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Mit der Axt
Michail Gorbatschow kann den Friedensnobelpreis nicht persönlich entgegennehmen: Die Drohungen der Militärs gegen ihn werden immer deutlicher. In Laibach herrscht höchste Alarmbereitschaft, denn die Armee hat durch den Verteidigungsminister, General Veljko Kadijevic, ganz offen ein Eingreifen angekündigt, falls sich Slowenien vom Gesamtstaat abspalten sollte. Auch in Serbien ist die Situation nach den Wahlen labil und gespannt. In Rumänien spitzt sich die Lage immer mehr zu...
Das sind nur einige Meldungen der letzten Tage. Demgegenüber könnte die klare Entscheidung der Polen für Lech Walesa als Präsident fast ein Hoffnungsschimmer sein - vor allem nach dem abenteuerlichen Erfolg des Außenseiters Stanislaw Tyminski im ersten Wahlgang. Hoffentlich trügt der Schein nicht. Auch die Polen ringen noch immer um einen Übergang zur Demokratie. Walesa hat bei dieser Wahl davon profitiert, daß die von ihm selbst gespaltene Solidar-nosc sich gegen den gemeinsamen fragwürdigen Unbekannten noch einmal einte. Der charismatische Arbeiterführer hat mit den Schlagworten „Beschleunigung" und „Pluralismus" bewußt auf eine Polarisierung hingearbeitet; seinen einstigen Beratern, wie Mazo-wiecki, warf er vor, ein „neues Monopol" anzustreben.
Aber ist das wirklich die Grenzlinie: Das was Walesa unter Pluralismus versteht und das angebliche Monopol-derjenigen, die einen möglichst kontinuierlichen Übergang anstreben? Bronislaw Geremek, auch ein einstiger Mitarbeiter Walesas, meint, daß die trennende Unterscheidung in Wahrheit zwischen parlamentarischer Demokratie und außerparlamentarischem Populismus liege, während Adam Michnik, Chefredakteur der Solidarnosc- Zeitung „Gazeta Wyborcza", der auch auf Distanz zu Walesa gegangen ist, den Konflikt im Gegensatz zwischen „Europäern " und „Nationalisten" sieht.
Geremek hat im Sommer in Wien bei einer Tagung des „Instituts für die Wissenschaft vom Menschen" das Dilemma der Demokratisierung klar skizziert: Eine starke Staatsmacht mit außerordentlichen Vollmachten, die aber Züge einer Diktatur hätte - oder Verbreiterung der demokratischen Basis durch mehr Mitbestimmung.
Lech Walesa hat seine Präferenz in einem Interview deutlich geäußert. Er möchte einen „Präsidenten mit der Axt": „Entschlossen, hart, direkt, der nicht herumpfuscht, der Demokratie nicht in die Quere kommt, aber sofort alle Löcher stopft. Wenn er sieht, daß bestimmte Leute aus der Veränderung des Systems ihren Nutzen ziehen und Beute machen, gibt er einen Erlaß heraus, der so lange gilt, bis das Parlament ein Gesetz erlassen hat. Halb Polen würde ich retten, wenn ich solche Vollmachten hätte..."
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