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Mißbrauchte Erde

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Nach dem Zweiten Weltkrieg, einer Zeit des wirtschaftlichen Wiederaufbaues und einer weltweit expandierenden Industrie wurde das Wirtschaftswachstum zu einem erstrangigen Ziel der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Dieser Industrialisierungsprozeß hat aber zu Umweltzerstörungen geführt. Allerdings sind Vegetationsschäden keine Erscheinung unserer Zeit. Wissenschaftler vermuten schon in der Bronzezeit in waldreichen Tälern der erzhaltigen Gebirge Waldschäden in unmittelbarer Umgebung von Erzhütten.

Der Club of Rome sieht fünf Determinanten, die das globale Weltsystem tragen, aus dem Gleichgewicht geraten: Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und Kapitalbildung, Ernährungslage, Rohstoffgewinnung und Umweltverschmutzung.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist gestört, aber nicht zerstört. Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit zeigen Ansätze zu einer neuen Grundeinstellung gegenüber der Natur.

Die Soziallehre der Kirche behandelt neben dem Eigentum an Produktionsmitteln und der menschlichen Arbeit die Funktion der Darbietungen der Welt als Produktionsmittel für die menschliche Lebensführung. Früher betonte die Ökonomie die Gleichgewichtung der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden. Heute schlägt der verdrängte Faktor Boden — Natur verstärkt zurück.

Dies erfordert ein gründliches Nachdenken über den Zustand des heutigen Menschen, über das gestörte Welt- und Menschenbild sowie über den Platz des Menschen in der Schöpfung. Immer müssen wir auch die Grenzen sehen, die unserem Handeln gesetzt sind. Dies sind die Rechte der anderen und auch die Gemeinwohlerfordernisse. In besonderer Weise gilt dies auch für die Entscheidungen im Bereich der Umweltpolitik.

Der Mensch muß feststellen, daß in der Treue zu den Grundwerten des Humanen menschliches Dasein glückt und in der Untreue mißglückt. Das alleinige Vertrauen auf die Vernunft hat ebenso versagt wie das exzessive Mißtrauen gegen sie. In diesem grenzenlosen Vertrauen auf die Vernunft wurzelt die Wachstumsideologie.

Im Gegensatz dazu äußert sich die Antiwachstumsideologie nicht selten als Flucht in die Innerlichkeit oder in die Vergangenheit, aber eine Rückkehr in ein vortechnisches Zeitalter kann keine Lösung der gegenwärtigen Schwierigkeiten bringen. Exzessives Mißtrauen wie exzessives Vertrauen gegenüber der Vernunft zeigt in gleicher Weise den Verlust des Maßes.

Die Zerstörung der Umwelt ist nicht ein frei schwebender Prozeß, sondern Auswirkung gestörten und entordneten Menschseins. Wirtschaft und Technik sind nicht Selbstwerte, sondern Dienstwerte im Dienste menschlicher Selbstverwirklichung. Wirtschaft und Technik sind auf die optimale Entfaltung des Menschen in seinen sozialen und naturalen Gegebenheiten hingeordnet.

Der Wirtschaftskreislauf hängt von der verschiedenartigen Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Umwelt ab: Erstens werden regenerierbare und nicht regenerierbare Ressourcen der Umwelt entnommen und entweder direkt konsumiert oder im Produktionsprozeß eingesetzt; zweitens wird Abfall im weitesten Sinne des Wortes (Kuppelprodukte bei Produktion und Konsum) an die Umwelt abgegeben.

Umweltethik ist ein Teilbereich der Wirtschaftsethik, weist aber nüber diese hinaus. Jeder Staatsbürger erwartet von der Politik, daß sie eine ethische Basis hat; im besonderen gilt dies auch für die Umweltpolitik. Umweltfragen sind auch für den „Mann von der Straße“ Gewissensfragen geworden, haben also ethische Relevanz und setzen ethisches Verhalten voraus (etwa bei Tempolimit, Energieverwendung, Abfallverwertung). Umweltpolitik muß immer an ethisches Verhalten appellieren, ein bloß rechtlicher Rahmen genügt nicht.

Verschiedene Alternativbewegungen geben viele Denkansätze, die auf ihre Konsequenzen oft noch nicht durchdacht sind. Manches ist für das christliche Denken positiv zu bewerten—wie etwa die Verminderung materieller Bedürfnisse oder Abgehen von einer unbeschränkten Wegwerfgesellschaft. Viele der Alternativideen gehen jedoch von einem ganz anderen Menschenbild aus und fordern vollkommene Lösung von der Technik, stellen traditionelle Werte in Frage oder lehnen die bestehende „bürgerliche Gesellschaftsordnung“ radikal ab.

Manche Alternativbewegungen preisen auch eine Art Selbstversorgung, verbunden mit einem wirtschaftlichen Rückschritt an. Dies entspricht aber nicht der Realität der heutigen Zeit und verlagert die Probleme auf andere — auch soziale — Bereiche. Menschliches Zusammenleben ist nur dann möglich, wenn nicht nur ein gesellschaftlicher Bereich im Vordergrund steht. Es geht um einen Interessenausgleich aller in Einklang mit dem Gemeinwohl. Der Mensch hat die Aufgabe, sich die Erde Untertan zu machen (Genesis 1,28): Dieser mit der Schöpfung gegebene Auftrag verbindet sich mit der Verpflichtung, diese Welt so weiterzuentwickeln, daß sie eine geeignete Lebensbasis für die sich immer mehr entfaltende menschliche Gesellschaft bleiben kann (Alfred Klose).

Der Autor ist Abteilungsvorstand an der Religionspädagogischen Akademie in Wien.

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