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Mißbrauch mit dem Willen des Volkes

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Österreichs Parteien, vorab die regierende, leisten sich derzeit Starkes mit den Wählern. Nun soll es in absehbarer Zeit eine zweite Volksabstimmung über die Kernkraft geben - weil das Volk sie angeblich will.

Natürlich muß das Parlament sich mit den beiden Volksbegehren befassen, die derzeit für und gegen Zwenten-dorf laufen, sofern die nötige Unterschriftenzahl aufgebracht wird. Das Klägliche daran ist die fehlende Bereitschaft der verantwortlichen Parteiführer, zu führen, statt sich zu verstecken.

Einige Herren an der Spitze tun so, als ob sie überhaupt keine Meinung hätten, auch keine Hand pro oder kontra Atomkraft rühren, sondern ausschließlich den Willen des Volkes vollziehen wollten.

Gleichzeitig aber treiben andere Personen und Parteifreunde derselben Herren von unten her dieses Volk an, doch für Zwentendorf zu unterschreiben. Das ist ein armseliges Doppelspiel.

Tatsache ist, daß sich die bekannten Voraussetzungen seit der Volksabstimmung 1978 nicht geändert haben: weder die wirtschaftlichen noch die technischen noch die sicherheitlichen. Wir haben auch damals gewußt, daß für Zwentendorf Ersatz gefunden werden muß, daß das Nein uns etwas kosten wird, daß weitere ölverteuerungen unvermeidlich sind und die Energieabhängigkeit vom Osten riskant ist. Man tue jetzt nicht so, als wäre dieses alles neu.

Tatsache ist ferner, daß sich die Volksstimmung keineswegs dramatisch geändert hat. Wie seriöse Umfragepraktiker zugeben, käme bei gewissenhafter Aufteilung der Unentschlossenen im Moment eher ein noch deutlicheres Nein zu Zwentendorf als vor zwei Jahren heraus.

Aber selbst wenn es anders wäre: Die Entscheidung fiele knapp genug aus, daß die jeweils Unterlegenen, durch das schlechte Beispiel verdorben, sogleich wieder Ausschau nach dem nächsten Volksbegehren halten würden.

Wollen wir eine neuerliche leidenschaftliche Auseinandersetzung quer durch Familien, Gruppen, Kirchen und Parteien? Wird die Volksabstimmung Uber die Wiener Stadtautobahn jetzt auch wiederholt, weil ein paar es sich überlegt haben könnten? Fragen wir die Wähler schon 1982 wieder, ob sie nicht doch einen anderen Bundespräsidenten haben möchten? Warum führen wir nicht gleich zweijährige Wahlperioden ein?

Auf das Volk zu hören, ist gut und richtig. Aber nicht in Form ständiger Abstimmungen und vor allem nicht, wenn man dem Volk vorher unterschwellig einredet, daß es seine Meinung ändern soll, und sich dann als heldenhafter Vollzieher des Volkswillens aufspielt.

Es mag sein, daß die Regierung neue Gründe hat, die eine Entscheidung in der Kernkraftfrage beeinflussen könnten. Dann aber muß sie diese auf den Tisch legen, Farbe bekennen und ihrer Führungspflicht nachkommen.

Wenn es aber so ist, wie Bundeskanzler Kreisky in einem „Presse”-Inter-view schon am 4. Jänner 1980 gesagt hat („. .. hätte man vielleicht wirklich den Mut haben sollen, zu sagen, also gut, dann bauen wir es eben nicht...”), dann wird der Bundeskanzler sich in den Spiegel schauen müssen, um zu erfahren, wer „man” sein müßte.

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