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MIT EINEM FUSS IM GEFÄNGNIS

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FURCHE: Der „ Theatersommer in Niederösterreich " wird von Jahr zu Jahr umfangreicher. Fürchten Sie diese Entwicklung?

JÜRGEN WILKE: Je größer die Palette wird, desto besser. Solange es professionelle Künstler sind, die den immer größer werdenden Freizeitraum der Menschen ausfüllen, ist alles in Ordnung.

FURCHE: Ist der „Theatersommer" nicht ein bißchen mit einem Luftballon zu vergleichen, der immer mehr aufgeblasen wird?

WILKE: Es gibt im Land gar nicht mehr so viele Möglichkeiten, Theater zu spielen. Wenn ich bedenke, daß der Theatersommer von sehen des Landes Niederösterreich jährlich 13 Millionen Schilling erhält - Ich will das jetzt gar nicht mit den 80 Millionen Schilling des alle zwei Jahre stattfindenden Donaufestivals vergleichen!

FURCHE: Das Geld scheint ja überhaupt ein großes Problem des Theatersommers zu sein?

WILKE: Sicherlich. Es ist ein spezifisch niederösterreichisches Problem, daß die Relationen einfach nicht stimmen. Es ist oft sehr schwierig, den Wiener Kollegen, die ich für den Sommer engagieren will, klarzumachen, daß wenige Kilometer außerhalb der Bundeshauptstadt ein anderes Denken herrscht. Hier über Kultur, über Qualität in der Kultur zu reden, ohne in politisches Fahrwasser zu geraten, ist praktisch unmöglich. Mir ist schon passiert, daß Gemeinderäte nach einem Theaterbesuch gesagt haben: Uns hat die Vorstellung sehr gut gefallen, aber wir sind die Opposition, wir sind dagegen. Gerade als gelernter Österreicher kann ich sagen: Der Ständestaat ist noch immer fest im Denken der Leute verhaftet. Die einen sind dagegen, weil die anderen dafür sind.

FURCHE: Könnte in diesem Den-

ken auch der Grund zu finden sein, daß Nieder österreich immer noch kein eigenes Landestheater hat?

WILKE: Man kann sich gar nicht vorstellen, daß zwei Orte wie Baden und St. Pölten nicht auf eine für die beiden Stadttheater befriedigende Lösung kommen können. Die zaghaft geäußerte Idee von Vereinigten Bühnen müßte doch schon längst und mit äußerster Kraft vorangetrieben werden.

FURCHE: Und wer trägt die Schuld, daß dies nicht geschieht?

WILKE: Weder die Kollegen noch die Politiker. Die Sachzwänge bilden zu hohe Barrieren, da schafft kaum wer, drüberzuspringen.

FURCHE: Was macht den „Theatersommer" aus?

WILKE: Gerade der Großstädter verbindet einen Theaterbesuch im Sommer mit einem Ausflug auf eine Burg oder einem Heurigenabend. An vielen Spielorten kommen bis zu achtzig Prozent der Besucher aus Wien!

FURCHE: Dank der Gemeindeka-meralistik können Sie und Ihre Kollegen nur jeweils für ein Jahr vorausplanen. Gute Künstler müssen aber schon Jahre voraus gebucht werden. Ist das nicht ein Problem?

WILKE: Wenn ich's scherzhaft formuliere: Mit meinen Planungen und Engagements stehe ich eigentlich mit einem Fuß im Gefängnis. Ich habe ja über das eine Jahr hinaus keinerlei Zusicherung, daß ich das Geld wirklich bekomme. Aber ich muß engagieren, weil ich sonst niemanden habe. Das ist eine bloß-auf Treu und Glauben basierende Vorgangsweise.

FURCHE: Um welche Größenordnungen geht es?

WILKE: In Perchtoldsdorf, wo wir heuer überaus erfolgreich Lessings „Nathan der Weise" mit Romuald Pekny in der Titelrolle gespielt ha-

ben, stehen mir 2,4 Millionen Schilling zur Verfügung, wobei vom Land 1,3 Millionen Schilling kommen und in den 1,1 Millionen Schilling der Gemeinde viele Sachleistungen stekken.

