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Missis Struck ist in der Tat nicht happy

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„Missis Struck is not happy“, den Satz sagt laut und vom Lautsprecher noch verstärkt ein bebrillter Mann im Zuschauerraum während der Diskussion. Gut rasiert, dicklich, salopp, auf britische Art elegant, dabei ein bißchen steif, Professor an der Universität Bradford. Und ehemaliger Sowjetbürger. Professor Stromas stammt aus dem Baltikum. Er gehört zur neueren Schar der Emigranten, gehört zu den Leuten, die man „sowjetische Dissidenten“ nennt, und hat nun — in Alpbach, im überfüllten Saal — das Wort ergriffen. Er sieht ein, daß Mrs. Struck nicht glücklich sein kann, da um sie herum die allgemeine Atmosphäre recht gedrückt sei, entmutigend, enervierend, und außerdem wird ja alles mit jedem Tag noch viel schrecklicher. Sind andere Leute vielleicht ein wenig unglücklicher? Wer weiß?

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„Missis Struck is not happy“, den Satz sagt laut und vom Lautsprecher noch verstärkt ein bebrillter Mann im Zuschauerraum während der Diskussion. Gut rasiert, dicklich, salopp, auf britische Art elegant, dabei ein bißchen steif, Professor an der Universität Bradford. Und ehemaliger Sowjetbürger. Professor Stromas stammt aus dem Baltikum. Er gehört zur neueren Schar der Emigranten, gehört zu den Leuten, die man „sowjetische Dissidenten“ nennt, und hat nun — in Alpbach, im überfüllten Saal — das Wort ergriffen. Er sieht ein, daß Mrs. Struck nicht glücklich sein kann, da um sie herum die allgemeine Atmosphäre recht gedrückt sei, entmutigend, enervierend, und außerdem wird ja alles mit jedem Tag noch viel schrecklicher. Sind andere Leute vielleicht ein wenig unglücklicher? Wer weiß?

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Karin Struck, Autorin aus der Bundesrepublik Deutschland, hat da bereits natürlich ihre Statements hinter sich gebracht. „Klassenliebe“ - heißt eines ihrer Bücher. Das andere heißt „Mutter“. Sie spricht hier, in Alpbach, während der Diskussion über die Bedrohung der Freiheit des Wortes nicht über ihre Bücher, sondern über ihre eigene Lage. Sie scheint traurig zu sein. Schriftsteller — so berichtet sie — werden vom Postboten und vom Installateur nicht geachtet; die meisten Menschen haben keinen guten Geschmack; man leidet nicht unter direkter Unterdrückung im Westen, um so mehr jedoch unter einer unfaßbaren, kaum greifbaren, durch das allgemeine gesellschaftliche Klima wirkenden Tyrannismus.

Karin Struck ist nicht glücklich. Unter allen Menschen, die anläßlich dieses Gespräches auf dem Podium Platz genommen haben, scheint sie die unglücklichste zu sein. Da sind zu sehen, von links nach rechts:

• ein österreichischer Politiker, klug und bescheiden, hart in der Sache, verbindlich in der Form, humorvoll und ruhig, wenngleich hin und wieder vom Glanz der eigenen Glätte überstrahlt: Erhard Busek;

• ein böhmischer Schriftsteller, umsichtig, melancholisch und doch lustig, Autor guter antifaschistischer Romane, nun Emigrant und Gegner aller neuen Faschisten in seiner Heimat: Ota Filip;

• der ewig jugendliche, bei aller Zurückhaltung recht tatkräftige Literat und Literaturorganisator, Wolfgang ' Kraus, grübelnder Ratgeber von Ministern, im inneren Reifeprozeß unterwegs, vom Journalismus zur Kulturphilosophie;

• ein feiner, nachdenklicher, und wenn's um die Verteidigung der guten Demokratie geht, nicht zögernder Mann: Janko von Musulin, Publizist, TV-Mensch, exzellenter Formulierer;

• als Diskussionsleiter der Verleger Fritz P.' Molden, sachlich, allerdings spitzbübisch lächelnd, sprungbereit und träge zugleich, Ruhepol der Dispute und zudem besonders energisch;

