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Minister Tuppys Visionen

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Österreichs Wissenschaft könne sich sehen lassen, müsse aber selbst über die Grenzen hinausschauen, meint der neue Bundesminister für Wissenschaft und Forschung.

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Österreichs Wissenschaft könne sich sehen lassen, müsse aber selbst über die Grenzen hinausschauen, meint der neue Bundesminister für Wissenschaft und Forschung.

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Österreichs neuer Wissenschaftsminister hat große Visionen: Österreich braucht einen Modernisierungsschub, der es wieder in das Spitzenfeld der Nationen bringt - kulturell, sozial, wirtschaftlich und vor allem wissenschaftlich. Der Minister ist der Meinung, daß die Voraussetzungen dafür vorhanden sind oder geschaffen werden können, auch wenn die Mittel beschränkt sind.

Hans Tuppy: „Es gibt bedeutende Wissenschaftszweige, wo der materielle Aufwand weniger entscheidend ist als die hervorragende Forscherpersönlichkeit.“ In den Geisteswissenschaften, in den Sozialwissenschaften braucht man auch Geld, aber nicht so viel, daß ein kleines Land überfordert wäre. In der Großforschung muß

man sich an gemeinsamen Projekten beteiligen, um seinen Beitrag leisten zu können.

„Zunächst also sollten uns jene Gebiete naheliegen, die einen besonderen Nahbezug zum geographischen, geopolitischen, kulturellen Raum besitzen“, erläutert der Biochemiker Tuppy:

• Die Sprachwissenschaften, die die Sprachen der Nachbarländer behandeln^

• die historischen Studien, die für unsere Identität wichtig sind;

• die Alpinstudien, mit denen das Geopotential des Landes ausgeschöpft werden kann;

• die künstlerischen Gebiete an ihren Nahtstellen zur Wissenschaft.

„Wir müssen auf allen Gebieten der Forschung so weit mithalten.

daß wir gute Leute haben, die Forschungen der andern im Auge behalten und mitverwenden und darauf aufbauend einen Schwerpunkt setzen können!“

Im Koalitionspapier wird die Umwelttechnologie besonders hervorgehoben. In den Materialwissenschaften gewinnen neue Materialien große Bedeutung. In der Informationswissenschaft kann Österreich mithalten. Im Bereich der Biotechnologie war Tuppy selbst Vorsitzender einer Kommission der Rektorenkonferenz zu Fragen der künstlichen Befruchtung.

Tuppy: „Hier können wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten einsetzen!“ „Internationalität“ heißt sein liebstes Stichwort. Österreich verzeichnet bereits Erfahrungen und Erfolge beim CERN, dem europäischen Hochenergielabor in Genf. Wir sind der ESA, der Europäischen Raum-

fahrtorganisation, beigetreten, und bei den bevorstehenden Gesprächen mit der Europäischen Gemeinschaft wird die wissenschaftliche Zusammenarbeit einen wichtigen Platz einnehmen.

Kooperation steht auch mit den Nachbarn im Osten und Südosten, mit den USA, mit Japan, auf dem Programm.

„Ich war in letzter Zeit stark an der Ansiedlung eines internationalen Instituts für Molekulare Pathologie in Wien beteiligt“, berichtet Tuppy, noch vor wenigen Tagen Präsident der Akademie der Wissenschaften.

Das Institut soll von zwei amerikanischen und einer deutschen Firmengruppe finanziert und von Bund und Land gefördert werden. Als Chef konnte ein bekannter Schweizer Wissenschaftler gewonnen werden. Fünf Universitätsinstitute werden mitarbeiten.

Aber für internationale Zusammenarbeit ist Mobilität nötig, mehr, als heute gewöhnlich vorausgesetzt werden kann. Tuppy fordert „Pioniergeist“: „Wir verfügen über begabte Leute, die allerdings einer ständigen Fortbildung bedürfen.“ Die Angebote für Auslandsaufenthalte werden viel zu wenig wahrgenommen, vor allem jene, die Sprachkenntnisse voraussetzen.

Der Minister verweist auf die Schrödinger-Stipendien, die seit einigen Jahren jungen Wissenschaftlern einen Auslandsaufenthalt finanzieren. Noch haben sie sich nicht genügend ausgewirkt.

Wenn etwa bei Berufungen und Anstellungen Auslandserfahrun-

„Man darf die Verantwortung des Wissenschaftlers nicht überspannen“

gen besser gewertet würden, müßte auch das Interesse an solchen Angeboten steigen.

Tuppy zählte immer zu jenen Wissenschaftlern, die auf die Verantwortung des Forschers hinwiesen: „Zunächst ist es Sache der Wissenschaftler, gemeinsam mit den ihnen Anvertrauten und der breiteren Öffentlichkeit, ihre Verantwortung wahrzunehmen, nicht die Sache des Ministers. Das kann auch nicht Sache von Geset-

zen sein, obgleich solche auch zur Stützung notwendig sein können.

Auch Gesetze nützen nichts, i wenn nicht in den Institutionen der Wissenschaftler akzeptiert wird, daß es eine ernste Verantwortung zu tragen gilt — für die, die forschen, und für die, die von der Forschung betroffen werden können.“

Und weiter: „Ich unterstütze aber nicht die Forderungen, die da lauten, daß der Forscher schon alle Möglichkeiten ausdenken muß, die sich aus seinen Forschungen ergeben könnten, und daß er sie vorwegnehmend schon durchdenken müßte. Das geht über das Zumutbare hinaus. Man darf die Verantwortung des Wissenschaftlers nicht so überspannen, daß für ihn gar keine zukunftsorientierte Arbeit mehr möglich ist.

Wenn von Grenzen der Wissenschaft die Rede ist, darf man darunter nicht nur verstehen, was nicht zu überschreiten ist, weil diese Überschreitung nicht zu verantwortende Gefahren in sich birgt. Grenzen sind auch etwas, was man überschreiten muß - im Englischen gibt es den Unterschied zwischen ,limit* — nicht überschreitbar—und ,f rentier* als überschreitbare Grenze. Der Appell an die Verantwortung des Wissenschaftlers darf nicht zur Immobilisierung führen. Ethik ist Anleitung zum Handeln, nicht zum Nichthandeln!“

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