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Mit dem Fernglas am Strand: Brecht

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Künstlerwitwe Gertrud Pabst verfolgt noch heute das TV-Programm mit seinen Augen. Dreiundvierzig Jahre war sie mit dem Schöpfer der „Freudlosen Gasse”, des „Letzten Aktes” verheiratet

Der Humanist Georg Wilhelm Pabst, der nicht nur mit seinen Filmen für eine bessere Welt kämpfte, sondern auch als Privatmensch half, wo er konnte (etwa mit Affidavits, also Bürgschaften für jüdische Emigranten), fiel schon in jungen Jahren durch sein soziales Engagement, durch seinen Ernst, durch seinen Blick fürs Wesentliche auf.

Oberflächliches Urteilen war seine Sache nicht, erst recht nicht, wenn es um die Wahl der Filmstoffe ging. Gertrud Pabst: „Wir hätten es leicht zu großem Reichtum bringen können, wenn er weniger wählerisch gewesen wäre. Aber er hat nur gedreht, wovon er voll überzeugt war. Dann allerdings unter äußerstem Einsatz. Selbst unter Einsatz seines Lebens.”

Daß Pabsts Ruhm in späteren Jahren verblaßt und etliche seiner Filme bei Kritik wie Publikum auf Ablehnung stoßen, hat ebendiesen Grund: daß es immer schwerer wird, auf dem Filmmarkt Sujets durchzusetzen, die seiner persönlichen-Uberzeugung entsprechen. Gertrud Pabst: „Die Produzenten nach 1945 hatten da zu wenig Mut.” Auch all die Anerkennung der späten Jahre, aller posthume Lorbeer — Legion d'Honneur und Professorentitel, Pabst-Dissertationen und Pabst-Straße, Ehrenpension und Ehrengrab in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Lieblingsschauspieler Werner Krauss und Albin Skoda — können nicht darüber hinwegtäuschen, daß G. W. Pabst empfindlich darunter gelitten hat, viele seiner Projekte am Nein der Geldgeber scheitern zu sehen. Eine von wenigen Ausnahmen: „Der letzte Akt” — sein Film über das Führer-Finale im Bunker der Reichskanzlei. Eine von Hitlers Privatsekretärinnen hatte fürs Drehbuch ihre persönlichen Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt.

Pabsts eigener „letzter Akt”, 1956 gedreht, war zugleich sein erster Farbfilm: „Durch die Wälder, durch die Auen” — die Entstehungsgeschichte von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz”. Sein nächstes Projekt, die Geschichte der biblischen Judith, kam schon nicht mehr zustande: G. W. Pabst, von der Par-kinsonschen Krankheit heimgesucht, war die letzten zehn Jahre seines Lebens arbeitsunfähig. Das Aufkommen des Fernsehens, das ihn sehr interessierte, konnte er nur noch resigniert kommentieren: „Zehn Jahre jünger müßte man sein...”

Gertrud Pabst, Berlinerin und in erster Ehe mit einem mecklenburgischen Gutsbesitzer verheiratet, hat fast die gesamte Filmlaufbahn ihres Mannes tätig miterlebt: Der Film, der ihn weltberühmt gemacht hat, „Die freudlose Gasse”, wurde in ihrem zweiten Ehejahr gedreht. Die Witwe, fünfzehn Jahre jünger als er, erinnert sich noch heute, fast sechzig Jahre danach, an jedes Detail. An die von Hugo Bettauer, dem Autor des gleichnamigen Romans, im 7. Wiener Gemeindebezirk angesiedelte Gasse, die für die Verfilmung in Berlin nachgebaut wurde. An die strapaziösen Dreharbeiten im Hangar von Zeppelin, der gerade frei war — nach allen Seiten offen, mitten im kältesten Winter. Und an die Hauptdarsteller: Asta Nielsen, Werner Krauss, Valeska Gert. Und Greta Garbo.

Pabst, der die noch völlig Namenlose in einer schwedischen Verfilmung von „Gösta Berling” gesehen und daraufhin nach Berlin engagiert hatte, holte sie vom Zug ab.

„Wie ist sie?” erkundigte sich Gertrud Pabst nachher.

„So eine Frau gibt's nur alle hundert Jahre!”

Gemeinsames Abendessen bei den Pabsts. „Es ging mir genauso wie meinem Mann: Ich konnte mich nicht sattsehen an der vollkommenen Schönheit ihres Gesichts, vergaß das Essen aufzutragen - mein Mann gab mir einen Fußtritt unterm Tisch. Dazu ihr wunderschönes Deutschschwedisch - in ihren späteren Filmen hat sie ja immer nur englisch gesprochen.”

Umso enttäuschender die Dreharbeiten: „Mein Mann kam völlig verzweifelt nach Hause. .Sie zittert vor Nervosität!' sagte er. Alle Versuche, ihr ihre Aufregung auszureden, alle Beschwörungen, sie könne ihre Szenen so oft wiederholen, wie sie wolle, niemand wer-

„Oberflächliches Urteilen war nicht die Sache des Regisseurs und Humanisten Wilhelm Pabst” de ihr daraus einen Vorwurf machen, waren vergeblich — nach einer Woche stand fest: Die Aufnahmen sind unbrauchbar, die Rolle muß umbesetzt werden. Da kam ihm die rettende Idee — per Zufall.

Es ging um eine kleine, aber wichtige Szene, in der eine Aktentasche deutlich sichtbar zu Boden fällt. Der Vorgang kam im Bild nicht kräftig genug zur Geltung, also entschloß man sich, ihn in etwas gedehnterem Tempo zu drehen. Mit einem Anflug von Zeitlupe. Und genau das war auch die Lösung für Greta Garbos Nervositätsproblem: Nun, auf den langsamer gedrehten Bildern, wirkte sie auf einmal ganz ruhig. Noch Jahre später, als mein Mann einmal in Hollywood war, klagte ihm einer der dortigen Produzenten, wie mühsam es sei, mit der hypernervösen Garbo zu drehen, und mein Mann verriet ihm daraufhin sein Rezept.”

