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„Mini-Armee“ hat eine Chance

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Die größten Manöver seit Bestehen des Bundesheeres sind vorbei: Die über 30.000 Mann, die im westlichen Niederösterreich im Raum Ybbs-Amstetten geübt hatten, vor allem um das neue Konzept der Raumverteidigung („Stichwort“, S. 2) zu prüfen, sind wieder in ihre Kasernen oder behaglichen Wohnstuben zurückgekehrt. Eine genaue

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Die größten Manöver seit Bestehen des Bundesheeres sind vorbei: Die über 30.000 Mann, die im westlichen Niederösterreich im Raum Ybbs-Amstetten geübt hatten, vor allem um das neue Konzept der Raumverteidigung („Stichwort“, S. 2) zu prüfen, sind wieder in ihre Kasernen oder behaglichen Wohnstuben zurückgekehrt. Eine genaue

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Manöverbilanz der „Raumverteidigungsübung 79“ zum jetzigen Zeitpunkt zu ziehen, wäre sicher noch verfrüht. Was aber die FUR- CHE-Redakteure Christof Gaspari als

Mitwirkender und Burkhard Bischof als Beobachtender erlebt, gesehen und gehört haben, läßt Schlüsse über den derzeitigen Zustand des Bundesheeres und die Wirksamkeit des neuen Verteidigungskonzeptes zu.

„Die Schlacht ist geschlagen“, hörte man einen der 27.500 Soldaten erleichtert aufatmen, als am vergangenen Donnerstag um 14 Uhr das Ende der „Raumverteidigungsübung 79“ verkündet wurde. Man wußte zwar, was er damit ausdrücken wollte, in der Wortwahl hatte er sich dennoch vergriffen:

Denn die Schlacht“ als solche hat in dem für Österreich maßgeschneiderten Konzept der Raumverįeidi- gung keinen festen Platz mehr. Nicht von ungefähr heißt der Titel des Buches, in dem Armeekommandant General

Emil Spannocchi dieses Konzept geistig entwirft, „Verteidigung ohne Schlacht“ (1979 als Taschenbuch auch bei dtv erschienen).

Es hat Skeptiker genug gegeben, die Zweifel an dieser Verteidigungsdoktrin nach Spannocchi angemeldet haben. Der bekannte Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker hat in der Einleitung zum Buch

„Verteidigung ohne Schlacht“ deren kritische Gegenfragen zusammengefaßt:

„Was ist der operative Vorteil eines länger hingezogenen Kampfes, dessen Ausgang gleichwohl gewiß ist? Wo bleibt die Abschreckungswirkung der - in der Doktrin flexibler Reaktion - mit für den Gegner inkalkulablen

Eskalationsrisiken verbundenen Schlachtordnung? Und wird nicht die Zivilbevölkerung in diejenige Verstrickung mit dem Kampfgeschehen gezogen, die zu verhindern einer der Hauptvorteile des klassischen

Schlachtordnungskonzepts ist?“

Fragen, auf die auch die „Raumverteidigungsübung 79“, bei der das neue Verteidigungskonzept erstmals auf Herz und Nieren geprüft werden sollte, keine Antworten geben konnte; zumal die zivile Komponente bei diesen

Manövem vernachlässigt wurde und sich die psychologischen Momente nicht ohne weiteres von einer Übung auf den Ernstfall projizieren lassen. Die Antworten auf die von den Skeptikern aufgeworfenen Fragen müssen also -

Gott sei Dank - theoretisch bleiben.

In der Tat, es gehört der „Mut zum Risiko“ dazu - wie auch General Spannocchi feststellte - konventionellen Verteidigungsdoktrinen den Rücken zu kehren und neue Wege zu gehen. Und dieser „Mut zum Risiko“ ist nicht nur eine Sache der Militärs: jeder einzelne Österreicher, der sich mit den Verteidigungsanliegen unseres Landes identifiziert, muß ihn aufbringen. Denn „Raümverteidigung heißt totaler Krieg im gesamten Bundesgebiet mit allen blutigen Konsequenzen für die gesamte Bevölkerung“, schrieb die „Neue Zeit“.

Dennoch muß festgehalten werden - und das zeichnet sich schon seit Jahren ab -, daß das Bundesheer viel an Stellenwert gewonnen hat. Vielleicht, weil Zuversicht mit dem neuen und eigenen Verteidigungssystem an die

Stelle von Skepsis getreten ist, daß man gegen einen übermächtigen Gegner mit einer „Mini- Armee“ ja sowieso keine Chance habe.

Man hat sehr wohl eine Chance, wenn man in seinen Verteidigungsanstrengungen glaubwürdig bleibt, wenn man selbst einer überlegenen Militärmacht vor Augen führt, daß ein Durchmarsch durch das „offene militärische Transitland Österreich“ wenig Sinn hat, weil - so der Manöverleiter Generalmajor Helmut Ber ger - „der Preis für die Fahrkarte durch Österreich zu teuer wird“.

Bei aller Zurückhaltung, die man dem Eigenlob der Militärs im Zusammenhang mit den Ergebnissen der diesjährigen Manöver entgegenbringen muß, die gezeigten Leistungen waren beeindruckend:

„Mann, Roß und Wagen“ (Spannocchi) haben der Belastung wirklich standgehalten, die Raumverteidigung ist kein luftleeres Ding, Schlüsselzonen sind gegen einen übermächtigen Gegner einigermaßen zu verteidigen, der

„Kampfgeist“ auch der Reservisten war über allen Erwartungen - obwohl Regen und Schneetreiben die Soldaten tagelang in höchstem Maße beanspruchte - das derzeitige Panzerabwehrsystem ist verantwortbar.

General Spannocchi sparte bei der abschließenden Pressekonferenz auch nicht mit Kritik. Unteranderem führte er aus:

• Das Luftabwehrproblem ist theoretisch nicht gelöst, zumal es wegen der miserablen Witterung auch praktisch nicht erprobt werden konnte. In einem Gespräch mit der „FURCHE“ präzisierte der Armeekommandant, daß insbesondere die Abwehr von Kampfhubschraubem noch mangelhaft sei. Dabei müßte gerade bei der Raumverteidigung mit dem massiven Einsatz von Kampfhubschraubern gerechnet werden.

• Die Führungsqualität in der untersten Führung sei noch unbefriedigend und könne vermutlich auch mit Freiwilligkeit bei der Auswahl nicht beseitigt werden.

• Bei der Ausrüstung für den leichten Jagdkampf seien Mängel zutage getreten, die verbessert werden müßten. „Totaler Regenschutz“ sei aber eine Wunschvorstellung.

Der Chef der „blauen“ Verteidiger bei diesen Manövem, Oberst d. G. Emst Märker, glaubt darüber hinaus, daß auch in der Jägerausbildung noch so manches besser gemacht werden müsse.

Zur Raumverteidigung, deren Wirksamkeit Oberst Märker als Kommandant der „Blauen“ sicher am besten testen konnte, meinte er: „Jedenfalls haben wir feststellen können, daß ein Aggressor in den

Raumsicherungszonen empfindlich gestört und die Schlüsselzonen ver-

teidigt werden können. Die Schwierigkeiten, die dabei aufgetreten sind, sind graduell und können sicher überwunden werden.“

Wenn Oberst Märker der Raumverteidigung durchaus große Wirksamkeit bescheinigt, muß das herausgestrichen werden. Denn er ist der Raumverteidigung früher - so betonte er jedenfalls der „FURCHE“ gegenüber -

ebenfalls mit kritischer Distanz gegenübergestanden …

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