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Minderheiten in Rumänien

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Wi nige haben davon Kenntnis, daß die zahlenmäßig größte nationale Minderheit in Europa jene Ungarn sind, die innerhalt der Rumänischen Sozialistischen Republik leben, vornehmlich im Landesteil Siebenbürgen, Ihre Zahl beträgt nach offiziellen rumänischen Angaben des Jah res 1977 etwa 1,7 Millionen, nach inoffiziellen, jedoch den Tatsachen eher entsprechenden Angabc n zwischen 2,2 und 2,5 Millionen ! Renschen.

Außer Rumänien und Ungarn sowie k eineren Volksgruppen findet man in diesem Balkanstaat noch eine größere Gruppe von Deutschen: die Siebenbürger

Sachsen und die Banater Schwaben. Ihre Zahl wird auf etwa 330.000 geschätzt und nimmt von Jahr zu Jahr ab. Im Gegensatz zur ungarischen Minderheit wird ihre Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland von den rumänischen Behörden geduldet, wenn auch keineswegs gefördert.

Uber Geschichte und Problematik der nationalen Minderheiten in Rumänien, beziehungsweise in dessen siebenbürgischem Landesteil, liegt nun ein ausgezeichnetes Buch vor. Der Verfasser, ein guter Kenner der Verhältnisse Rumäniens und kundig der Sprachen der dort lebenden Nationalitäten, hat seine längjährigen Untersuchungen, die er teilweise an Ort und Stelle führte, in sechs große Kapitel gegliedert.

In der Einführung schildert er anhand einer umfangreichen wissenschaftlichen Dokumentation die historische Vergangenheit Siebenbürgens (ungarisch: Erde-ly; rumänisch: Ardeal, bzw. TVan-silvania), das seit dem frühen Mittelalter Heimat dreier Nationen (Rumänen, Ungarn und Siebenbürger Sachsen) ist.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Siebenbürgen zwischen Ungarn und Rumänien aufgeteilt.

1945 fiel de facto, 1947 de jure ganz Siebenbürgen erneut an Rumänien — in Anbetracht der politischen und militärischen Dienste des Königreichs für seinen Frontwechsel im August 1944 — und weil das von Bukarest zurückgeforderte Nord-Siebenbürgen mit 1,4 Millionen Ungarn und einer Million Rumänen eine Art territoriale Kompensation für den Verlust der östlichen Provinzen an die Sowjetunion gewesen war.

Alle diese komplizierten und menschlicher Dramatik nicht entbehrenden Schicksalsjahre der Nationalitäten werden ohne Emotion in einem besonderen Kapitel des vorliegenden Buches behandelt.

Die Wende in der offiziellen rumänischen Nationalitätenpolitik trat Mitte der sechziger Jahre ein und hing eng mit der Entfaltung der eigenwilligen Hausmacht von Staats- und Parteiführer Nicolae Ceausescu zusammen. Hatte anfänglich der rumänische Staat unter gewissen politischen Vorzeichen großen Wert darauf gelegt, die nicht rumänischen Nationalitäten ideologisch für sich zu gewinnen und Gleichberechtigung für die „vom Klassenjoch endlich befreiten Nationalitäten" zu gewährleisten, änderte sich diese Haltung zunehmend ab Ende der sechziger Jahre.

So sank zum Beispiel die über zwei Millionen zählende ungarische Minderheit in den Status zweitrangiger Bürger in ihrer Heimat ab. Die Analyse dieser Politik ist ein wesentlicher Bestandteil des Buches, das nicht nur die rechtliche Lage der Nationalitäten im Detail untersucht, sondern auch die feindselige anti-minori-täre Kampagne der Behörden an Hand von Fakten entlarvt. Diese streben eine rasche Assimilierung der Minderheiten im Interesse eines aus Bukarest gesteuerten Einheitsstaates an.

Was das Schulwesen, die Kirchen- und Religionsfragen beziehungsweise die kulturelle Entwicklung der Nationalitäten - in der Rumänischen Sozialistischen Republik betrifft, sind diese Gegenstand weiterer Kapitel des Buches.

Ein reiches wissenschaftliches Quellenmaterial (35 Seiten umfaßt allein das Literaturverzeichnis) mit mehreren statistischen Tabellen runden das Werk ab. Dieses Buch wird sowohl wegen seines Themas, als auch wegen der prekären Problematik der Nationalitätenfrage in Rumänien — leider — seine Aktualität noch lange Jahre bewahren und somit als eines der unentbehrlichen Standardwerke über Theorie und Praxis der Minoritäten in einem sozialistischen Lande gelten.

NATIONALE MINDERHEITEN IN RUMÄNIEN. Siebenbürgen im Wandel. Von Elmer Illyes. Band 23 der Schriftenreihe Ethnos. Wilhelm Braunmüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung, Wien 1981.322 Seiten, geb., öS 390,-

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