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Mit der Einfühlungskraft eines Elefanten

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Eins muß man der Regierung Reagan lassen: Füf vollständig neue Rekorde im Nachweis eines Mangels an Einfühlungsvermögen ist sie immer wieder gut.

Kaum in seinem Urlaubsdomizil angelangt, ließ der Präsident der USA verlauten, er habe die Produktion von Neutronenwaffen (Starkstrahlenwaffen) angeordnet.

Das Wesen dieser Waffe besteht (vereinfacht dargestellt) darin, daß sie über nur ein Zehntel der Druck- und Hitzewirkung herkömmlicher Atombomben, dagegen über die doppelte Strahlungskraft verfügt. Diese (rasch verfliegende) Strahlung durchdringt Betonmauern und Panzerwände und tötet die dahinter verborgenen Menschen, oder macht sie zumindest kampfunfähig.

Wenn man diese Waffe gegen Truppenansammlungen, T ruppentransporte und vorrückende Panzerarmeen anwendet, verspricht sie raschen Erfolg.

Gedacht ist sie als Ausgleich für den 3:1-Vorsprung des Warschauer Paktes an gepanzerten Waffen und Rüstungsgütern. Allein bei Panzern ist die USA mit derzeit 11.560 Stück (gegenüber 9100 im Jahr 1976) der Sowjetunion mit ihren knapp 48.000 Tanks (1976 noch 42.000) stark unterlegen.

So gesehen ist die Strahlungswaffe eine Verteidigungs-, und nicht eine Angriffswaffe. Es ist auch billige Demagogie, sie als „Kapitalistenwaffe“ abzukanzeln, weil sie „Menschen zerstört und Gebäude nicht“: Andere Atombomben zerstören halt beide, ohne dadurch „menschlicher“ zu werden.

Trotzdem lastet man dieser Waffe mit Recht ein besonderes Maß an Un-. menschlichkeit an, insofern sie Personen im mittleren Umkreis nicht sofort tötet, sondern zu einem grausam qualvollen Verfallstod verurteilt. Und was den militärischen Wert anlangt, so ist die Abwehr eines Panzerangriffs auch mit präzisionsgesteuerten Geschossen (PGM) erzielbar, die Panzerplatten durchschlagen, ohne auf tödliche Strahlen angewiesen zu sein.

Deshalb gab es gegen diese Pläne der US-Regierung schon vor Jahren heftige Widerstände. Präsident Carter versuchte zuerst, diese bei den Alliierten zu überwinden. Kaum lag aus Bonn ein gequältes Ja vor, gab er aber auf und blies das Vorhaben vorläufig ab. Das verstimmte die Deutschen.

Daß Reagan nun die Verfügung seines Vorgängers umkehrt, verstört die meisten der NATO-Partner nur noch mehr. Die Verwirklichung des NATO- Beschlusses vom Dezember 1979, 572 Marschflugkörper und moderne Pershing-Raketen in Westeuropa zu stationieren, ist durch das Strahlungswaffendekret psychologisch zusätzlich erschwert worden. Der Hinweis, „gegenwärtig“ sei nicht an eine Lagerung der Neutronensprengköpfe außerhalb der USA gedacht, täuscht keinen: Gebraucht werden sie in Europa, nicht in Amerika!

Daß Reagan seinen Entschluß am Jahrestag der Gedenkfeiern zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki - und ohne ein Wort des Bedauerns über den Bombenwahnsinn überhaupt - verlor, suggeriert Elefantensensibilität. So vergrault Washington auch jene vielen Anhänger einer Politik der Festigkeit, die diese nicht mit Kaltschnäuzigkeit verwechselt sehen möchten.

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