• Der Primat der Politik über das Heer muß stärker bewußtgemacht werden, insbesondere auch hinsichtlich des Auftrags und der Mittel. Die Notwendigkeit der ideellen und materiellen Unterstützung der Bevölkerung für das Heer muß herausgestrichen werden (die fehlenden Panzer- und Luftabwehrmöglichkeiten des Heeres im Jahre 1938 wären im Falje eines aktiven Widerstandes eine tödliche „Achillesferse” gewesen; man beurteile die Situation im Jahre 1988!).

• Die geistige Verteidigungsbereitschaft ist die Grundvoraussetzung für einen möglichen Einsatz. Das Ringen um die Hirne und Herzen unserer Soldaten und der Bevölkerung stellt bereits im Frieden die wesentlichste Vorentscheidung für das Erfolgreichsein im Falle eines Konflikts dar.

Gerade der letzte Punkt — allein für sich genommen—wäre es wert, in ehrlicher Weise im Bundesheer erörtert zu werden. Man sollte bedenken, daß noch im Juli 1934, von Tausenden Freiwilligen unterstützt, das damalige österreichische Heer als erste bewaffnete Macht Europas diesem frühesten Expansionsversuch des „3. Reiches” entgegengetreten ist.(auch Soldaten, die schon damals im illegalen nationalsozialistischen Soldatenring waren, kämpften für Österreich). Nur knapp vier Jahre später schworen dieselben Soldaten in nur wenigen Tagen fast problemlos den Eid auf Adolf Hitler. Der Kampf um die Herzen und Hirne war offenbar in kurzer Zeit verloren worden.

Die bisherige — bequeme — Rückzugslinie vieler Soldaten, die meinen, wenn ein Befehl gekommen wäre, dann hätte damals das Heer schon seine Pflicht getan, muß mittlerweile differenzierter beurteilt werden. Das Heer war 1938 nur mehr in Teilen zuverlässig und durch die Einsätze in der Steiermark so „verworfen”, daß es einen Aufmarsch gemäß dem Jansa-Plan nicht mehr hätte durchführen können.

Eine Konsequenz daraus ist die Frage nach dem Stellenwert der Politischen Bildung im Bundesheer von heute. Die Politische Bildung im Bundesheer, 1982 mit viel politischem Elan eingeführt, ist derzeit von schwerer „Agonie” befallen; werden keine Maßnahmen gesetzt, verkommt die Politische Bildung im Bundesheer zur leeren Worthülse — die Konsequenzen für die Landesverteidigung kommen einer gesellschaftspolitischen Zeitbombe gleich.

So könnte vielleicht indirekt dieses historische Datum eine „Wiederbelebung” des in einer demokratischen Gesellschaftsordnung so notwendigen Kampfes um die „Herzen und Hirne” unserer Soldaten bringen.

Wie könnte nun ein Nutzen der Chancen des März 1988 für das Bundesheer konkret aussehen?

• Geistige Vorbereitungsaktionen ab Herbst 1987: Jede auch noch so gutgemeinte Aktion wäre ohne geistige Vorbereitung (Antwortfähigkeit) des Kaders und der Soldaten unseres Heeres ein nicht kalkulierbares Risiko. Daher könnten unter anderem methodisch/didaktisch aufbereitete Seminare (gemeinsam mit den politischen Akademien der Parlamentsparteien) für Kommandanten aller Ebenen durchgeführt werden, um über die Absichten und Ziele zum März 1988 zu diskutieren und bewußtes Verständnis zu fördern; Bereitstellung von fundierten Unterlagen; Veranstaltungen an den Schulen des Heeres.

• Schwerpunktaktionen unmittelbar vor, am und nach dem 12. März 1988: Ohne konkret auf die bereits der politischen und militärischen Führung vorgelegten Vorschläge einzugehen, soll hier nur die zentrale „Botschaft” aller Aktionen formuliert werden: Unser heutiges Österreich würde sich auch militärisch wehren, egal, wer immer unsere selbstgewählte demokratische Gesellschaftsordnung beziehungsweise unser Territorium gewaltsam bedroht.

• Kulturelle und sportliche Rahmenveranstaltungen: Da im Zusammenhang mit dem März 1988 sicherlich eine große Anzahl von kulturellen „Auseinandersetzungen” (Militarismus, Antisemitismus) stattfinden, sollten auch durch das Bundesheer Aktionen gesetzt werden, damit ein Klima entsteht, in dem gemeinsame Veranstaltungen von Künstlern und Soldaten möglich sind. Dies eröffnet die Chance auf ein gestärktes Österreich-Bewußtsein sowie ein verteidigungsbezogenes Problembewußtsein auch bei traditionell dem Heer gegenüber eher kritisch eingestellten „Vorbild-Zielgruppen”.

• Es sollte nicht zuletzt versucht werden, einen Beitrag zum Verständnis des Zusammenhangs zwischen Außenpolitik — die 1938 aus vielfältigen Gründen versagt hat - und Verteidigungspolitik im Hinblick auf die Unabhängigkeit und den Bestand unserer Republik zu leisten.

Egal, wie letztlich der Primat der Politik, die politische Führung des Heeres, die unterschiedlichen Vorschläge wertet, beurteilt und letztlich in Befehle und Aufträge zur Durchführung umsetzt, eines sollte innerhalb des Bundesheeres stets bedacht werden: Von Diffamierungen und negativen Etikettierungen einzelner Personen oder Dienststellen im Bundesministerium für Landesverteidigung muß Abstand genommen werden. Wenn wir dies zulassen, haben wir aus der Geschichte eigentlich nichts gelernt.

Der Autor, Oberst d. G., ist stellvertretender Leiter des „Büros für Wehrpolitik” im Kabinett des Bundesministers für Landesverteidigung.

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