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Digital In Arbeit

Mißtrauen gegenüber Haftentlassenen abbauen

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Der Verein für Bewährungshilfe und soziale Arbeit hat 1978 mit der Einrichtung von Zentralstellen für Haftentlassenen- hilfe in Wien, Linz, Salzburg und Klagenfurt begonnen. In den vergangenen fünf Jahren gelang es, das Serviceangebot der Zentralstellen stetig auszubauen und methodisch zu konsolidieren.

Die Mitarbeiter der „Zentralstellen“ versuchen durch sozial- arbeiterische Betreuung einerseits, durch materielle Hilfestellung bei Arbeitsplatz- und Unterkunftsbeschaffung andererseits, die Wiedereingliederung bzw. Resozialisierung von Haftentlassenen zu erleichtern.

Aus den österreichischen Gefängnissen wurden im Jahr 1982 etwa 12.000 Personen aus der Straf- bzw. Untersuchungshaft entlassen. Davon kamen 2.309 haft-

entlassene Personen in die „Zentralstellen“ zu insgesamt 10.914 Vorsprachen. In 1.235 Fällen konnte Arbeit vermittelt werden oder zumindest ein Arbeitsvermittlungsversuch begonnen werden; in 1.097 Fällen konnte eine wenigstens kurzfristig zur Verfügung stehende Unterkunft beschafft werden.

In den fünf Jahren des Bestehens der Zentralstellen für Haft- entlassenenhilfe haben sich durch die Verschärfung der wirtschaftlichen Situation nicht nur die Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, verschlechtert, es haben sich auch die Leistungsanforderungen am Arbeitsplatz gewaltig erhöht.

Konnte ein Haftentlassener vor drei Jahren noch zwischen mehreren Arbeitsplätzen wählen und war es auch möglich, einer Reihe von Arbeitgebern die Haftzeit und die daraus resultierenden Schwierigkeiten unserer Klienten klarzumachen, so hat heute kein Haftentlassener mehr die Chance auf einen Arbeitsplatz, wenn er die Wahrheit über seine Vergangenheit bekanntgibt.

In Salzburg etwa wurden rund 700 Betriebe angeschrieben, ob sie Haftentlassene einstellen würden — nach zwei Monaten hatten 19 Betriebe geantwortet, davon mehr als die Hälfte negativ.

Diese schwierige Situation am Arbeitsmarkt, deren negative Auswirkung auf die Chance eines Haftentlassenen, sich in normale gesellschaftliche Bezüge wiedereinzugliedern, klar auf der Hand liegt, machte es notwendig, von den „Zentralstellen“ aus besondere Vorkehrungen zu treffen. Dazu Beispiel:

Mitarbeiter der Bewährungshilfe und der „Zentralstelle“ gründeten im März 1982 in Klagenfurt den Verein „Contrapunkt“ mit dem Ziel, Uberbrük- kungshilfe für jene Klienten der Bewährungshilfe und der „Zen tralstelle“ zu leisten, die keinen Arbeitsplatz und auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung bzw. Notstandshilfe haben, bis ein geeigneter Arbeitsplatz gefunden werden konnte. Aus diesen Gründen wurde ein Holzschlägerungs- und Holzzerkleinerungsgewerbe durch den Verein angemeldet.

Das Arbeitsamt Klagenfurt stellt die Klienten dem Verein für eine Arbeitserprobung zur Verfügung und leistet neben den monatlichen Sozialabgaben eine monatliche Unterstützung von 2.000 Schilling an die Klienten. Während dieser Arbeitserprobung arbeiten die Klienten halbtägig unter Aufsicht eines Sozialarbeiters der „Zentralstelle“ im Wald und erhalten zusätzlich eine tägliche Unterstützung von 100 Schilling pro geleistetem Arbeitstag. Während der verbleibenden Tageszeit kann sich der Klient um einen Dauerarbeitsplatz kümmern.

Bis Ende 1982 nahmen zwanzig Klienten diese Möglichkeit in Anspruch und es wurden an diese Personen seitens des Vereines insgesamt 34.500 Schilling (aus dem Erlös der geleisteten Arbeit) ausbezahlt. Somit konnten diese Personen auf rin monatliches

Durchschnittseinkommen von 4.200 Schilling zurückgreifen und fielen anderen Institutionen nicht zur Last.

Diese Möglichkeit wird heuer weiter ausgebaut; als Zielsetzung ist an eine ständige Aufnahmekapazität von fünf Klienten gedacht.

Das zweite Beispiel:

Seit Ende Mai 1982 findet jeden Samstag von 17 bis 22 Uhr in den Räumen der „Zentralstelle“ in Wien ein Klubbetrieb für Haftentlassene statt, organisiert und durchgeführt von ehrenamtlichen Mitarbeitern der „Zentralstelle“.

Der Klub funktioniert ähnlich einem Kaffeehaus, allerdings viel privater. Es gibt Getränke (keinen Alkohol!), Kleinigkeiten zum Essen; gelegentlich wird gemeinsam gekocht. Die Besucher können hier auch Tischtennis spielen und fernsehen.

Das Hauptaugenmerk liegt aber auf dem gemeinsamen Gespräch; die Kommunikation untereinander und in der Gruppe soll gefördert werden. Einzelgespräche mit jeweils einem Ehrenamtlichen werden nur dort praktiziert, wo sie sich als notwendig erweisen.

Die Gründe, die dazu führten, einen derartigen Klub zu eröffnen, sind vielschichtig.

In den Einzelfallbetreuungen ist das Thema „Freizeit und wie ich damit umgehe“ oft angeschnitten worden. Viele Haftentlassene reagieren angesichts dieses Problems mit Hilflosigkeit und Angst, arbeiten daher lieber auch an ihren freien Tagen oder retten sich mit Konsumation über die Distanz. Es ist für sie meist eine wenig abwechslungsreiche, oft einsame Zeit. Einzelfallbetreuung schafft hier nur zum Teil Abhilfe.

Die Betonung des Gruppengesprächs zielt darauf ab, daß Haftentlassene lernen, ihr Mißtrauen abzubauen, Verständnis füreinander zu entwickeln und auf dieser Basis sich vermehrt gegenseitige Hilfe zu bieten, einfach wegkommen davon, „ihresgleichen“ meiden zu müssen im Kampf um Arbeit, Geld, sozialen Aufstieg.

Das prognostizierte, relativ geringe Wirtschaftswachstum sowie fortschreitende Veränderungen der Wirtschaftsstruktur in Verbindung mit Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben, erfordern auch für die nächsten Jahre eine Verstärkung aller Bemühungen um eine Wiedereingliederung Haftentlassener.

Nicht mit den Mitteln einer repressiven Gesellschafts- und Kriminalpolitik kann dieses Ziel erreicht werden, sondern nur durch verstärkten Abbau der sozialen und zwischenmenschlichen Barrieren, die die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft absichern.

Der Autor ist Generalsekretär des Vereines für Bewährungshilfe und soziale Arbeit in Wien.

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