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Mit befristeten Gesetzen gegen Bürokratie?

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Was über Verwaltungsreform geschrieben wurde, füllt bereits Bibliotheken. Trotzdem haben viele Bürger das Gefühl, es geht eigentlich nichts weiter, die Bürokratie wird immer größer, komplizierter. Und bei Gehaltsverhandlungen mit Beamten droht schon ein Zehntelprozentpunkt das Budget aus den Angeln zu heben.

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Was über Verwaltungsreform geschrieben wurde, füllt bereits Bibliotheken. Trotzdem haben viele Bürger das Gefühl, es geht eigentlich nichts weiter, die Bürokratie wird immer größer, komplizierter. Und bei Gehaltsverhandlungen mit Beamten droht schon ein Zehntelprozentpunkt das Budget aus den Angeln zu heben.

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FURCHE: Wo spießt es sich?

BUNDESMINISTER JÜRGEN WEISS: Es ist richtig, daß keine Verwaltungsreform frei von der Gefahr ist, selbst reformbedürftig zu werden. Das Empfinden der Leute, daß Bürokratie überhandnimmt, hat natürlich mit der dahinterstehenden Aufgabenverteilung zu tun. Bürokratie kann sich dort breitmachen, wo staatliche Regelungen einsetzen. Wenn man darauf verzichtet, gibt es auch keine Bürokratie. Das ist ein ganz einfaches Rezept, ist aber in der Praxis nicht so durchsetzbar, weil in vielen Bereichen zu Recht nach staat-lichenOrdnungsmaßnahmen gerufen wird, ich denke etwa an den Umweltschutz.

Diese Vorfrage kann man auch dem Gesetzgeber nicht ersparen, nämlich die Prüfung, ob ein Auftrag an die Verwaltung - und jedes Gesetz ist ein solcher-tatsächlich in dieser konkreten Form notwendig ist. Es fehlt dabei sicher auch an Bewußtsein, welche Kosten damit verbunden sind. Ich halte das für einen ganz wichtigen Ansatzpunkt, nicht nur der bei der Verwaltung selbst, sondern auch beim „Auftraggeber" das Bewußtsein zu schärfen, was gesetzliche Maßnahmen kosten. Es wurde jetzt im Nationalrat das Ozongesetz verabschiedet, das ohne Zweifel wichtige Fortschritte bringt, aber gleichzeitig ist der Ausschußbericht so ehrlich, gleich in der Präambel zu schreiben, daß damit ein erheblicher Mehraufwand-Such-\xnd Personalaufwand - verbunden sein wird.

FURCHE: Die Forderung, jedem neuen Gesetz eine Kostenrechnung beizufügen, hat ja auch schon einen Bart.

WEISS: Diese Vorschrift gibt es bereits im Bundeshaushaltsgesetz, sie wird vielfach nur sehr kursorisch gehandhabt, insbesondere dort wo der Gesetzgeber selbst initiativ wird. Dort gibt es diese Klausel nicht, sie gilt nur für Regierungsvorlagen. Es wäre notwendig, sich auch hier nicht damit zu begnügen, daß die Folgekosten halt derzeit noch nicht abgeschätzt werden können. Wenn man das nicht abschätzen kann, könnte man auch zur Methode greifen, das Gesetz nur für eine bestimmte Zeit in Kraft zu setzen, drei Jahre beispielsweise, um danach zu sehen, ob es die Erwartungen in sachlicher Hinsicht erfüllt hat und welcher Aufwand damit verbunden war.

FURCHE: Was könnte denn ein realistisches Ziel sein ? Daß man vom gegenwärtigen Umfang abspeckt? Oder daß man ihn sozusagen hält, aber damit auch die neuen Aufgaben bewältigen wird?

WEISS: Man muß beides machen. Mit den vorhandenen Möglichkeiten zurecht kommen - das geschieht heute schon. Die Zahl der Beamten, der öffentlich Bediensteten auf Bundesebene ist von 1991 auf 1992 gleichge-blieben, obwohl zahlreiche neue Aufgaben dazugekommen sind. Das heißt schon, daß durch Rationalisierungsmaßnahmen, durch die Zurücknahme von Aufgabenerledigungen, in andere Bereichen Kapazitäten eingebracht werden konnten. Und es gibt hier sicherlich noch weitere Ansatzpunkte.