• dann: ein sehr britischer Schriftsteller namens Davin Pryce-Jones, ein ruhiger junger Mensch, skeptisch, einfach, gescheit, humorvoll — ach, vielleicht meilenweit entfernt von unseren bereits halbbalkanesi-schen Diskussionen;

• Marcel Reich-Ranicky von der

„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, lustig listig, polemisch, weise und leidenschaftlich, aus intellektueller Distanz genüßlich argumentierend; • neben ihm Karin Struck und neben ihr, rechts am Rand, der Verleger Siegfried Unseld, Leiter des schönen und mächtigen Suhrkamp-Verlages und zugleich einer Sekte: dynamisch, verständlich, etwa so rechtschaffen und moralisch wie, sagen wir, Heinrich Boll.

Die nicht sehr glückliche Autorin schaukelt mit Worten der echten oder gespielten Ratlosigkeit zwischen dem eigenen Unglück und dem Unglück der westlichen Welt. Man hat den Eindruck: sie macht für die eigene Misere die Gesellschaft verantwortlich, in der sie lebt, in der sie offenbar weiterhin leben möchte — und gar nicht sich selbst! Wieso eigentlich sich selbst nicht?

Eine junge Frau stellt uns folgende rhetorische Frage: „Was nützt uns die totale sexuelle Liberalisierung, wenn keiner mehr kann?!“ Das ist, bitte, offen ausgesprochen, ohne Scham, direkt in unsere Visagen hinein, ganz im Sinne jenes Jean Jacques Rousseau, der manchen Leuten vorgeschrieben hat, vor allem aufrichtig zu sein. So weit, so gut. Aber, bitte, ist; für die Enttäuschungen der Karin Struck die menschliche Gesellschaft verantwortlich? Ist sie vielleicht zuständig?

Erhard Busek nahm den Fehdehandschuh auf — obwohl es ein Handschuh aus dem schwülen Kitsch

schlechter Frauenromane war —, nahm ihn auf und sagte: „Vielleicht kann keiner mehr wegen der Liberalisierung.“ Es war eine Leistung. Es war eine Hochleistung der Toleranz. Nachher wurde Busek von der unglücklichen Struck beschimpft. Na ja, sie war und ist eben nicht sehr glücklich, da die Atmosphäre um sie herum und das Klima und der Postbote und sogar der Installateur ...

Am nächsten Tag sprach in Alpbach eine andere Frau, sehr klein gewachsen, ganz und gar unscheinbar, sehr zurückhaltend, sehr leise, sehr bescheiden: eine Autorin aus Rußland, Natalja Gorbanjevskaja. Lyrikerin. Und Kämpferin für die Verbreitung des ungedruckt gebliebenen Wortes.

Zwischen den beiden Tagen während der kurzen Nacht bin ich zufällig zwischen den beiden Frauen gesessen, zeitweilig wenigstens, am Barpult, in der geräumigen Halle des Böglerhofes, trank meinen Wein und hatte zur Rechten eine Rothaarige im kecken langen Anzug, nicht unhübsch, aber gehemmt und verkrampft, eine kleine, kleinbürgerliche Egoistin schwülstiger Träume über einen Fortschritt, der sich blähen kann wie die Daunendecken sich aufblasen, wenn man sie schüttelt; und zur Linken hatte ich eine sehr kleine Person auf dem hohen Barhocker sitzen, barfuß, in Blue Jeans, fast schweigsam, in sich vertieft, leise lächelnd, in diesen Stunden gerade schwärmerisch verliebt, dabei mit einem Freund über gewisse Dinge plaudernd (sie gehören nicht hierher).

Die zur Rechten war ein bürgerliches Weibchen, das sich für sehr unbürgerlich hielt, da es sich über die Unfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland beklagte. Die zur Linken war ein Sowjetmensch, ein sehr kleiner, barfuß, poetisch. Und dieser Sowjetmensch war es, der die wirklichen Demütigungen erlebt hatte und die wirklichen Qualen. Gegen die Erlebnisse der Natalja Gorbanjevskaja war alles, was die Karin Struck erlebt und erlitten hatte — ja, was war es nur? Sprechen wir es nur ruhig aus, deutsch oder öster-

reichisch: es war ein Mumpitz, ein Schmarren. (Die FURCHE veröffentlicht den in Alpbach vorgetragenen Essay von Natalja Gorbanjevskaja auf Seite 12.)

