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Mit einer Handvoll Leben

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Gerade noch rechtzeitig zu den letzten Neuauflagen der Wer- ke Marlen Haushofers kann heuer ihr Gedenkjahr zum 70. Geburts- tag und 20. Todestag begangen wer- den. Das nun wieder zugängliche Gesamtwerk könnte ein Nachden- ken über die literaturwissenschaft- liche Einschätzung dieser Schrift- stellerin bewirken: War Marlen Haushof er eine konservativ-tradi- tionalistische Romanautorin, eine Vorläuferin der Frauenliteratur oder eine weibliche Schriftstelle- rin einer „verrückten Generation"?

Die Geschichte der namenlosen Ich-Erzählerin in Marlen Haus- hofers letztem Roman „Die Man- sarde" mußte bei ihrem Erscheinen 1969 einfach zu kontroversen Kri- tiken führen. Sahen die einen im minutiös verfolgten Alltagsleben einer älteren Hausfrau, die ihre Probleme durch Putzwut zu über- decken versuchte, biederen „Man- sardenschmock", glaubten andere neben der soziologischen Relevanz dieses Frauenschicksals, im Bild des Drachens, welches aus den ver- brannten Briefen der Vergangen- heit sich erhebt, eine weiblich-uto- pische Dimension erkennen zu können.

Marlen Haushofer hatte diesen Roman am Krankenbett verfaßt, konfrontiert mit einer Krebserkran- kung, deren baldigen tödlichen Ausgang sie vorausahnte. Die Schriftstellerin, die von sich aus behauptete, die Literaturkritiken als eigenes Reflexionsmedium igno- rieren zu können („wenn sie schlecht sind, dann schau ich sie weiter gar nicht an und schaue, daß ich sie möglichst geschwind wieder vergesse"), lotet in diesem Roman ein weibliches Seelenleben zwi- schen Selbstaufgabe, Resignation, Einsamkeit durch lebenslange Schockerlebnisse und zaghaftem Ersehen einer neuen Ordnung aus. Neben den polemischen, ve- hementen Rufen nach der politi- schen Dimension des Privaten mußte jedoch - vorerst - Marlen Haushofers müdes, erzählendes Kreisen um den weiblichen Alltag übersehen werden. Die Mecha- nismen der weiblichen Selbstaus- grenzung, Isolation und inneren Emigration, der manchmal sogar selbstzufriedenen Weitabge- wandtheit, konnten in einer Zeit des kollektiven Aufbruchs nicht mitgelesen werden. Der sprachlich konventionelle Erzählstil und die explizite Verweigerung jeglichen experimentellen Charakters in ih- rem Schreiben trieben neben ihrer biederen Lebensführung und der öffentlichen Betonung der Bedeu- tung des Österreichischen in der Literatur die konservativ-traditio- nalistische Kanonisierung ihrer Werke weit voran.

Marlen Haushofer war eine jener Schriftstellerinnen ohne jenes le- gendäre Woolfsche „Zimmer für sich allein". Jung verheiratet, als Mutter zweier Kinder und Mitar- beiterin in der Zahnarztpraxis ih- res Mannes, geriet das Schreiben in der familiären und kleinstädtischen Umgebung in Steyr zu einer enor- men Anstrengung. „Lange Zeit hab' ich am frühen Morgen geschrieben. Da aber mein Alltag als Hausfrau um halb sieben beginnt und ich nicht jünger werde, können Sie sich vor- stellen, daß mein früher Morgen einfach zu früh wurde und ich den ganzen Tag aus dem Gähnen nicht herauskam. Seit ungefähr acht Jahren schreibe ich jetzt von drei bis sechs nachmittags. Seit Jahren nehme ich mir vor, regelmäßig zwei bis drei Seiten am Tag zu schreiben, bis heute ist es mir nicht gelungen", - so selbstironisch Marlen Hausho- fer 1968 in einem FURCHE-Inter- view. Das „Schreiben in der Kü- che" bezeichnet neben dem pro- duktionstechnischen und psychi- schen Aspekt des Schreibens Mar- len Haushofers auch die stete Per- spektivwahl in ihren Texten. Die Metapher des geschlossenen, be- schränkten Raumes ergänzt oder begleitet den Anspruch einer mög- lichst genauen Innen-Schau der Menschen, der Dinge. Erst Mitte der achtziger Jahre konnten durch die inzwischen anerkannten Lite- raturparadigmen wie „Neue Inner- lichkeit" und „Weibliche Subjekti- vität" in „Eine Handvoll Le- ben" (1955), „Die Tapetentür' (1957), „Wir töten Stella" (1958), „Die Wand" (1963), „Die Mansar- de", bei Marlen Haushofer die Ele- mente ihres Vorausdenkens, Vor- wegnehmens, des Durchblickens und Analysierens soziokultureller Aspekte im Leben von Frauen er- kannt, gepriesen und als der Frau- enliteratur vorauseilend eingeglie- dert werden.

