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„Minder wichtig“

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Am wichtigsten erscheint der österreichischen Bevölkerung jener Funkt des sozialistischen Regierungsprogramms, der zur größten Dikrepanz zwischen Versprochenem und Erreichtem führte; eine Untersuchung der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft führte zu dem Ergebnis, daß unter allen im Regierungsprogramm genannten Vorhaben der Kampf gegen die Preissteigerungen den Befragten am wichtigsten erschien — $9 Prozent gaben ihm Priorität.

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Am wichtigsten erscheint der österreichischen Bevölkerung jener Funkt des sozialistischen Regierungsprogramms, der zur größten Dikrepanz zwischen Versprochenem und Erreichtem führte; eine Untersuchung der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft führte zu dem Ergebnis, daß unter allen im Regierungsprogramm genannten Vorhaben der Kampf gegen die Preissteigerungen den Befragten am wichtigsten erschien — $9 Prozent gaben ihm Priorität.

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Allerdings folgt, im Kopf-an-Kopf-Rennen um die „Publikumsgunst“ mit nur einem Prozentpunkt Abstand, die „Erhaltung der Vollbeschäftigung“ dem Kampf gegen die Teuerung unmittelbar nach. 88 Prozent entschieden sich dafür, dies für das Wichtigste zu halten.

Selbst die Bekämpfung der Armut, die ein überwiegender Prozentsatz der Befragten nicht gerade für das sie selbst am unmittelbarsten betreffende Problem gehalten haben dürfte, wurde mit 62 Prozent Ja-Antworten von wesentlich mehr Menschen für „sehr wichtig“ gehalten als die Steuerreform, die die Befragten doch viel direkter anging und doch nur von 52 Prozent aller Befragten als „sehr wichtig“ eingestuft wurde.

Offen bleibt die Frage, ob dieser Sachverhalt die Informiertheit des Österreichers oder das Gegenteil beweist.

Eine Umfrage, in welchem Ausmaß sich der einzelne Österreicher durch die Preiserhöhungen belastet fühlt, Wurde ebenfalls vorgenommen. Leider, aber vielleicht auch wohlweislich, scheinen in dem im „Journal für angewandte Sozialforschung“ der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (Redakteur: Ble-cha-Mitarbeiter Albrecht K. Ko-necny) veröffentlichten Umfrage-Ergebnis nur Meinungen über Prozentsätze, nicht aber über absolute Zahlen, betreffend die Mehrbelastung der österreichischen Haushalte, auf. Immerhin geht, vergleicht man die Ergebnisse beider Umfragen, daraus hervor, daß offensichtlich die meisten Österreicher zu der traurigen, aber äußerst realistischen Ansicht neigen, daß alles, was ihnen die Steuerreform bringt, durch die Preiserhöhungen mehr als aufgezehrt wird. Und da die Mehrwertsteuer wohl von der überwiegenden Mehrzahl der Österreicher für einen Hauptverursacher künftiger Preissteigerungen gehalten wird, wissen sie, daß ihnen die eine Hand mehr nimmt, als ihnen die andere gibt.

Immerhin wußten 90 Prozent der Befragten, unter denen die Frauen, die älteren Jahrgänge, die Landwirte und mit 28,5 Prozent gegenüber 40,4 Prozent ganz offensichtlich auch die ÖVP- gegenüber den SPÖ-Wäh-lern unterrepräsentiert waren, daß Steuerreformen bevorstehen. Mehr Österreicher als je zuvor scheinen entschlossen, aus der Haltung einer Partei in der Frage von Steuerreformen Konsequenzen für eine künftige Wahlentscheidung zu ziehen. 47 Prozent der Befragten bekundeten, sie würden eine Partei, die sich gegen eine Steuerreform ausspricht, wieder wählen, 33 Prozent (und somit mehr als je zuvor) erklärten, sie würden dies nicht wieder tun.

Interessant für die Regierung, aber auch für die Opposition: Die Lohn- und Einkommensteuer wird wesentlich härter empfunden als die Umsatzsteuer, sowohl unter den leitenden Angestellten und Beamten als auch in der Gruppe der SPÖ-Wähler (die einander selbstverständlich teilweise überschnitten) nannten 69 Prozent die Lohnsteuer, und nur 9 Prozent die Umsatzsteuer als belastendste Steuer. Offensichtlich ist auch jenen Schichten, die auf Grund geringen Einkommens und entsprechend geringer direkter Steuerleistung wesentlich höhere Beträge an (mit den Preisen entrichteter) Umsatzsteuer bezahlen, dieser Umstand bisher nicht ins Bewußtsein gedrungen.

Die Mehrwertsteuer läßt hier allerdings Änderungen erwarten, denn sie bringt auch optisch erhöhte Transparenz: Auf Rechnungen, aber auch auf vielen Preisschildern in den Auslagen, ebenso aber auch in Prospekten und sonstigen Angeboten wird künftig die Mehrwertsteuer als gesondert ausgewiesener Betrag kraß ins Auge fallen. Was dazu führen wird, daß die indirekten Steuern plötzlich sehr viel direkter empfunden werden.

Die Umfrage über das „Preisbewußtsein“ der Österreicher ging, soweit aus den veröffentlichten Resultaten ersichtlich, einigen heißen Eisen im weiten Bogen aus dem Weg. So wurde den Befragten eine Liste möglicher Maßnahmen vorgelegt, wie man der Preissteigerungen Herr werden könnte, aber unter den Alternativen von besserer Zusammenarbeit in der Paritätischen Kommission über Streiks, Lohn- und Preisstopp, verstärkten gewerkschaftlichen Kampf bis zu der Suggestivfrage „angenommen, man könnte einen Preisauftrieb stoppen, indem man Arbeitslosigkeit erzeugt. Wie würden Sie sich dazu stellen?“ (40 Prozent „dagegen“, 42 Prozent „ganz entschieden dagegen“) schien selbstverständlich eine erhöhte Zurückhaltung auf dem Sektor der vom Staat erlassenen Tarife als Alternative nicht auf.

Ein hoher Prozentsatz der Befragten wußte, daß die Preise in Österreich weniger stark gestiegen sind als in zahlreichen anderen Ländern. Das Fazit könnte heißen: Realismus und Resignation. Wobei man sich fragt, ob sich das Resultat der Untersuchung wirklich auf die kesse Formel bringen läßt, die das „Journal für angewandte Sozialforschung“ als Titel wählte: „Preise — Herrn Österreichers Trauma wird abgebaut.“

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