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Mit dem Blick der Eroberten

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Freunde rarer Ölgemälde eines Waldmüller, Gauermann oder Caspar David Friedrich kommen in Schloß Gloggnitz ebenso auf ihre Rechnung wie Eisenbahnfans und Jugendstü-Nostalgiker.

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Freunde rarer Ölgemälde eines Waldmüller, Gauermann oder Caspar David Friedrich kommen in Schloß Gloggnitz ebenso auf ihre Rechnung wie Eisenbahnfans und Jugendstü-Nostalgiker.

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Daß mit der Eroberung fremder Länder und Kontintente durch Touristenströme und Urlaubermassen immer schon eine Entfremdung der Ursprungsbevölkerung von den Wurzeln ihrer Kultur und Tradition stattfand, belegt Niederösterreichs Landesausstellung „Eroberung der Landschaft" in höchst anschaulicher Weise. Nicht nur deutsche oder österreichische Urlauber sehen die Costa Bra-va oder türkische Strände aus ihrem verzerrenden Blickwinkel. Auch die „Volkstümlichkeit" der Bewohner des Semmering-Rax-Schneeberg-Gebie-tes, das in Schloß Gloggnitz paradigmatisch behandelt wird, ist durch die auswählenden Blicke der damaligen Touristen bestimmt.

Wie problematisch diese „Eroberung" für die Eroberten sein kann, zeigt unter anderem auch diese von Wolfgang Kos wissenschaftlich betreute und von Luigi Blau gestaltete Schau.

Für die bis 26.0ktober zugängliche Ausstellung wurde das Gloggnitzer Schloß, eine 1803 aufgehobene Be-nediktinerpropstei mit barocker Kirche und teilweise freskierten Prunkräumen, erfreulicherweise renoviert. Ein idyllischer Innenhof läßt Blicke auf mittelalterliche Bauteile und Mauern zu, die unverminderten Reize sanfter bewaldeter Hügel und der Zweitausender-Erlebnislandschaft von Schneeberg und Rax ringsum sind nach wie vor wirksam.

In 28 Stationen erlebt der Besucher Raum für Raum die Bedrohungen durch die Natur, durch Bär und Wolf, durch Lawinen und Muren, erfährt die Mühsal mittelalterlichen Reisens auf wenig gesicherten Übergängen, von Mautstellen behindert, durch Wegelagerer gefährdet. Symbolisch gemeinte Berg- und Felswände -gemalt oder als Reliefs in Holz geschnitzt - als Hintergrund geistlicher Szenen, idealisierte Gebirgs- und Landschaftsbilder des Klassizismus, das forschende Interesse für die Mineralien-, Pflanzen- und Tierwelt des Schneebergs stellten wesentliche Schritte in der Landschaftsbetrachtung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dar.

Naturforscher, Maler, erstmals auch Wanderer sorgten in der Zeit der Romantik für Ansätze eines Fremdenverkehrs im „schaurig-schönen" Höllental und in den Adlitzgräben. Nun wurde tatsächlich in und nach der Natur gemalt und gezeichnet. Die ländlichen Bewohner sind als Hirten, Holzknechte, Fuhrwerker oder Wäscherinnen zu sehen.

Mit der Industrialisierung wurden die Berge als Rohstoff- und Energiereservoirs entdeckt. Die Abholzun-gen zur Erzeugung der für die Fabriken notwendigen Holzkohle und die Erschließung gesunder Wasserquellen für die rasch wachsende Bevölkerung der Hauptstadt zeigten auch schon ökologische Grenzen auf.

Als am 5. Mai 1842 das letzte Teilstück der Bahnverbindung Wien-Gloggnitz eröffnet wurde, rückten die Berge näher an Wien heran. Die neue Semmeringstraße mit zahlreichen Serpentinen erschloß 1841 die Paßhöhe und ermöglichte auch den zunächst notwendigen „Schienenersatzverkehr" über die Scheitelhöhe zwischen den Bahnhöfen Gloggnitz und Mürzzuschlag.

