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Mischung von guten Ideen und Irrtümern

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Angesichts der in Österreich eher spärlichen politischen Gegenwartsliteratur ist jede Publikation ein Gewinn, durch welche ein - noch dazu aktiver - Politiker Einblick in seine Motivationen und Vorstellungen gibt. In einer krisenhaften Phase in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen, vor allem im Staate, erweckt ein Untertitel wie „Wirtschaftspolitik als Gesell-scHaftspolitik“ und noch dazu „in der Welt von morgen“ hohe Erwartungen. Der schon unmittelbar nach ihrem Erscheinen beachtliche Widerhall zeigt, wie groß das Bedürfnis ist, die Ideen kennenzulernen, die hinter der bisher teils nur schwer ergründbaren und daher vermißten, teils sehr heftig kritisierten Linie des finanzpolitischen Kurses in Österreich stehen.

Die Erwartungen werden - was den Bereich der Finanzpolitik betrifft -nicht enttäuscht. Das Buch bringt in den ersten 90 Seiten einen eigens dafür geschriebenen Beitrag, in den übrigen 200 Seiten - gut gegliedert - Auszüge aus Vorträgen, Referaten und Artikeln. Wer sich von der Euphorie des Klappentextes nicht irritieren läßt („Es scheint an der Zeit festzuhalten, was dieser Politiker denkt!“), wird nicht enttäuscht sein: der als Sozialdemokrat firmierende, aber in vieler Hinsicht undogmatisch denkende Autor stellt Konzepte zur Diskussion und läßt freizügig Einblicke in Bereiche zu, in denen er ganz einfach irrt, meist sogar in guter Gesellschaft

Hier fehlt leider der Raum, um auf die zahlreichen postitiven Vorschläge einzugehen, die den Autor als selbständig denkenden Parteipolitiker ausweisen.

Manches steht freilich - Berufsrisiko! - in deutlichem Widerspruch zu seiner politischen Praxis. Androsch will einer Investitionslenkung nicht

das Wort reden (S. 57) - dennoch ist er der wesentlichste Initiator der Investitionslenkung mittels der Vergabe zinsverbilligter Kredite durch ein Ministerkomitee.

Androsch ist für eine Beseitigung mobilitätshemmender sozialrechtlicher Vorschriften (S. 78), die Hortung von Arbeitskräften in den verstaatlichten Betrieben aber ist eine der Säulen der Vollbeschäftigungspolitik der gegenwärtigen Regierung. Androsch bekennt sich zum Grundsatz, daß nur dort, wo mehr produziert wird, auch mehr verteilt werden kann (S. 79), dennoch steht der Vorrang der Verteilungspolitik ungebrochen im Vordergrund der Politik der Regierung, der er als Vizekanzler angehört.

Seiner Meinung nach muß die Ausgabendynamik durch teilweisen oder gänzlichen Entfall gewisser öffentlicher Ausgaben gemildert werden (S. 78), seine Budgetpolitik läßt davon wenig erkennen. Seiner Meinung nach muß „die Zeitachse der herkömmlichen Planung länger gezogen werden“ (S. 81), in der Praxis wurde aber dem Vorbild der früher üblichen Budgetvorschauen nicht nur nicht gefolgt, sondern ihre Erstellung durch den Beirat für Wirtschfts- und Sozialfragen sogar verhindert Trotz seiner Erkenntnis, daß die Machbarkeit der Konjunktur ein Irrglaube ist (S. 95), hält er an dem damit verbundenen Irrtum fest, daß durch staatliche antizyklische Ausgaben Dauerbeschäftigung geschaffen werden kann (S. 81). Nicht mehr zu verwundern ist der Versuch, die Vollbeschäftigungspolitik mittels manipulierter Arbeitslosenraten als Erfolg auszuweisen (S. 50 und S. 65ff).

Er vertritt den Standpunkt, daß die staatliche Konjunktur- und Strukturpolitik unternehmerische Initiativen und Entscheidungen nicht tragen kann (S. 102), zu einem Zeitpunkt, wo die Entkapitalisierung der Unternehmungen durch die Steuerpolitik schon so weit fortgeschritten ist, daß sie auf verbilligte Kredite angewiesen sind, die von einem Ministerkomitee vergeben werden. Die Grenzen der Einkommenbesteuerung werden erkannt (S. 199) und die Meinung vertreten, daß in nahezu allen Industriestaaten der Welt die Belastbarkeit der öffentlichen Haushalte eine Obergrenze erreicht hat (S. 74) und es auch Grenzen der Belastbarkeit auf dem Gebiete der Sozialen Sicherheit gibt (S. 76) - die Konsequenzen daraus werden aber nicht gezogen.

