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Mit dem letzten Atemzug

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Ein Verlust für die Geistesgeschichte? Eine Tragödie? Da Albert Einstein stirbt, deutet er durch heftige Bewegungen an, daß er noch etwas sagen will. Doch er kann nur noch flüstern. Begierig, seine letzten Worte zu hören, beugen sich alle Umstehenden über ihn. Aber der Sterbende ist in seine Muttersprache heimgekehrt - und in der amerikanischen Umgebung, in der er stirbt, versteht kein Mensch ■

deutsch. War es eine letzte Erkenntnis, die der große Gelehrte seiner Mitwelt noch mitteilen wollte, oder bloß ein Hinweis, wo man sein Testament finden könne? Die Nachwelt jedenfalls pflegt letzten Worten eine gewisse Bedeutung zuzumessen, aber wer sprach sie schon in dem Bewußtsein, daß es seine letzten sein würden?

Ein zum Tod Verurteilter genießt hier einen gewissen Vorteil. Ob Revolutionäre unter dem Galgen rufen: „Es lebe die Freiheit!“ oder Claus Schenk Graf von Staufenberg im Hofe der Wehrmachtszentrale Bendlerstraße in Berlin „Es lebe das heilige Deutschland!“ — auch eine noch so überschwengliche Formel wird durch die Situation heraufgehoben in einen wahrhaft tödlichen Ernst, glaubwürdig und achtenswert. Manchmal nützt einer auch die Gelegenheit, sein letztes Wort genauer vorzubereiten und gibt dann weniger ein Vermächtnis als eine Bilanz. „Ich habe Großes gewollt und wenig erreicht; der Sturm der Zeit ging über mich hinweg.“ Also Draza Mihailovi6, Titos Gegenspieler während des Zweiten Weltkrieges, auf dem Weg zur Richtstätte.

„Gib mir deine kleine Pfote!“ Dies, zu seiner Schwiegertochter gesagt, und nicht etwa „Mehr Licht!“ sind Goethes letzte Worte, ehe man bemerkt, daß seine Finger sich verfärben und seine Augen bereits gebrochen sind. „Friedrich, mach doch den zweiten Fensterladen auf, daß mehr Licht hereinkommt!“ hat er bereits geraume Zeit vorher zu seinem Kammerdiener gesagt. Die Stilisierung dieses doch etwas alltäglichen Befehls zu einem programmatischen Anruf an die Nachwelt ist Goethes Sekretär Friedrich Wilhelm Riemer zuzuschreiben.

Aber muß man es so genau nehmen? Schillers letztes Wort ist eine Sübe: „Neph...“, denn das ganze Wort „Nephta“ kann er nicht mehr aussprechen. Auch hat er Stellen aus dem unvollendeten „Demetrius“ zitiert und in Fieberphantasien eine Schlacht erlebt: „Wer löste die Kanonen? ... Die Kettenkugeln reißen ganze — Glieder nieder!... Sind sie im Lager? Singt noch einmal den Rundgesang!“ Aber vorher ist er zweimal aus seinem Fieberschlaf kurz erwacht und hat das erste Mal lächelnd gefragt: „Ist das eure Hölle? Ist das euer Himmel?“ Und das zweite Mal auf die offenbar noch begriffene Frage nach seinem Befinden: „Immer besser ... immer heiterer!“

Ähnlich klingt Joseph Haydns letztes Wort: „Kinder, seid's doch getröstet, mir geht's gut.“ Stunden später - er lag ganz still und wartete auf die Erlösung — noch ein Händedruck für seine Köchin Nannerl, dann dreht er den Kopf zur Seite und schläft ein.

Schmerzlicher, härter sterben jene, die sich gegen den Tod auflehnen. Im vollen Bewußtsein, welches Genie mit ihm dahingeht, schreit Arthur Rimbaud seine Schwester an, die ihn bis zuletzt aufopfernd pflegt: „Du wirst leben, und ich muß sterben!“ Auf seinem letzten Krankenlager erhält Friedrich Hebbel die Nachricht, er habe für seine „Nibelungen“ den Schillerpreis erhalten. „Oh Gott, wie gern lebe ich doch!“ ist seine Antwort. Tagelang macht er Pläne, zu neuen Werken, für weite Reisen. An seinem letzten Tag fragt er den Arzt: „Wann wird mir besser?“ Der Arzt antwortet: „Morgen.“ Und Hebbel wiederholt: „Also gut, morgen!“ Es ist das letzte, was er sagt. „Leben, leben, um jeden Preis leben, gleich unter welchen Umständen es ist!“ So E.T.A. Hoff mann. Aber er stirbt wochenlang unter furchtbaren Qualen. Erst an seinem letzten Morgen erklärt er: „Ich fühle mich heute so wohl, ich will heute abend wieder diktieren.“ Zwei Stunden später ist er tot.

Immanuel Kant läßt sich in einer Nacht zwanzigmal durch alle Zimmer seines Hauses führen, ohne zu wissen, was er will. Plötzlich sagt er die Analogien Keplers her. Seinen letzten Besuch empfängt er stehend, wobei er flüstert: „Das Gefühl für Humanität hat mich noch nicht verlassen.“ Das wäre ein schönes letztes Wort; diese aber sind verwirrter:

„Viel Posten... beschwerliche Posten...“

Kant, durch die Zimmer seines Hauses schweifend, erinnert an einen anderen Sterbenden: Kardinal Jules Mazarin, zeitlebens ein großer Sammler, hat sein Haus mit Kostbarkeiten angefüllt. Da er nun weiß, es geht ans Sterben, schleppt er sich durch alle Räume, tastet an Teppiche kostbares Porzellan, Gold, ein ums anderemal flüsternd: „Und alles das muß ich verlassen, alles das muß ich verlassen.“

Richard Wagner bewegt nur die flüchtige Sorge um seine Uhr. Da man ihn entkleidet, um ihn zu Bett zu bringen, ist sie zu Boden gefallen, und er will seine Helfer drauf aufmerksam machen. So bleibt: „Die Uhr...“ sein letztes Wort.

Beethoven, zwei Tage, nachdem er um die Sterbesakramente gebeten hat, bekommt von seinem Verleger zwei Flaschen Rheinwein, die ihm der Diener ans Bett bringt. Und er sagt sein letztes Wort: „Schade! Zu spät...“ Zu spät oder doch nicht? — scheint auch für Johann Sebastian Bach manches gekommen zu sein. Er diktiert noch die ersten Verse für einen neuen Choral: „Wenn wir in höchster Not sein...“ Mitten im Satz bricht er ab und schließt mit einem nicht dazu passenden Wort: „Vor Gottes Thron tret ich hiemit.“

Manche Worte sind wahr, obgleich sie schön sind.

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