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Minderheit und gewichtiger Faktor: Die Christen

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Wie gewaltig auch Begeisterung und Frustration wegen des Ausgangs der indischen Wahlen sein mögen - beides weist auf einen friedlichen und großen politischen Umsturz hin, der keine Entsprechung in der Geschichte des unabhängigen Indien findet Die Kongreßpartei, die seit der Unabhängigkeitserklärung unbestrittener Repräsentant des indischen Volkes war und dreißig Jahre lang das Land oft mit massiven Mehrheiten zentral, fast immer aber in den Teilstaaten regierte, wurde aus ihrer Machtposition geworfen. Durch all die vorangegangenen Jahre war der Kongreß von den christlichen Kirchen unterstützt worden. Wie wird sich nun der Regierungswechsel auf die christlichen Kirchen und ihre Arbeit auswirken? Um dieser Frage die richtige Proportion innerhalb eines so großen Landes zu geben, muß zunächst die Stellung der christlichen Kirchen im politischen Kontext Indiens definiert werden.

Die christlichen Kirchen sind nicht regelmäßig über das Land verteilt Sie bilden eine kleine Minorität mit weniger als drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Historisch betrachtet könnte man sie in drei Gruppen einteilen. Zunächst die größte Gruppe, deren Geschichte in die Zeit des Apostels Thomas zurückgeführt wird. Sie besteht in Kerala, dem südlichsten Staat des Subkontinents. Sie ist stark, sowohl was ihre Zahl, als auch, was ihren sozialen und wirtschaftlichen Status betrifft Da diese „Thomas-Christen” in einem einzigen Gebiet konzentriert sind, fallen sie dort politisch ins Gewicht.

Dann wäre von den katholischen und den protestantischen Kirchen zu sprechen. Ein Teil der Katholiken gehört dem orientalischen Ritus an. Besonders starke katholische Gruppierungen gibt es, dank den Portugiesen, entlang der Westküste, in Mangalore, Goa und Bombay. Etwa eine Million lebt im Staate Tamilnadu, die anderen sind hier und dort verstreut. Die Protestanten sind so gut wie überall anzutreffen. Protestantische und katholische Christen bilden je eine Gruppe von etwa sieben Millionen (was jeweils der Bevölkerung Österreichs entspricht). Nur in Kerala und einigen kleinen Staaten Nordindiens bilden die Christen einen gewichtigen Faktor auf Staatsebene. In vielen Teilen Nordindiens gehören sie zu den wirtschaftlich Schwächsten.

Der Einfluß hingegen, den die Christen ausüben, ist durch ihre Arbeit im Erziehungs- und Gesundheitswesen, ihre Position im Wirtschaftsleben und in den Ämtern größer, als es die Zahlen anzuzeigen vermöchten. Die Organisation, die von der Kirche ihren Mitgliedern angeboten wird, gibt diesen die Möglichkeit, ihre Ansichten offen vorzubringen und, wenn sie entscheiden, dies auf kraftvolle, bestimmte Weise zu tun. Die Beziehungen zwischen Regierung und Kirchen verstärkten sich im Lauf der Jahre. Für die katholische Kirche trat die Bischofskonferenz, in einigen Fällen die

„Katholische Union” als Sprecher auf. Der „Nationale Rat der Christen” und die „Indische Christliche Union” nahmen diese Aufgabe für die protestantischen Kirchen wahr.

Wenn die christlichen Kirchen bisher im allgemeinen auch auf seiten der Kongreßpartei standen, läßt sich daraus nicht schließen, daß die Christen im März auch überall für den Kongreß gewählt hätten. Und noch weniger kann daraus geschlossen werden, daß sie sich gegen die neue Regierung stellen. Drei Minister dieser neuen Regierung gehörten früher der Jana Sangh Partei an. Nun hätte es nur wenige Christen gegeben, die nicht beunruhigt gewesen wären, wenn die Jana Sangh Partei die Wahlen allein gewonnen hätte. Diese Partei, die sich so extrem hinduistisch gebärdete, erweckte den Anschein - und vielleicht war dem auch so -, in aller Schärfe antimohammedanisch und antichristlich zu sein. Wäre also Jana Sangh allein an die Macht gelangt, so hätten die Kirchen gewiß mit Schwierigkeiten rechnen müssen. Durch den Zusammenschluß der Jana Sangh mit anderen Parteien zur Janta-Partei fand jedoch eine Ausbalancierung extremer Positionen statt, so daß es - wie aus dem Manifest der Janta-Partei und aus der Arbeit der Janta-Regierung hervorgeht - klar ist, daß den Christen gegenüber in einem gewissen Ausmaß die Haltung der früheren Kongreß- Regierung beibehalten werden wird.

Die gegenwärtige Regierung hat übrigens auch erklärt, daß sie die falsche Familienplanung des vorangegangenen Regimes korrigieren werde.

Es besteht jedenfalls kein Grund zur Furcht, das Recht, die eigene Religion auszubreiten, könnte angetastet oder die in Indien wirkenden ausländischen Missionare könnten belästigt werden. Auch besteht kein Grund zur Angst um die Gewährung finanzieller Hilfe seitens der Regierung für christliehe Schulen und Institutionen, obwohl freilich vor nicht allzu langer Zeit vom Obersten Gerichtshof die Gültigkeit von „Anti-Bekehrungsgesetzen” in zwei Teüstaaten bestätigt wurde.

Hingegen erwartet man, daß der Regierungswechsel ein großes Problem, das im Süden Indiens zur Zeit der Wahlen diskutiert wurde, beseitigen werde. Es handelt sich dabei um die Ernennung der katholischen Bischöfe. Die frühere Regierung hatte sich ein Mitspracherecht Vorbehalten, angefangen von einer kritischen Überprüfung der Kandidaten bis zum Veto. Dieser Vorbehalt war der Grund für ein Aussetzen der Bischofsernennungen während mehr als achtzehn Monaten. Es war vermutlich nur der Wahlkampf, der die frühere Regierung bewogen hat, ihre Ansprüche nicht in die Tat umzusetzen.

Man könnte nun fragen, ob es Christen auch in der Janta-Partei gibt. Kein Zweifel, es gibt sie. Aber noch interessanter ist es, zu wissen, ob Christen in der Legislative oder im Ministerium zu finden sind. Die Zahl der Abgeordneten ist relativ klein, die Zahl der Minister noch kleiner. Da ist Herr George Femandes, Minister of Communications, der einer frommen katholischen Familie entstammt. Doch wäre es gewagt, zu behaupten, daß er ein besonders aktiver oder glühender Katholik sei.

Wie immer sich auch das Verhältnis,

zwischen Christen, Parteien und Regierung entwickeln mag - die Haltung der neuen Regierung gegenüber den christlichen Kirchen wird wohl nicht so sehr von den Christen in der Janta-Partei als von den Christen im ganzen Lande bestimmt werden, von Christen, die Bürger sind wie alle anderen auch und die, wie jedermann, von der Janta-Partei eine faire und demokratische Regierung erwarten.

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