Da stand also die kleine Lyrikerin aus Moskau vor dem Mikrophon und redete leise und merkwürdig ruhig über ihre Erfahrungen, und neben und hinter ihr saß eine kleine vielfältige Schar des Fortschritts aus Rußland: Menschen, die es unternommen haben, gegen die Bürokratie zu rebellieren, gegen den Polizeistaat etwas zu unternehmen: späte Teilnehmer eines geistigen Aufstandes gegen den neuen Byzantinismus. Da saßen bekennende Christen und kämpferische Sozialisten aus Rußland an einem Tisch, junge Technokraten und noch jüngere Poeten — aus dem Kreis der Lyriker des Puschkin-Platzes in Moskau. Da saßen also:

• der bereits genannte Professor Stromas, nun noch lauter und optimistischer, sehr ausgleichend, sehr progressiv;

• in kämpferischer Stimmung, klein, von slawischer Schwärmerei erfüllt, zwischen Melancholie und Leidenschaft schwankend, der Schriftsteller Wladimir Maximow, Gefährte von Solschenizyn;

• hinter kalt glänzenden Brillen der aufbrausende, kalt rechnende, in die Zukunft hineinkalkulierende Andrej Amalrik;

• ganz jung, schnauzbärtig, in der Art eines freundlichen Tatarenkhans Lew Nussberg;

• athletisch und klug, in der liebenswürdigsten Art verschämt, aber dann doch zur großzügigen Tat bereit, der junge Poet Alexander Sokolow;

• in kristallinischer Sachlichkeit wirkend, der russisch-deutsche Schriftsteller Georg von Schlippe;

• und freilich der liebe, über Liebe und Leid und Auflehnung singende Dichter Alexander Galitsch, äußerlich dem vor ein paar Jahren gestorbenen chilenischen Lyriker Pablc Neruda so ähnlich (was Galitsch ebenso ungern hören würde wie Neruda).

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bösen Erlebnissen zu berichten und von qualvoll erarbeiteten Überlegungen und von kühnen Plänen, die in schlimmen Stunden der Verzweiflung gereift sind. Man hat den Eindruck: diese Leute sind erwachsen und doch nicht resigniert, sie kennen das Leben und haben eine gewisse Frische der freundlichen Naivität, sie sind berechnend und schwärmerisch zugleich. Sie empfinden sich ohne Zweifel als Avantgarde der Zweiten Großen Russischen Revolution.

Aber: Missis Struck ist nicht happy!

Was soll da geschehen?

Professor Stromas, der dickliche, derzeit britische Professor aus dem Baltikum, hat ja die Sorge der etwas verhemmten, etwas verkrampften kleinbürgerlichen jungen Dame aus der Bundesrepublik Deutschland aufgegriffen. Allerdings: Wie soll man Mrs. Struck helfen? Mit einem Ruck nach rechts? Das wird wohl nicht in ihrem Sinn sein. Mit einem Ruck nach links? Das bringt eine blutige Diktatur an die Macht, in der Mrs. Struck möglicherweise nicht Romane schreiben und auch nicht als Märtyrerin schön sterben kann, sondern — wer weiß? — schmucke Verwendung findet als Zweitlektorin eines auf Optimismus gestimmten Kinderbuchverlages. Oder sie wird Zwetschkenröster beziehungsweise Zwetschkenröster-Zubereiterin in der Konservenfabrik Soundso (volkseigener Betrieb).

Das alles kann man sich ruhig und bedächtig überlegen während der langen Nächte im Dorf Alpbach in Tirol. Dieses spontan entstandene Duett Struck-Gorbanjevskaja ist ein Produkt des Zufalls gewesen. Es scheint sich in diesem nach Paula von Pre-radovic benannten Haus und in dessen näherer Umgebung noch anderes zu begeben: Wichtigeres, Gewichtigeres. Während im großen Saal die kleine Gorbanjevskaja sprach, plau-, derten vor dem Eingang des Böglerhofes die Finanzexperten Androsch und Koren. Wußten sie eigentlich, daß über all die Budgets letztlich die mit treffsicheren Worten ausgerüsteten Poeten entscheiden?

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