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Mit dem ewigen Geraunze brechen

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Das diesjährige Alpbacher Generalthema „Erkenntnis und Gestaltung der Wirklichkeit" ist ein Thema, das im Laufe der Geschichte des Denkens immer wieder in vielen Abwandlungen aufgetreten ist, zuletzt vor allem im Zeichen des von der studentischen Protestbewegung getragenen Neomarxismus in den sechziger und siebziger Jahren als Problem des Verhältnisses von Theorie und Praxis.

Dieser Feststellung des wissenschaftlichen Leiters des Europäischen Forums, Hans Albert, ist ebenso zuzustimmen, wie seiner Vermutung, daß die öffentliche Bedeutung dieses höchst kontroversen Themas mit der Legitimi-

tätskrise der Wissenschaft in Zu^ sammenhang steht.

Weniger überzeugend war hingegen Hans Alberts Polemik gegen diejenigen, die diese Legitimitätskrise als Teil der allgemeinen Sinnkrise unserer Gesellschaft verstehen und mit dem Verlust der religiösen Bindung erklären. Denn dieser Verlust wird keineswegs aus purem Mutwillen der heute ins Zwielicht geratenen Aufklärung angelastet, vielmehr spricht eine ganze Reihe von Gründen dafür, daß er der Preis ist, den wir für die fortschreitende Rationalisierung aller Lebensverhältnisse zu bezahlen haben.

Die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, sind ja im wesentlichen aufgrund der meist

unbeabsichtigten, unvorhergesehenen und wohl auch unvorhersehbaren ' Konsequenzen der menschlichen Erkenntnispraxis in den verschiedenen Wissenschaften zustandegekommen.

Die augenscheinliche Unfähigkeit der rationalen Erkenntnispraxis, die Folgen ihres eigenen Tuns auch nur einigermaßen verläßlich vorhersehen zu können oder auch vorhersehen zu wollen, gibt Anlaß zur Kritik. Und es ist sehr zweifelhaft, ob diese eigentümliche Fähigkeit einer Wissenschaft, die längst ihre Unschuld verloren und sich auf Gedeih und Verderb mit den politischen, militärischen und ökonomischen Mächten verbunden hat, durch einen Rekurs auf ein überholtes naturwissenschaftliches Objektivitätsideal überwunden werden kann, wie dies Sir Karl Popper in Alpbach getan hat.

Bei allem Respekt von Poppers erkenntniskritischem Realismus wird man jedoch fragen müssen, ob es in der heutigen Wissenschaft tatsächlich nur um die

Wahrheit und um nichts als die Wahrheit geht, und ob es gerade diese Art von Wahrheit ist, auf die es im Leben ankommt.

Dennoch: Auf der ganzen Welt begegnet man heute dem philosophischen Werk Karl Poppers mit großem Respekt.

Mit Alpbach und seinem europäischen Forum verbinden Karl

Popper seit mehr als dreißig Jah^ ren fruchtbare geistige und persönliche Beziehungen. 1948 kam Karl Popper das erste Mal auf Anregung Friedrich von Hayeks nach Alpbach.

Am 26. August wurde zu Ehren des 80. Geburtstages von Sir Karl Popper eine festliche, wissenschaftliche Soiree gehalten. Pro-

minentester Gast und Gratulant war der Nobelpreisträger Friedrich von Hayek.

Es kam zwischen den beiden zu keinem wissenschaftlichen Disput. Friedrich von Hayek, NichtPhilosoph, dennoch geborener „Popperianer", holte zu einem geist- und humorvollen Panegy-rikus (= Lobrede) aus und sprach von Poppers Werk als „Glück für die Menschheit". Popper habe aber noch lange nicht den Einfluß, den man hoffen müsse, daß er ihn einem haben wird. Poppers Philosophie habe zwar schon die ernsten Denker erreicht, noch lange aber nicht die große Masse der Intellektuellen, die die Entwicklung der Gegenwart beherrscht. ' Karl Popper antwortete mit einer kurzen Stegreifrede: „Ich glaube, daß wir Intellektuellen eine unerhörte Verantwortung für alles, was in dieser Welt schlecht, gefährlich und von Übel ist, tragen. Wir können unsere Welt verbessern, indem wir diese Verantwortung wirklich tragen. Bisher haben die Intellektuellen die Menschen gegeneinander aufgehetzt, indem sie Nationalismus in allen Formen predigten.

Unsere Gegenwart ist überaus voll von einer gefährlichen Doktrin: Daß unsere Welt schlecht sei.

Wir müssen endlich einmal brechen mit dem ewigen .Geraunze*. Das Unerhörte ist, das .Geraunze' mit einem Angriff auf die Wissenschaft und die Rationalität zu verbinden. Und die Rationalität mit der Atombombe zu assoziieren, die Atombombe zu benutzen, um den Irrationalismus und die Schlechtigkeit der Welt zu annoncieren, ist verbrecherisch."

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