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„Ministerium für Sprichwörter“

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Wo immer eine Fehlentwicklung auftritt, wird heute nach Eingriffen des Staates gerufen, ganz so, als ob damit bereits alle Probleme gelöst wären oder sich zumindest im Handumdrehen lösen ließen. Das Ausmaß an Unfehlbarkeit, das einem angemaßten säkularisierten Kollektiv-Papst zuerkannt wird, geht weit über das hinaus, was die katholische Kirche je beansprucht hat. Kaum daß sich noch eine Stimme dagegen erhebt: Liberale, ja Konservative, die modern sein wollen, fortschrittliche Christen mit einem Maximum an Skepsis gegenüber dem päpstlichen Anspruch, „konzedieren“ den Politikern und Experten in zunehmendem Maß eine erhöhte Entscheidungsfähigkeit — ein paradoxes Phänomen, da die meisten von ihnen gleichzeitig dieselben Politiker und Experten menschlich verachten, der Korruption, Unfähigkeit und schlimmerer Dinge zeihen. Es geht um irrationale Heilserwartungen, um die unkritische Hoffnung, daß Probleme, welcher Art sie immer seien, allein schon dadurch zu lösen wären, daß man neue staatliche Kompetenzen schafft.

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Wo immer eine Fehlentwicklung auftritt, wird heute nach Eingriffen des Staates gerufen, ganz so, als ob damit bereits alle Probleme gelöst wären oder sich zumindest im Handumdrehen lösen ließen. Das Ausmaß an Unfehlbarkeit, das einem angemaßten säkularisierten Kollektiv-Papst zuerkannt wird, geht weit über das hinaus, was die katholische Kirche je beansprucht hat. Kaum daß sich noch eine Stimme dagegen erhebt: Liberale, ja Konservative, die modern sein wollen, fortschrittliche Christen mit einem Maximum an Skepsis gegenüber dem päpstlichen Anspruch, „konzedieren“ den Politikern und Experten in zunehmendem Maß eine erhöhte Entscheidungsfähigkeit — ein paradoxes Phänomen, da die meisten von ihnen gleichzeitig dieselben Politiker und Experten menschlich verachten, der Korruption, Unfähigkeit und schlimmerer Dinge zeihen. Es geht um irrationale Heilserwartungen, um die unkritische Hoffnung, daß Probleme, welcher Art sie immer seien, allein schon dadurch zu lösen wären, daß man neue staatliche Kompetenzen schafft.

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Das Merkwürdige ist, daß auch die nichtsozialistische Seite den fundamentalen Unterschied zwischen einer Gesetzgebung, die bestimmte Problemkreise durch klare, verbindliche Normen regelt und einer solchen, die bloß der öffentlichen Hand Kompetenzen zuschanzt, nicht mehr zu erkennen imstande ist. So etwa soll die neue fast schon beschlußreife Bonner Umweltschutz-Legislatur, die unter bürgerlicher Mitwirkung entstanden ist und vielfach von bürgerlicher Seite vehement verteidigt wird, tiefe Eingriffe in Eigentumsund Verwaltungsgewalt bringen, wodurch der öffentlichen Hand große Entscheidungsbefugnisse zugespielt werden, ohne daß deswegen die Gewähr für sachgerechte Lösungen geboten ist. Der richtigen Erkenntnis, daß alle diese Probleme nicht privatem Gutdünken überlassen bleiben können, folgt der falsche Schluß, daß es genüge, die Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand anheimzustellen und ihrer „automatisch“ richtigen Entscheidung zu überlassen.

Die heutige Konfusion der nichtsozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaft in allen diesen Fragen ist um so unverständlicher, als diese in früherer Zeit der Lösung solcher Fragenkomplexe schon auf der Spur war. Man denke an das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre, um das es merkwürdig und grundlos still geworden ist.

Die Umweltmaterie als Gesamtkomplex ist in Wien noch lange nicht so gesetzreif wie in Bonn; in Teilgebieten und in anderen Komplexen zeigt sich aber auch bei uns bereits deutlich, daß sich die Entwicklung in die gleiche Richtung bewegt: es werden diverse Maßnahmen von zweifelhafter Sachqualität, aber höchster gesellschaftspolitischer

Effektivität getroffen oder in die Wege geleitet.