„Ich schreibe", so Marlen Haus- hofer zur Identifikation mit ihren Fiktionen, „nie über etwas anderes als über eigene Erfahrung. Alle meine Personen sind Teile von mir, sozusagen abgespaltene Persönlich- keiten, die ich recht gut kenne." Die Lebenserfahrungen der Marlen Haushofer, 1920inFrauenstein/OÖ als Oberförsterstochter geboren, waren zeit- und sozialgeschichtlich auf (Selbst)Beschränkung angelegt: eine kalte Internatsschulzeit bis 1938, während Nationalsozialismus und Krieg wenige Semester eines Universitätsstudiums, bevor sie schnell wieder ihre gerade erwor- benen Freiheiten aufgibt, Kinder bekommt, heiratet, den Haushalt übernimmt. Scheinbar, so schreibt sie in unveröffentlichten Hörspie- len zu ihrem Leben, bestand die Wirklichkeit der Frauen, ihr Über- lebensspiel, in Krisenzeiten in der Betonung des Familienlebens - nicht wissend, daß damit gerade in Friedenszeiten für sie damit der Alltagskrieg weiterging. Marlen Haushofers Schreiben aus der Enge kleinbürgerlicher Verhältnisse gewinnt seine Bedeutung aus einer grundlegenden Gespaltenheit. Ein eigener (selbst)verhindernder Le- benskontext, dem die Autorin mit Nachsicht und Selbstironie gegen- überzustehen scheint, zudem er- kannt als jener ihrer gesamten Nachkriegsschriftstellergenera- tion, bildet den Angelpunkt der literarisch lebbaren fiktiven Frei- heiten. Wie unverständlich dies klingen mag, schreibt Marlen Haus- hofer in „Die Mansarde": „Ich kann einmal Beschlossenes nicht rück- gängig machen. Vielleicht bin ich ein bißchen verrückt und weiß es nur nicht. Es wäre schließlich kein Wunder. Die Verrücktheit, die meine ganze Generation befallen hat, ist die Folge von Ereignissen, denen wir nicht gewachsen waren. Wahrscheinlich gibt es Ereignisse, denen keine Generation gewachsen ist. Komisch und unverständlich müssen wir uns für unsere Kinder ausnehmen. Bis sie eines Tages vielleicht in eine ähnliche Lage kommen und so zurückbleiben werden, wie wir zurückgeblieben sind, unverständlich für alle Au- ßenstehenden." .

Das „unverständliche" Leben der Marlen Haushofer doch ein wenig besser zu verstehen, bietet eine neue Publikation zu ihrem Gedenkjahr: Der Ausstellungskatalog „Marlen Haushofer 1920-1970", erstellt von der Dokumentationsstelle für neu- ere österreichische Literatur in Wien und dem Adalbert-Stifter- Institut in Linz.

Dr. Christine Schmidjell ist Mitarbeiterin an der Dokumentationsstelle für, neuere österrei- chische Literatur und hat die Marlen-Haushofer- Ausstellung samt Katalog zusammengestellt.

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