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„Militärs haben versagt”

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Die Friedensbewegung wird für ihre Rolle im Jugoslawien-Konflikt heftig kritisiert. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung weist diese Kritik zurück. Gewaltfreiheit sei realistische Politik - auch im Konfliktfall Jugoslawien.

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Die Friedensbewegung wird für ihre Rolle im Jugoslawien-Konflikt heftig kritisiert. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung weist diese Kritik zurück. Gewaltfreiheit sei realistische Politik - auch im Konfliktfall Jugoslawien.

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FURCHE: Der SPD-Politiker Erhard Eppler wird mit den Worten zitiert: „Angesichts von Massenvergewaltigungen in Bosnien ist die Friedenspredigt nicht die richtige Antwort.”

JOHAN GALTUNG: Pazifismus versucht, Frieden durch friedliche Mitteln herzustellen. Diese Pazifismus-Kritik kommt von Leuten, die überhaupt nichts damit zu tun haben und die noch dazu das alles in Bosnien ausgelöst haben. Ebenso könnte ich sagen, es wäre soviel besser gewesen, wenn man das alles vorher ein wenig durchgedacht hätte und mit friedlichen Mitteln vom ersten Punkt an gearbeitet hätte. Damit sage ich nicht, daß ich lOOprozentig überzeugt bin, daß man damit das Problem beseitigen kann. Wir haben es jedenfalls nicht getan, und wir haben die Vergewaltigungen gehabt.

FURCHE: Was halten Sie von einer Militärintervention?

GALTUNG: Ich bin überhaupt nicht überzeugt, daß eine militärische Intervention heute etwas anderes tun könnte, als mehr Menschen zu töten. Allerdings, wir haben auch noch nicht diese militärische Intervention gehabt. Man hat eigentlich überhaupt nichts getan. Deshalb ist Eppler auch nicht zu diesem Urteil über Pazifismus berechtigt. Dieses Urteil ist gleichzeitig auch ein Urteil über den Militarismus, der auch versagt hat, weil er noch nichts erreicht hat.

FURCHE: Es gibt die Situation, daß Generäle sich gegen eine Militärintervention aussprechen, während Politiker dafür sind.

GALTUNG: Die Generäle kennen die Okkupationsgeschichte Jugoslawiens und die Politiker meistens nicht. Die Generäle haben Ängste, weil sie wissen, was passieren kann. Zum Beispiel ein Guerillakampf über fünf, 50 oder 500 Jahre. Wir haben hier ja die Problemstellung: Wann wissen wir, daß wir Erfolg gehabt haben? Es gibt hier keine Erfolgskriterien.

FURCHE: Man unterstellt der Friedensbewegung, daß sie sehr wohl für Gewalt ist, wenn es gegen den richtigen Gegner geht, zum Beispiel gegen die USA?

GALTUNG: Das stimmt so nicht für die Friedensbewegung. Richtig ist, daß es Friedensgruppen gab, die sich energisch in der deutschen Raketendebatte engagiert haben - vielleicht, weil sie persönlich davon betroffen waren. Bei Serbien gibt es kein Risiko, man kann etwas gegen Serbien tun, und sie werden keine Raketen auf uns schießen, weil sie keine haben. Das war während des Kalten Krieges nicht der Fall. Man kann also sagen, es gab in der Friedensbewegung Elemente von bloßem Egoismus. Was ich von der Friedensbewegung kenne, ist, daß sie sich sehr und gewaltlos auch in Jugoslawien eingesetzt hat. Es gibt aber auch Stimmen für eine Militärintervention in Jugoslawien.

FURCHE: Ist für Sie Pazifismus tatsächlich ein Mittel der Politik?

