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Militärische Vormacht und Entwicklungsgebiet mit Nimbus

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Die UdSSR ist eine Weltmacht Glaubt sie jedenfalls. Und macht es dementsprechend aller Welt auch vor. Mit raffinierter Feinheit den Entwicklungsländern, mit Zwang und notfalls „brüderlicher Hüfe“ ihren Satelliten, mit Arroganz und Täuschung dem Westen und Amerika. Nicht alle glauben es. Doch das sind wenige. Die meisten

-das sind viele - fallen auf den plumpen Trick herein. Dazu gehören Laienspieler wie Willy Brandt und Henry Kissinger. Die Deutschen oder Zeitgenossen deutscher Herkunft scheinen hier besonders empfindlich zu sein. Sonst gäbe es wahrscheinlich keine DDR; nicht so.

In Wirklichkeit steht dieser UdSSRes ist bezeichnend, daß historisch ungediehene Gebilde, genau genommen, Firmennamen tragen - in Wirklichkeit steht dieser UdSSR globale Würdigung allein in einem Faktum zu: in ihrer militärischen Potenz. Und das ist heutzutage, da dieselbe UdSSR „Entspannung“, „Frieden“ und „Zusammenarbeit“ predigt, nur sehr bedingt als redlich, rühmlich oder respektabel anzusehen, weil diese militärische Potenz eindeutig Offensivcharakter trägt. Ansonsten aber ist die UdSSR nicht mehr als das, was auch das alte Rußland war, ein nach wie vor asiatisch-europäisches Entwicklungsland. Trotz mannigfacher wirtschaftlicher Aufbauleistung, trotz technischer und wissenschaftlicher Erfolge, trotz Datenbanken oder Weltraumsatelliten.

Daß sie das alles auch besitzt und insgesamt auf Fortschritt zu verweisen hat, verdankt sie nicht zuletzt dem Westen und den USA, die Gelder in Mi-liardenhöhe, Ausrüstung und Know-how geliefert haben. Und dies auch weiter tun, wohlwissend - oder auch • nicht -, daß sie sich damit jenen Strick drehen, an dem man sie, laut Lenin, hängen will. (Es war zum Beispiel eine Firma aus Amerika, die Moskau jene Werkzeugbänke präsentierte, mit denen die Erzeugimg atomarer Mehrsprengköpfe überhaupt erst möglich wurde - man sollte ihr den höchsten Lenin-Orden zugestehen.)

Dennoch ist es dem Kreml über drei Jahrzehnte hin und bis zur Stunde nicht gelungen, den Westen wirtschaftlich und technologisch einzuholen oder, wie es Chruschtschow vorgesehen hatte, gar zu überrunden. Das sollte man als Tatbestand nicht unterschätzen. Entscheidend aber für die Haltung Moskaus ist die daraus erst vor kurzem extrahierte Einsicht, daß eben auch in Zukunft oder doch für absehbare Zeit ein Wettlauf zwischen Ost und West nicht zu gewinnen ist. Daß sich die UdSSR und ihre ZwangV verbündeten im Hintertreffen sehen. Daß diese ambitiöse Konkurrenz vergeblich ist, daß man sie füglich aufzugeben und damit das wohl wichtigste

Kriterium einer Weltmacht zu entbehren hat: vor allem wirtschaftlich und technologisch legitimen Führungsanspruch zu besitzen.

Es wäre freilich kaum zur Illusion geworden, wenn Moskau nicht von Anfang an der Schwer- und Rüstungsindustrie den Vorrang eingeräumt und sich damit der Möglichkeit benommen hätte, Ressourcen, eigenes Kapital und Arbeitskraft, Intelligenz, Kredite und das westliche Know-how zivilen Zwecken und der Förderung der Volkswirtschaft, der friedlichen Entwicklung zuzuführen. Das eine wie das andere zu meistern, hat sich für Moskau und die Ostblockstaaten als zuviel herausgestellt.

Wenn daher in der UdSSR nach 60 Jahren kommunistischer Beglückung noch immer Fleisch, Gemüse, Fett und andere Nahrungsmittel fehlen, wenn Polen und die Tschechoslowakei - und abgestuft auch andere Ostblockstaaten - nach 30 Jahren roter Diktatur zumindest ähnliche Versorgungsschwierigkeiten haben und überdies noch Strom und Kohle rationieren müssen, wenn das gesamte COME-CON beim Westen mit nicht weniger als 40,2 Milliarden Dollar in der Kreide steht, so hat das seine Wurzeln nicht nur im System. Es hegt vor allem daran, daß der Kreml als die selbsternannte Führungsmacht die eigenen Fehler auch auf andere übertragen und seine imperiale Vorherrschaft vor allem militärisch abgesichert hat; für sich und gegen seine Satelliten, für sich und gegen alle anderen, die diesem radikalen Machtanspruch, wo immer auch, entgegenstehen - in Westeuropa und Amerika, in Afrika und Asien.