Ansätze wie auch Ziele sind in Österreich vielfach sogar radikaler als in der Bundesrepublik, einfach deshalb, weil die sozialistische Praxis auf Grund einer jahrzehntelangen Entwicklung schon weiter gediehen ist und für weitere Vorstöße daher eine günstigere Startpostition besteht. So zeichnet sich immer deutlicher die Tendenz ab, für Mini-Leistungen auf sachlichem Gebiet Maxi-Kompetenzen für die öffentliche Hand und ihr nahestehende Institutionen zu arrogieren.

Statt zum Beispiel Stadtplanung und Raumordnung durch eine für Private wie für die öffentliche Hand gleichermaßen verpflichtende Weise zu regeln, wird ein Assanierungsund Bodenbeschaffungsgesetz ausgearbeitet, das kommunaler Willkür Tür und Tor öffnet.

Überall Show-Effekte oder gesellschaftspolitische Intentionen an Stelle sachbezogener Maßnahmen. Es verspricht nichts Gutes, wenn eine der ersten — vorläufig nur verbalen — „Taten“ der damals erst designierten Gesundheitsministerin darin bestand, den Parteifreunden in Eisenstadt den ministeriellen Sanc-tus für die geplante Brücke über den Neusiedlersee zu geben, ohne erst die sehr fundierten Einwände von kompetenter Seite geprüft zu haben.

Besteht nicht überhaupt die Gefahr, daß dieses Ressort ohne Mittel und Kompetenzen zum „Ministerium für Sprichwörter“ wird? Aber mit Redensarten und Traktätchen, mit Aktivitäten womöglich nur dort, wo es sich gesellschaftspolitisch „auszahlt“, ist weder der Umwelt noch der Gesundheit gedient. Daß die Ministra eifrig Tagungen besuchen, aufmerksam zuhören und gelegentlich sogar eigenhändig Notizen machen soll, ist zwar sehr freundlich von ihr, hilft aber kaum weiter.

Was soll eine Gesundheitspolitik, die mit jährlich 500 Millionen Schilling auskommen möchte — wobei offenbar der Umweltschutz gleich mit drein gehen soll? Die Bundesrepublik Deutschland etwa will für den Umweltschutz allein bis 1975 40 Milliarden DM ausgeben, von denen — das liegt in der Natur der Sache — die Hauptlast die öffentliche Hand treffen dürfte. Auf österreichische Größenordnungen übertragen, würde dies bedeuten, daß wir den ungefähr gleich hohen Schillingbetrag locker machen müßten. Finanzierte die öffentliche Hand auch nur die Hälfte des Aufwands, so beliefe sich dieser auf 20 Milliarden Schilling bis 1975, also unvergleichlich mehr als alle öffentlichen Hände — vom Bund bis zu den Gemeinden — im günstigsten Fall für diesen Zweck bereitstellen. Solange sich aber keine Lösungen für die Beschaffung der nötigen Mittel abzeichnen, hat die Errichtung eines Ministeriums, das nur Mittel verschlingt, keinen Sinn.

Beispiel: Alkoholsteuer

Neue Steuern auszudenken ist, wenn überhaupt, Sache des Finanzministers und nicht der Umwelt-und Gesundheitsministerin. Die als Königsplan verkündete Sonderbesteuerung der harten Alkoholika und womöglich Erhöhung auch der normalen Alkoholsteuer klingt zwar vielversprechend, weil sie jene zur Kasse bittet, die durch ihren Lebenswandel besonders krankheitsanfällig sind; scheinbar werden zwei Fliegen auf einen Schlag getroffen: die Verteuerung der Alkoholika steuert den Alkoholismus, und die Trinker finanzieren unsere Gesundheit.