FURCHE: Und wo bieten sich Möglichkeiten, Bürokratie überhaupt zurückzudrängen?

WEISS: Das ist beispielsweise dort möglich, wo ein Sachverhalt gleich mehrfach geregelt wird. Wir haben verschiedene gesetzliche Bestimmungen, die vorsehen, daß nicht ein Ministerium allein tätig werden kann, sondern gleich zwei oder drei, in Einzelfällen sogar vier Ministerien. Das zieht natürlich einen enormen Aufwand nach sich. Auf der anderen Seite sind viele behördliche Entscheidungen bei den Zentralstellen angesiedelt, obwohl sie einfacher - und sicherlich auch rascher- auf Gemeinde-, Bezirks-oder Landesebene geregelt werden könnten. Hier gibt es ein Projekt, die behördliche Zuständigkeit der Ministerien abzubauen. Es gibt auch schon Ansatzpunkte in der Praxis, etwa aus dem Bereich des Wirtschaftsministers - wie Preisgesetz, Wettbewerbsderegulierung -, wo behördliche Einflüsse zurückgenommen werden. Oder das neue Dampfkesselgesetz, nach dem künftig etwa die Überwachung und die technische Abnahme nicht mehr von Beamten erfolgt, sondern von Zivilingenieuren.

FURCHE: Wäre dafür nicht eine große Kompetenzbereinigung notwendig? Praktisch wird ja bei Regierungsverhandlungen eifersüchtig um (Mit-)Kompetenzen gefeilscht.

WEISS: Natürlich ist das eine Frage der Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung, aber auch zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Hier hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein völlig unsystematischer Wildwuchs breitgemacht, teilweise beeinflußt durch Tagesaktualitäten, von politischen Konstellationen zu einem Zeitpunkt. Da besteht auch der Zusammenhang von Föderalismus und Verwaltungsreform, weil es ja im Zuge der Föderalismusdiskussion ein erklärtes und übereinstimmendes Anliegen ist, zu einer Neuordnung der Aufgabenverteilung zu kommen. Aus Ländersicht, verbunden mit dem Wunsch, die Länder mit Blick auf die Europäische Gemeinschaft zu stärken. Das ist auch für den Bund sinnvoll und der Gegensatz"ist nur scheinbar: weil der Bund selbst im hohen Maße an einer besseren Aufgabenverteilung interessiert sein muß.

FURCHE: Zwar rückt ein möglicher EG-Beitritt immer näher, aber von einer Neuaufteilung der Aufgaben nach einem föderalistischen Konzept, von einer Änderung der Bundesverfassung in diesem Sinn, sieht man wenig.

WEISS: Das möchte ich nicht so sehen. Es gibt auf der Ebene der Fachleute bereits wesentliche Vorarbeiten. Die von Josef Riegler eingesetzte Strukturkommission hat einen sehr umfassenden Bericht vorgelegt. Die Länder haben bereits einen Entwurf für einen politische Pakt zur Neuverteilung vorgelegt. Die Verhandlungen darüber sind schon im Gange. Wir werden am 22. April die zweite Verhandlungsrunde mit den Ländern haben. Wobei den Ländern von vornherein klar war, daß eine ausformulierte Verfassungsnovelle ihre Zeit brauchen wird, daß aber zumindest vor einer Ratifizierung des EWR-Vertrages eine politische Vereinbarung über die künftige Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern zustande kommen soll.

FURCHE: Ratifizierung des EWR- • Vertrages - das ist der konkrete Zeithorizont?

WEISS: Die Länder haben bereits vor einem Jahr bei der Landeshauptleutekonferenz im wesentlichen drei Voraussetzungen genannt, die jedenfalls vor einer Ratifizierung des EWR-Vertrages erfüllt sein sollten. Das ist die Frage, wie sie am Integrationsverfahren beteiligt werden; da liegt eine Regierungvorlage bereits im Nationalrat, die wird auch bald beschlossen werden.