Zum Baubeschluß für die Semme-ringbahn, die erste großangelegte Gebirgsbahn der Welt überhaupt, für die Carl Ghega seit 1842 mehrere Trassenvarianten durchgeplant hatte, kam es allerdings erst 1848, als im Gefolge der revolutionären Unruhen in Wien die aufbegehrenden Arbeitermassen mit Arbeit versorgt und aus der Hauptstadt entfernt werden sollten. Bis zu 20.000 Fremdarbeiter aus allen Teilen der Monarchie, vor allem Italiener aus dem Friaul, Kroaten und Böhmen, beschäftigte dieses Bauvorhaben. Cholera- und Typhusepidemien, ausgelöst durch die sanitären Verhältnisse in den elenden Wohnbaracken, rafften rund tausend Arbeiter(und Arbeiterinnen) hinweg, bei einem spektakulären Felssturz in der Weinzettl wand kamen 14 Menschen ums Leben. In seiner Novelle „Die Steinklopfer" hat Ferdinand von Saar diese Ereignisse literarisch verewigt.

In der Ausstellung bezeugt eine dreifüßige Polentapfanne eindrücklich die Situation dieser Wanderarbeiter. Entwurfszeichnungen für die architektonische Gestaltung der Eisenbahnviadukte und Variantenprojekte für diese „Ikone der Ingenieurskunst" sind zu sehen.

Eine „Gründerzeit im Grünen" entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhundertes vor allem in Payerbach und Reichenau. Mitglieder des Kaiserhauses, Aristokraten, Geldadel und aufsteigendes Bürgertum wetteiferten im Bau prächtiger Villen, für die teilweise Ringstraßenarchitekten herangezogen wurden. Die Pseudo-Idylle dokumentieren Fotos spielender Kaiserkinder oder Baron Guido von Sommarugas Hausjacke für „legere Stunden".

Eine inzwischen gut ausgebildete touristische Maschinerie verschaffte der ländlichen Bevölkerung willkommenen Nebenerwerb - 90 Prozent der Reichenauer Häuser boten im Jahr 1907 Sommerwohnungen an, von denen nun schon Beamte und Angestellte Gebrauch machten. Gastgewerbe, Fremdenführer, Tennis- und Fahrradsport, Souvenirindustrie hatten teil an dem Aufschwung, Reichenau war damals ans Wiener Telefonnetz angeschlossen.

Zu den von großstädtischer Schwindsucht Befallenen und sonstigen Erholungssuchenden gesellten sich nun als Gäste auch die Bergsteiger aus Wien, Rax und Schneeberg wurden als Hausberge entdeckt. 1897 wurde die Zahnradbahn auf den Hochschneeberg eröffnet, 1926 die Rax-Seilbahn, Schutzhäuser entstanden, markierte Wege und gesicherte Steigen wurden angelegt. Am Semme-ring wurden die führenden Grandhotels der Monarchie errichtet: Südbahnhotel, Hotel Panhans, Grandhotel Erzherzog Johann. Die „Semmering Society" etablierte sich, fing an, Wintersport zu betreiben.

Hinter den Hotelkulissen freilich herrschten soziale Mißstände, über die beispielsweise auch ein Gruppenfoto der Panhans-Wäschereiangestellten nicht hinwegtäuschen kann. 16-Stunden-Tag, schlechte Arbeitsbedingungen und unzumutbare Unterkünfte waren an der Tagesordnung.

Die Wiener Kulturprominenz von Arthur Schnitzler bis Arnold Schönberg, von Kolo Moser bis Alma Mahler- Werfel, von Adolf Loos (entwarf 1913 einen riesigen Hotelkomplex) bis Genia Schwarzwald (plante dort eine Internatsschule) hinterließ ihre Spuren.

In den dreißiger Jahren brachte die Popularisierung des Schilaufs, die Entdeckung des „Rustikalen", dem Gebiet neuen Zulauf. Die Ausstellung beschließt eine Arisierungsliste der jüdischen Besitzungen in Reichenau.

Je nach persönlicher Vorliebe steht dem Ausstellungsbesucher eine gut aufbereitete Materialfülle zur Kultur-und Sozialgeschichte der Region Semmering-Rax-Schneeberg zur Verfügung, aber auch reine „Kulina-riker" kommen auf ihre Rechnung. Nach der erfolgreichen „Kunst des Heilens" im Vorjahr ist den Nieder-österreichem wieder eine Attraktion gelungen.

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