Aber so leicht lassen sich die Probleme nicht lösen. Schon rein logisch ergibt sich ein Widerspruch: schreckte (was, nebenbei bemerkt, unwahrscheinlich ist) die neue Steuer viele Trinker vom Alkoholgenuß ab, so würden sich die Mittel für den Gesundheitsdienst verringern; wir müßten daher im Interesse der Volksgesundheit den Alkoholismus von Staats wegen propagieren (wie das beim Nikotingenuß zugunsten der allgemeinen Staatsfinanzen ohnehin schon der Fall ist).

Natürlich ist das eine Milchmädchenrechnung; natürlich werden die Einkünfte aus der zusätzlichen Alkoholbesteuerung nicht einmal dazu ausreichen, die Trinkerheilstätten zu finanzieren, geschweige den allgemeinen Gesundheitsplan (der uns verheißen wurde). Aber diese Milchmädchenrechnung wird uns insinuiert, wenn wir — man merkt die Hand des Meisterregisseurs an der Regierungsspitze — anläßlich der neuen Alkoholbesteuerung zur Volksabstimmung darüber aufgerufen werden sollen, „was uns die Gesundheit wert ist“.

Daß sich die Regierung in diesem Fall auf die gottlob auch im trinkfreudigen Österreich vorhandene Mehrheit der Nicht- oder Wenigtrinker verlassen kann, ist von vornherein klar. Auf Kosten der Alkoholiker — und auch auf Kosten der eigenen sporadisch gekauften Cog-nac- oder Whiskyflasche — ist ihr, mit Recht, für die Gesundheit nichts zu teuer. Wozu also die kostspielige

Show einer Volksabstimmung, deren Ergebnis bereits jetzt feststeht? Doch nur, um aus billigem Anlaß eine „Woge der Sympathie“ in Gang zu setzen, aus dem „freudigen Ja“ der Österreicher in diesem Fall eine Zustimmung zur Regierungspolitik in toto herauszulesen — und dann auch dem Wahlvolk zu suggerieren.

Aber alles gegen die Vorgaukelung der Illusion, wir könnten uns die ernsten und schwerwiegenden Probleme, deren Lösung uns unter den Nägeln brennt, finanziell vom Hals schaffen, indem wir sie auf die Almosen der Sondersteuern verweisen. Alles gegen die Auffassung, daß gerade die heute wichtigsten Aufgaben des Staates diesen nichts kosten dürfen, daß alle neuen Aufgaben immer nur durch neue Steuern und nicht auch durch bessere, zeitgemäßere Verwendung der Vorhandenen Mittel gelöst werden müssen.

Finanzminister, Regierung und Parlament müßten sich endlich über eine Prioritätenliste einigen — die aber dann auch eingehalten wird; in dieser hätten Umwelt und Gesundheit ganz oben zu rangieren — allenfalls noch zusammen mit Bildung und der besseren Altenfürsorge. Alle übrigen Aufgaben — auch wenn sie größeren politischen Profit abwerfen — hätten demgegenüber zurückzustehen, müßten vielleicht sogar zurückgestutzt werden. Solange diese Forderung utopisch ist, werden, so steht zu befürchten, auch ein Umweltschutz und eine Gesundheitspolitik, die diesen Namen wirklich verdienen, Utopie bleiben. Trotz Volksabstimmung.

Nun könnte man das Ganze als einen — zwar kostspieligen — politischen Gag abtun, bestünde nicht die Gefahr, daß hier Motorik mit Aktivität verwechselt wird, und die Bevölkerung glaubt, daß mit ihrem Ja auf eine Suggestivfrage auch im Bereich der Sachprobleme etwas geschehen wäre. In Wirklichkeit hat sich die Regierung damit nur geschickt an den eigentlichen Problemen vorbeilaviert.

Und hinter alldem steckt Methode; eine Methode, die nicht auf Österreich beschränkt ist, sondern weltweit gehandhabt wird, wobei dank einer falschen Weichenstellung, oft an einer einzigen Stelle, der Zug unaufhaltsam in Richtung wachsender Staatsallmacht weiterbraust. Dieser Schaltfehler passiert aber zumeist dort, wo an Stelle der notwendigen Kontrolle und der gesetzlichen Verankerung gewisser Normen einfach nur die Kompetenzen öffentlicher Institutionen — die selbst kontroll-und normenbedürftig wären — ausgeweitet werden.

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