Für Stockerau - bei „Boeing Boeing" mit Alfons Haider gab' s so einen Ansturm, daß wir vier Zusatzvorstellungen einschieben mußten - bekomme ich 1,5 Millionen Schilling vom Land und-noch einmal so viel von der Stadt. In beiden Fällen werden die Ausgaben der Gemeinden beinahe zur Gänze durch die Einnahmen gedeckt werden. In Laxenburg bespiele ich gleich zwei Orte, die Franzensburg heuer mit einer Posse und das Schloßtheater mit Rossini. Dafür habe ich insgesamt 1,8 Millionen Schilling zur Verfügung. Hier bezahlen aber nur die Länder Wien und Niederösterreich als Eigentümer des Schlosses Laxenburg. Die Gemeinde Laxenburg hat kein Geld.

FURCHE: Stockerau bekommt deswegen mehr Geld vom Land als Perchtoldsdorf, weil es länger im „NiederösterreichischenTheatersom-mer" integriert ist. Ist das nicht ein etwas antiquiertes Subventionssystem?

WILKE: Wenn es nach mir ginge, würde ich von jedem Spielort genaue Pläne haben wollen und dementsprechend die Zuwendungen geben. Es ist doch grotesk, daß Melk selbst dann die höchste Subvention bekäme, weil es am längsten im „Theatersommer" integriert ist, auch wenn es bloß ein Zweipersonenstück spielen würde.

FURCHE: Droht dem „Theatersommer" dadurch Gefahr, daß auch in Wien selbst immer mehr los ist?

WILKE: Gefahr für Niederösterreich seh' ich erstmal nicht. In Wien wurde bisher ein großes Potential von Touristen einfach nicht erfaßt.

Das Gespräch mit dem Intendanten der Sommerspiele von Perchtoldsdorf, Stockerau und Laxenburg führte Thomas Jorda.

schlingt auf die Dauer sehr viel Energie und Geld."

Jetzt setzt man im Wurzelhof auf regionale Kultur, wie etwa Lesungen der Waldviertier Schriftstellerin Isolde Kerndl. Solche Veranstaltungen kommen dem nicht sehr experimentierfreudigen Langschlager Publikum entgegen. „Da weiß jeder, was es ist, dann kommen sie."

Selbst aus dem benachbarten Mühlviertel stammend, weiß Veronika Schützenberger, wie heikel es ist, fremde Kultur ins Waldviertel zu verfrachten. „Die Leute kommen sich dann übertölpelt vor, und außerdem steckt da eine unheimliche Arroganz dahinter", meint Schützenberger. Den

Möchtegern-Aussteigern mit ihren romantischen Vorstellungen steht sie sowieso äußerst skeptisch gegenüber. Diese verwechselten nämlich nur allzu oft alternatives Leben mit süßem Nichtstun und damit seien sie absolut auf dem Holzweg.

Künstler aus der Region

Keine Zuwanderer sondern musikbegeisterte Waidhofner haben 1979 den Folk-Club Waidhofen/Thaya gegründet. Dort werden das ganze Jahr hindurch hochkarätige Veranstaltungen organisiert (so kommt zum Beispiel Ende Oktober der norwegische Jazzer Jan Garbarek mit Band nach Waidhofen).

Aber auch der Waidhofner Folk-Club weiß um die Bedeutung regionaler Kultur und läßt deshalb einheimische Musiker nicht zu kurz kommen. Beim alljährlichen Musikfest war heuer ein ganzer Tag für Musiker aus dem Waldviertel reserviert. Die bekanntsten darunter sind wohl „Rooner Meye", einer Gruppe aus Waidhofen, die sich der keltischen Musik verschrieben hat.

Auch das Rahmenprogramm des traditionsreichen Musikfestes ist waldviertlerisch geprägt: Besucher, aus der Umgebung und von weither, können sich dort im Sautrogrennen oder im Gummistiefelschleudern versuchen. So gelingt in geselliger Festatmosphäre etwas, was wohl als das um und auf für gelungene Kulturarbeit zu bezeichnen ist, nämlich eine Synthese zu finden, zwischen einheimischer, gewachsener Kultur und befruchtenden Einflüssen von außen.

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