Welcher Triumph wäre es für G, W. Pabst gewesen, die Anfängerin von 1925, die inzwischen Weltkarriere gemacht hatte, in späteren Jahren noch einmal vor die Kamera zu bekommen! Als er 1947 erstmals nach dem Krieg wieder in New York war, traf er sich mit ihr, um ihr sein Odysseus-Projekt schmackhaft zu machen: Gregory Peck in der Titelrolle, sie als Pene-lope. Das Hotel an der Park Avenue, in dem er abgestiegen war und in dem die Begegnung stattfinden sollte, geriet angesichts des hohen Besuchs völlig aus dem Häuschen: Man machte eine eigene Suite dafür frei, unentgeltlich natürlich, das Personal wurde herausgeputzt, das ganze Haus mit Blumen geschmückt. Greta Garbo erschien zum vereinbarten Termin. Und sagte Pabst zu. Als er nach Wien zurückkehrte, steckte das Absagetelegramm schon im Briefkasten: „Sorry, I can't do it.”

Unter Stoffmangel wird sie also nicht zu leiden haben, wenn Gertrud Pabst sich daranmacht, eine gedrängte Biographie ihres Mannes zu schreiben: Das Kapitel Garbo ist nur eines von vielen. Ein anderes (das in Umrissen schon „steht”) betrifft Pabsts Zusammenarbeit mit dem berühmten russischen Sänger Fedor Schalja-pin — sie liest die amüsante Geschichte von dem Trick vor, mit dem es ihrem Mann gelang, den großen Bühnentheatraliker zu natürlichem Agieren zu bekehren.

Es ging um die Verfilmung von Cervantes* „Don Quijote”. Gedreht wurde in Nizza. Schon die ersten Aufnahmen zeigten, daß sich der selbstherrlich-verwöhnte Opernstar nie und nimmer von seinem Regisseur würde führen lassen. Schaljapin besaß seine eigene Auffassung von der Rolle, und da hatte ihm keiner dreinzureden. Nur leider — was auf der Opernbühne gang und gäbe (und vielleicht sogar erwünscht) ist: die große pathetische Gebärde, hier im Film wirkte sie lächerlich. Nur — wie sollte man das der Mimose Schaljapin beibringen? Pabst versuchte es mit folgender List: Er wählte aus den vorliegenden Probeaufnahmen die aller-drastischsten aus und ließ sie seinem Hauptdarsteller kommentarlos vorspielen. Ergebnis: Schaljapin war entsetzt. Und von Stund an ein gehorsamer Gefolgsmann seines Regisseurs, Wachs in dessen Händen.

Schwerer hatte es Pabst, mit Brecht zurechtzukommen. Es ging darum, dem Dichter sein Einverständnis mit der Filmfassung der „Dreigroschenoper” abzuringen, für die Drehbuchautor

„Und selbst wo Gertruds Wirken unsichtbar blieb, schöpfte Pabst noch aus dieser Frau Kraft”

Leo Lania einen eigenen, einen „fümgerechteren” Schluß vorgesehen hatte. In einem Badeort an der französischen Riviera war ein Treffen vereinbart. Mit aller Arroganz, deren er fähig war, ließ Brecht die Filmleute seine Geringschätzung spüren, ließ sie mit dem Fernglas den Strand nach ihm absuchen, ihm auflauern, und als sie schließlich, nach einer Kette von Demütigungen, doch noch seiner habhaft wurden, kam es zwar zu einem kurzen Gespräch, doch zu keinerlei Einigung. Der Rest ist bekannt: Der Film (Hauptrollen: Rudolf Forster, Carola Neher, Reinhold Schünzel, Fritz Rasp und Valeska Gert) wurde gedreht, Bertolt Brecht distanzierte sich davon, man verkehrte miteinander nur noch über die Anwälte.

Wer sich das Heim eines Filmregisseurs mit Kinoplakaten und Kinoprogrammen, mit Standphotos und Starphotos tapeziert vorstellt, liegt zumindest im Fall Pabst falsch: Das vornehme Appartement im fünften Stock eines großen Nachkriegs-Miethauses am Wiener Schottenring, in dem G. W. Pabst seinen Lebensabend verbracht hat und seine Witwe den ihren verbringt, könnte ebensogut die Wohnung eines höheren Ministerialbeamten, eines

Rechtsanwalts, eines Gelehrten sein. Gertrud Pabst, eine Dame von nobler Erscheinung und vollendetem Auftreten, hat nichts von jener Flapsigkeit an sich, die der Außenstehende so gern mit dem Filmbetrieb identifiziert. Dabei stand sie, solange ihr Mann tätig war, in diesem Filmbetrieb stets mittendrin: las die eingereichten Manuskripte, ging, sobald die Besetzungsliste für ein neues Projekt feststand, mit den Schauspielern in den großen Modehäusern die Kostüme aussuchen, assistierte ihrem Mann im Studio beim Ausmustern der Szenen, beriet ihn in Fragen der Musik. Und selbst wo ihr Wirken unsichtbar blieb, schöpfte er noch aus ihr Kraft: aus der großen inneren Ruhe, die von dieser ungewöhnlichen Frau ausstrahlt.

Aus Dietmar Griesers neuem Buch „In Deinem Sinne — Begegnungen mit Künstlerwit-wen”, das demnächst im Verlag Langen-Mül-ler, München, erscheint.

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