Denn militärisch, wie gesagt, bläht sich die UdSSR durchaus zu einer Weltmacht auf. Das ist zwar nicht sehr imponierend, aber doch bedrohlich; und auf Bedrohung kommt es Moskau offensichtlich an. Nur so noch glaubt es seine Überlegenheit und seine fast schon missionarisch motivierte Welteroberungsidee verwirklichen zu können. Der Nebelvorhang der „Entspannung“ und der „Friedenspolitik“, an dem so viele auch im Westen wirken, ist letztlich nichts als - allerdings gekonnte - Camouflage. Der Kreml braucht sie, um die Welt zu täuschen, für ihn sind Wort und Wirklichkeit seit eh und je verschiedene Begriffe. Und nur die Einfalt seiner Gegner macht ihm das Doppelspiel noch immer leicht.

So kommt es denn, daß sich die UdSSR nicht erst seit gestern, aber doch mit Nachdruck friedlich und entspannungsfreudig gibt. Und dafür alles aktiviert, was ihr zur Irreführung nützlich zu sein scheint: „Abrüstungskomitees“ und „Friedenskonferenzen“, Gewerkschafts-, Frauen-, Jugendgruppen, die Presse, Propagandainstitute, der Wirtschaftsapparat und nicht zuletzt die kommunistischen Parteien Westeuropas - dazu zählt selbstverständlich auch die KPÖ -, soweit sie noch in Sold und Hörigkeit von Moskau oder seinen Satelliten sind. „Entspannung“ ist zur taktischen Notwendigkeit geworden. Zum einen deshalb, um zu übertünchen, daß sich der Kreml und der Ostblock insgesamt in einer vorerst ausweglosen Wirtschaftskrise wissen, zum andern deshalb, um die Überlegenheit auf militärischem Gebiet, die, wie sie meinen, einzig unbestrittene Vormachtstellung, weiter auszubauen.

Der Ostblock ist hier fraglos überlegen. 3000 Kampfflugzeugen, 15.000 Panzern und Einsatztruppen, die auf Anhieb die Million erreichen, stellt sich ein NATO-Kontingent von 1700 Kampfflugzeugen, 7000 Panzern und 780.000 einsatzfähigen Soldaten zum Vergleich; von Abschußrampen für Raketen oder maritimer Waffenüber-rundung gar nicht erst zu reden. So friedlich und entspannungsfreudig also kann die Politik des Kremls gar nicht sein, als daß man sie für bare Münze nehmen dürfte. Ein neuer Krieg jedoch - und darin liegt die Chance des Westens - scheint für die UdSSR und ihren Troß trotz dieser Überlegenheit nicht allzu aussichtsreich zu sein. Sie würden ihn, so wie die Dinge derzeit liegen, vor allem wirtschaftlich kaum überstehen. Wahrscheinlich auch nicht militärisch, weil da noch China ist.

Der Westen zeigt sich dieser Chance nur nicht bewußt, sonst würde er nicht unverwandt die Wirtschaftskraft des Ostens stärken und sich damit sein eigenes Grab bereiten. Gewissen Firmen wäre anzuraten,' auf Augenblickserfolge und dazugehörigen Profit zu pfeifen und sich auf andere Märkte einzustellen. Wenn irgend jemand Moskau in die Hände spielt und einen dritten Weltkrieg provoziert, so sind es die Geschäftemacher und die Banken, die sich in Kaviarlaune und in Wodkadunst auf schwächliche Gewinne konzentrieren. Gewiß, Geschäft muß sein, doch jeder Abschluß mit dem Osten ist ein nicht ungefährliches Politikum.

Es wird daher am Westen liegen, das endlich einzusehen und zu reagieren. Mit Augenmaß, Vernunft und Menschlichkeit. Nicht in Entspannungs-Duselei, im Taumel fraglicher Detente - das gilt für die Politiker - und nicht im Drang vermeintlich lohnender Geschäfte - das gilt für viele andere. Nochmals: die UdSSR ist ein - bis an die Zähne aufgerüstetes - Entwicklungsland. Zur Weltmacht reicht es nicht. Sie schafft sich diesen Nimbus nur. Und, wie sich zeigt, nicht ohne -mißverstandene - Resultate.

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