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Minderheit in der DDR

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Zweisprachige Ortstafeln, Verwendung der Muttersprache bei den Behörden - wie lebt eine sprachliche Minderheit in einem kommunistischen Staat?

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Zweisprachige Ortstafeln, Verwendung der Muttersprache bei den Behörden - wie lebt eine sprachliche Minderheit in einem kommunistischen Staat?

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Die zweisprachigen Ortsbezeichnungen fallen schon im Fahrplan auf: Bautzen/Budissin, Kamenz/Kamjenc, Crostwitz/ Chroscicy. Wer von Dresden aus in Richtung polnischer Grenze fährt, trifft mit ihnen in natura ebenso zusammen wie einer, der abseits der Autobahn nach Norden zielt.

In der Lausitz ist man nicht so zögernd mit der Anbringung beider Namen auf einem Ortsschild wie im südlichen Kärnten. Wenn man aber — wie in Crostwitz — beobachtet, daß Ladenaufschriften nur in Sorbisch gehalten sind, daß Straßennamen zuerst die slawische, dann erst die deutsche Bezeichnung tragen, dann kann man sicher sein, mitten im Siedlungsgebiet der Minderheit zu sein.

Wie viele sind es heute noch, die in der Ober- und Niederlausitz und nördlich davon im Spreewald sorbisch sprechen, eine westslawische Sprache, mit viel Ähnlichkeiten zum Polnischen und Slowakischen? Die eigenen Vertreter sprechen von 80.000. Nur wenige Orte besitzen noch sorbische Mehrheiten. Im Landkreis Bautzen sollen sie etwa ein Drittel der Bevölkerung stellen. •

Und dabei war einst, vor tausend Jahren, das ganze Gebiet ostwärts der Ebbe slawisch besiedelt. Die deutsche Ostkolonisation zerschlug die einheimischen Herrschaftsformen. Die deutsche Ober schichte machte aus den eingesessenen Slawen — Wenden genannt — ein Volk von Bauern, Handwerkern und Dienstboten. Noch zwischen den Kriegen fielen sonntags in Berlin die „Spreewälder Ammen” mit ihren Flügelhauben nur dem Fremden auf. Es gab ja viele von ihnen.

Das Siedlungsgebiet der Sorben erstreckte sich im alten Deutschland über die Königreiche Sachsen und Preußen — und die verschiedene Herrschaft wirkte sich auch auf die Entwicklung der Minderheit aus.

Knapp ein Drittel der Sorben ist heute katholisch — aber das sehr aktiv. Und das vor allem im südlichen, einst sächsichen Gebiet. Die katholischen Theologen studierten einst zu einem guten Teil in Prag und wurden so zu Vorkämpfern des slawischen Nationalbewußtseins.

Nach den Zeiten des NS-Regi-mes, das die aktivsten sorbischen Seelsorger zwangsversetzen ließ, um den Menschen ihren nationalen Rückhalt zu nehmen, baut die DDR ihre Minderheitenpolitik demonstrativ im Sinn der Förderung der Sorben auf. 1948 nahm der sächsische Landtag das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung” an.

Darin wird betont, die sorbische Bevölkerung genieße gesetzlichen Schutz und staatliche Förderung ihrer Sprache sowie ihrer kulturellen Bestätigung und Entwicklung. Für ihre Kinder sind Grund- und weiterbildende Schulen mit sorbischer Unterrichtssprache und deutschem Sprachunterricht vorgesehen. Bei Behörden und Verwaltungen in den gemischten Gebieten ist neben Deutsch auch Sorbisch zugelassen.

Trotz aller großen Phrasen, die bei der Verabschiedung gedroschen wurden, war die damals initiierte Minderheitenpolitik sehr praktischen Überlegungen zu verdanken.

Unmittelbar nach Kriegsende lag die Idee eines eigenen sorbischen Staats unter dem besonderen Schutz des verwandten „großen Bruders” gar nicht so abseits — in einer Zeit, da man noch vom ganzen Deutschland unter vierfacher Besetzung ausging und dieser Sorbenstaat bis in dessen Herz hineingereicht hätte. Dem wollte man vorbeugen.

Heute ist die sorbische Minderheit das Aushängeschild für die Liberalität der DDR, wenn ihre Volkstanzgruppen das Land im Ausland repräsentieren. Und die „Domovina”, der sorbische Kulturverband, ist fest in Händen der SED-Funktionäre, die für die ideologische Ausrichtung sorgen.

Trotzdem ist nicht alles Gold, was glänzt, sieht die Praxis mitunter anders aus, als die Propaganda es wahrhaben will.

Ein erst vor wenigen Monaten im Domowina-Verlag erschienenes Buch mit Äußerungen zur Sorbenfrage aus 300 Jahren zitiert einen frühen Beitrag des SED-Organs „Neues Deutschland”, in dem kritisiert wird, daß die sorbischen Lehrer ihre Änstellungsge-suche in Bautzen in deutsch abgeben sollten — „anderthalb Jahre nach Annahme des Sorbengesetzes”, also 1949.

Ist es inzwischen besser geworden? Man bekommt nur zögernd Antwort. Aber wenn das Gesuch um die Erlaubnis zum Bau eines kirchlichen Kindergartens auf kirchlichem Grundstück, mit eigenen Mitteln und in Eigenarbeit der Gemeinde bis zum Volkskammerpräsidenten gehen muß, um durchgesetzt zu werden, dann scheint irgendwo jemand zu bremsen...

Im Rahmen dieser Pfarre gibt es 4.800 katholische Gläubige, zum überwiegenden Teil Sorben, die nicht nur bei den traditionellen Kirchenfesten, wie beim Osterrei-ten, selbstverständlich in den alten Trachten aufziehen. Nicht wenige Frauen der mittleren und älteren Generation tragen sie auch unter der Woche.

Für diese 4.800 Gläubigen, die zu 80 Prozent am Gottesdienst teilnehmen, stehen ein Pfarrer mit zwei Kaplänen und eine Ordensfrau als Seelsorgehelferin bereit. In den vier Gottesdienststätten der Pfarre gibt es am Sonntag zehn Messen — je fünf in deutsch und in sorbisch.

Die Geburtenrate der Sorben liegt wesentlich höher als die der deutschen Bevölkerung. Trotzdem stagniert die Bevölkerungszahl: die Jungen wandern ab.

Auf dem Land gilt Baustopp. Für junge Familien gibt es keine Wohnungen; Wasser und Energie sind knapp. Man könnte sie herleiten, aber die Regierung fördert die Städte, speziell die giganto-manischen Satellitensiedlungen, die rund um die alten Städte aus dem Boden wachsen.

Dort sind auch die jungen Sorben willkommen. Aber dort gibt es keine Kirchen, keine Seelsorgeeinrichtungen. Dort ist die Betreuung fast unmöglich.

Es hat lange gedauert, bis kürzlich in der Propaganda-Satellitenstadt Marzahn bei Berlin ein katholisches Gemeindezentrum grundgelegt werden konnte. Aber die Sorben der Lausitz haben wenig davon.:.

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