GALTUNG: Ich rede nicht von Pazifismus, ich sage Gewaltlosigkeit, also Friede mit friedlichen Mitteln. Das ist für mich praktische Politik, realistische Politik und viel bessere Politik als die Gewaltpolitik. Frühzeitige Verhandlungen, die lange dauern, das ist eine gewaltlose Methode. Beispiel: die Helsinki-Konferenz, das ist für mich Gewaltlosigkeit, das ist Pazifismus. Wieviel da bei der Helsinki-Konferenz an

Beiträgen für das Ende des Kalten Krieges geleistet wurde! Am Ende war das aber eine Frage der Friedensgruppen und besonders der Dissidentenorganisationen. Ich sage immer: Wenn nur eine Bombe unter einen Streifenwagen in Leipzig gelegt worden wäre, dann hätten wir heute viel-1 leicht noch den Kalten Krieg.

FURCHE: Nun ist die KSZE doch in der Krise oder sehen Sie das anders?

GALTUNG: Der Helsinki-Prozeß ist deshalb in der Krise.weil die EG versucht hat, das alles zu monopolisieren. Helsinki ist ein Prozeß für alle Staaten Europas, die EG ist einer für zwölf. Die Krise der KSZE gibt es auch deshalb, weil es Beitrittskandidaten wie Österreich und Norwegen gibt, deren Regierungen nichts tun möchten, was als fehlender Glaube an die EG interpretiert werden könnte. Die Krise ist also nicht da, weil es etwas Falsches am Helsinki-Prozeß gab, sondern weil die KSZE ein ganz großer Konkurrent ist.

FURCHE: Gibt es überhaupt Beispiele, wo Pazifismus erfolgreich war?

GALTUNG: Nehmen Sie zum Beispiel Osteuropa 1989 - mit der Ausnahme Rumänien, wo es schlecht geendet hat. Das Jahr 1989 ist kein Beweis dafür, das Gewaltlosigkeit über alles andere zu stellen ist, aber das war ja eine ganz große Sache.

Dann gibt es da noch den Kolonialismus. Mit Gandhis Gewaltlosigkeit war es möglich, England aus Indien zu vertreiben. Damit wurde das Ende des britischen Kolonialismus eingeleitet und 30 Jahre später des Ende des Kolonialismus überhaupt. Wenn es also möglich ist, zwei solch große Blöcke von Problemstellungen zu einem großen Teil friedlich zu lösen, dann ist doch klar, daß Gewaltlosigkeit wichtig ist. Damit habe ich aber nicht gesagt, daß die Gewaltlosigkeit alle möglichen Problemstellungen lösen kann. Ganz allgemein: Ich kenne kein Problem in der Gesellschaft, das man nur mit einer Formel lösen kann. Was ich aber sehe, ist, daß sich in diesem grausamen Jahrhundert eine Welle der Gewaltlosigkeit verbreitet hat.

Das Gespräch führte Christoph Silber.

Fünf Vorschläge für ein Friedensengagement

Bei seinen Überlegungen zu einer friedlichen Lösung im ehemaligen Jugoslawien setzt der Friedensforscher Johan Galtung weniger auf Staaten und Regierungen, sondern „auf das enorme Netzwerk von Menschen guten Willens” und „strikte Unparteilichkeit”:

Vorschlag 1: Überziehen wir das Land mit 1.000 Konferenzen! Gleichzeitig mit Konferenzen auf

Regierungsebene sollen die Konfliktparteien auch auf lokaler und regionaler Ebene verhandeln.

Vorschlag 2: Ein Helsinki-Prozeß für Südosteuropa.

Vorschlag 3: Die Medien sollen endlich umfassend und differenziert informieren und sich auf ihr Potential „positiver” Konfliktsteuerung besinnen.

Vorschlag 4: Forcierung von Städte- und Kommunalpartnerschaften.

Vorschlag 5: Internationale Friedensbrigaden. Es gibt eine große Anzahl von mutigen Menschen, die sich freiwillig als „Friedensgeiseln” anbieten würden. Sie sollen eine Vermittlerrolle vor Ort übernehmen.

Auszug aus: EUROTOPIA. Die Zukunft eines Kontinents. Von Johan Galtung. Promedia Verlag, Wien 1993.

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