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Mißbrauchte Jugendliche

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FURCHE: Was hat uns Sarajevo noch zu sagen, hat es im Hinblick auf heutige Probleme so etwas wie Aktualität?

MANFRIED RAUCHENSTEINER: Ich bin nicht sicher, daß es überhaupt noch möglich ist, einen Bogen zum Heute zu schlagen und ob dies sinnvoll ist. Es handelt sich hier ja nicht mehr um Zeitgeschichte. Das alles ist durch mindestens zwei historische Schichten zugedeckt.

FURCHE: Nun war ein wichtiger Faktor der Krise der Monarchie, des Auseinanderstrebens ihrer Völker, der Nationalismus. Die Welt ist voll von Nationalismus.

RAUCHENSTEINER: Auch wenn man das Nationalitätenproblem heranzieht, wird es schwer möglich sein, auf wirkliche Parallelitäten zu verweisen. Dies würde ja auf eine Wiederholbarkeit der Geschichte hinauslaufen.

FURCHE: Also ein historisches Datum, aus dem keine Lehren mehr zu ziehen wären?

aufzugeben oder doch zu verringern. Man wollte also die serbische Regierung zu einer bestimmten Handlungsweise zwingen.

FURCHE: Paßte das Attentat nicht auch manchen österreichischen Kräften ganz gut ins Konzept?

RAUCHENSTEINER In Österreich löste es vieles aus, was auch schon langfristig in Entwicklung war. Es ist ein Stagnationsprozeß hin zum Jahr 1914 zu beobachten. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, besonders auch im Nationalitätenbereich, aber auch in der Wirtschaft, geht es einfach nicht mehr weiter. Im Grund genommen beseitigt nun dieses Attentat eine Hemmschwelle. Aber das ist nicht nur in Österreich-Ungarn, sondern auch inSerbienundletztlich inganz Europa der Fall.

FURCHE: Die Hemmung, „selbst für die Wahrung der eigenen Interessen zu sorgen und zu diesem Ende an die Gewalt der Waffen zu appellieren“, wie bei Kriegsausbruch an allen Plakatsäulen zu lesen war?

RAUCHENSTEINER Dabei ist allerdings der Kurzschluß nicht zulässig, das Attentat hätte den Krieg direkt ausgelöst. Das Attentat selbst löst keinen Krieg aus, sondern eine Krise. Diese Krise wird genützt. Und es entsteht etwas, was wahrscheinlich wirklich niemand gewollt hat Ich unterstelle niemandem, einen Weltkrieg gewollt zu haben.

FURCHE: Auch nicht dem Wilhelminischen Deutschland, dessen Juniorpartner wir sozusagen waren?

RAUCHENSTEINER In dieser Beziehung scheint mir Österreich- Ungarn nicht der Junior-, sondern der schon etwas zittrige Seniorpartner des deutschen Reiches gewesen zu sein. Er hat dann wohl auch alles zu spüren bekommen, was ein noch etwas kraftstrotzenderer Jüngerer dem Älteren antun kann.

DozentDr.Manfried Rauchenstein er leitetden Militär historischen Dienst de» Bundesministerium« für Landesverteidigung und lehrte österreichische Geschichte an der Universität Wien. Mit ihm sprach Hellmut Butts-weck.

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