Der zweite Punkt ist die Zuständigkeit für die restlichen Bereiche des Grundverkehrs, um dem Nachfragedruck aus dem Ausland entsprechend entgegenwirken zu können. Der dritte Bereich ist die Neuordnung der Zuständigkeiten. Damit ist schon der zeitliche Rahmen abgesteckt. Ich gehe davon aus, daß man vor dem Sommer zu einem ersten Zwischenergebnis kommen wird.

FURCHE: A ufder einen Seile steht die Notwendigkeit der föderalistischen Neuverteilung von Aufgaben, auf der anderen Seite ist ein Verlust an Gemeinsamkeit sichtbar geworden. Nur mit Müh und Not hat man etwa die Asylantenunterbringung lösen können, gewisse (Sonder-)Müllager-stätten will keiner haben.

WEISS: Der Föderalismus verursacht diese Entsolidarisierung in der Gesellschaft nicht, er spiegelt sie nur wider. Es wäre völlig verfehlt, anzunehmen, daß die Länder oder die Gemeinden dafür verantwortlich seien. Sie können sich dem Druck der Bürger nicht entziehen. Nach diesem Denkmuster müßte die Schweiz schon lange auseinandergefallen sein. Die Gliedstaaten haben ein wesentliches Maß an Eigenständigkeit, ohne daß man sagen kann, daß es zu einem Zerfall käme. Die zentrifugalen Tendenzen werden dort stärker, wo Eigenheiten nicht berücksichtigt werden, wo die Regionen das Gefühl bekommen, nicht genügend Spielraum zu haben. Dort macht sich Separatismus und Nationalismus breit.

FURCHE: Vorarlberg hat man seinerzeit im Zusammenhang mit der Bewegung Pro-Vorarlberg separatistische Tendenzen vorgeworfen. Wo würde der' Vorarlberger heute die Grenze zwischen Föderalismus und Separatismus ziehen?

WEISS: Der seinerzeitigen Bürgerinitiative ist es damals nicht um Separatismus gegangen, sondern lediglich um die Überlegungen, die jetzt auch in Tirol mit der „Vision Tirol" aufgetaucht sind: Man soll den Ländern auch einen gewissen Spielraum bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen lassen - etwas, was zum Beispiel in Spanien vorgesehen ist. Hier haben die autonomen Gemeinschaften die Möglichkeit, aus einem Kompetenzkatalog auszuwählen, ob sie eine Zuständigkeit wahrnehmen wollen oder nicht.

Etwas anderes ist Vorarlberg damals nicht vorgeschwebt und steht auch in der „Vision Tirol" nicht zur Diskussion. Das ist nur ein für Österreich ungewohnter Gedankengang. Auch die Länder selbst gehen von einer gleichwertigen Stärkung aus.

FURCHE: Haben durch Ihre Berufung nach Wien Ihre vorhandenen Vorstellungen von Zentralismus etwas mildere Züge bekommen ?

WEISS: Nein, ich bin eher in meiner Einschätzung der Bedeutung des Föderalismus - nicht zuletzt auch durch eine sehr intensive Beschäftigung mit dem, was sich im Ausland,, sogar innerhalb der Europäischen Gemeinschaft tut - bestärkt worden. Nur ein Beispiel: Die EG hat in den Verträgen von Maastricht vorgesehen, das Subsidiaritätsprinzip als einklagbaren Maßstab der Aufgaben Verteilung zu verankern. Das ist etwas, was der österreichischen Bundesverfassung bisher fremd ist. Aber die Länder würden sich wünschen, daß ein solcher Grundsatz für die Aufteilung von Kompetenzen in der Verfassung festgeschrieben wird, weil man mit Hilfe eines solchen Maßstabes leichter zu einer objektiven Beurteilung der Zweckmäßigkeit im Einzelfall kommen kann. Genaugenommen ist die EG da auf der Überholspur.

Das Gespräch mit dem Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform führte Hannes Schopf.

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