Mit dem Vertrauen in den Staatskredit zur Lösung konjunktureller und struktureller Probleme (S. 147 u. a.) sind die den Staatskredit - nach Androsch eine „tragende Säule der Demokratie“ (S. 151) - betreffenden Stellen die schwächsten. In der Frage der Staatsverschuldung argumentiert der Autor immer noch in erster Linie gegen diejenigen, denen (seit Cicero) jegliche Staatsschuld suspekt ist, obwohl heute die Gefahr wohl durch die droht, die davon nicht genug haben können. Die Steuerquote (S. 184) ist sehr wohl auch eine ideologische Frage. Hierin erweist sich Androsch letzten Endes doch als überzeugter Etatist.

Naiv oder bewußt verzeichnet ist die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft (mit bewußter zweiter Einkommensverteilung und politischen Rahmenbedingungen) als System, wie es bestenfalls vor der Phase des staatlichen Interventionismus gegeben war (S. 114), ebenso die Bagatellisierung natürlicher Spannungen zwischen Staat und Wirtschaft (S. 124).

Ein schwacher Teil ist der auf die internationale Politik bezugnehmende: Die Marshall-Plan-Idee Kreisky's ist infolge der auf die Entwicklungsländer nicht zutreffenden Voraussetzungen ohne Falschetikettierung heute nicht wiederholbar.

Da es ein System (frei) flexibler Wechselkurse - wie der Autor selbst sagt (S. 32) - heute nicht gibt, kann auch nicht gut behauptet werden, daß „das auf flexiblen Wechselkursen beruhende Währungssystem nicht den gewünschten Erfolg brachte oder bringt“ (S. 34)! Auch wird heute - diesem Irrtum unterliegen viele - ein falscher Kausalzusammenhang gesehen: Der Verzicht auf feste Kurse erfolgte nicht aus der Uberzeugung, daß das derzeitige System besser ist, sondern weil es die mehr oder weniger naheliegende Antwort des internationalen Währungssystems auf die Unterlassungen der nationalen Wirtschaftsund Währungspolitik war und derzeit leider immer noch ist, wenn man ein Wechselkurssystem freier Marktanpassung als uriddurchführbar betrachtet.

Die Vorteile des Abgehens von festen Kursen haben sich sehr wohl eingestellt und zwar genau dort, wo sie erwartet wurden: Länder wie die Schweiz und die Bundesrepublik haben damit die importierte Inflation erfolgreich bekämpft Die Zahlungsbilanzdefizite sind nicht wegen des Wechselkursregimes (S. 36), sondern

infolge der sinnlosen Uberliquidität im Weltwährungssystem immer größer geworden, die den Druck in Richtung auf nationale Anpassungsmaßnahmen immer wieder mildern, wenn nicht gar beseitigen.

Daß Österreich seinen Schilling-Außenwert nach einem Währungskorb orientiert, in dem die Währungen der wichtigsten Handelspartner gewichtet enthalten sind (S. 32), ist schon lange her: heute orientiert sich die Oesterreichische Nationalbank nach dem D-Mark: Dollar-Kurs in Frankfurt.

Am interessantesten sind die Ansätze zu grundsätzlichen steuerpolitischen Konzeptionen. Zuzustimmen ist, daß das Schwergewicht der Besteuerung in Hinkunft weniger auf der Einkommenserzielung (auf den direkten Steuern), sondern mehr auf die Einkommensverwendung (den indirekten Steuern) gelegt werden muß, aber auch in angemessener Weise auf die Gebühren und Tarife, für die ja unmittelbar Leistungen erbracht werden (S. 78).

Sehr problematisch ist der Vorschlag, daß die Einkommensbesteuerung (Einkommen-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer) getrennt werden soll: nämlich in eine möglichst niedrige Betriebssteuer, um die Investitionen und die Bereitschaft für Forschung und Innovationen zu fördern. Zum Ausgleich möchte Androsch aber die Entnahmen stärker besteuern (S. 59). Zusätzlich bedenklich wird dieser Vorschlag, wenn die Vorteile der Verwendungsorientierung der Einkommensbesteuerung durch ertrags neutrale Vermögensbesteuerung kompensiert werden soll (S. 202).

Daß die Präferenz des Autors für fixe Subventionen vor progressionsmildernden Freibeträgen (S. 199) ideologisch bedingt ist,'hat die „Furche“ erst kürzlich festgehalten.

Überflüssig beeinträchtigt wird diese interessante Publikation durch die etwas zu aufdringliche Image-Pflege der Herausgeber nicht nur durch den Abdruck von Tisch- und anderen Gelegenheitsreden, die in natura wahrscheinlich gut gewirkt haben, für die eine Veröffentlichung aber offensichtlich des Guten zu viel ist.

STAAT STEUERN GESELLSCHAFT, Wirtschaftspolitik als Gesellschaftspolitik in der Welt von morgen. Von Hannes Androsch, herausgegeben von Beppo Mauhart und Hans Di-bold, Verlag Orac, Wien 1978, 300 Seiten, öS 228-

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