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Mit eisernem Besen gegen den Terror

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In der Türkei begann vergangene Woche einer der größten Massenprozesse der Nachkriegszeit: Vor einem Militärgericht haben sich der Rechtsextremist Alparslan Türkesch und587 Gesinnungsgenossen zu verantworten, wobei 220 Todesurteile beantragt wurden. Die Justiz-Maschinerie der regierenden Militärs scheint eisern zuzupacken. Warum, schildert dieser Beitrag des Chefredakteurs der türkischen Tageszeitung„ Milliyet".

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In der Türkei begann vergangene Woche einer der größten Massenprozesse der Nachkriegszeit: Vor einem Militärgericht haben sich der Rechtsextremist Alparslan Türkesch und587 Gesinnungsgenossen zu verantworten, wobei 220 Todesurteile beantragt wurden. Die Justiz-Maschinerie der regierenden Militärs scheint eisern zuzupacken. Warum, schildert dieser Beitrag des Chefredakteurs der türkischen Tageszeitung„ Milliyet".

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Die jetzige militärische Führung der Türkei, die außerordentlich 'viel unter dem Terrorismus gelitten hat, glaubt, daß zur Bekämpfung der poli­tischen Gewalt zwei Dinge notwendig sind: Entschlossenheit und Festigkeit, sowie internationale Zusammenar­beit.

Zwei Ereignisse bestärkten sie kürz­lich in dieser Überzeugung: Der Ver- such des türkischen Terroristen Meh­

met Ali Agca, den Papst zu töten und die Entführung eines türkischen Flug­zeugs durch vier Linksextremisten nach dem benachbarten Bulgarien.

Die regierenden Generäle beklag­ten sich unlängst darüber, daß ein Teil der westlichen öffentlichen Meinung nicht einmal ernsthaft versucht habe, die Lage und die Ursachen der militä­rischen Machtübernahme zu verste­hen. ~

Der andere Punkt, auf den die jetzi­ge Führung aufmerksam machen will, ist die internationale Verzweigung des Terrorismus. Die türkische Regierung hat die europäischen Nationen wie­derholt - vor allem Westdeutschland, wo 1,5 Millionen Türken leben - über rechts- und linksextreme Terroristen informiert, die dort Zuflucht gefun­den haben.

Die Türken beklagen sich, daß die Europäer es versäumt haben, in der Verfolgung der Terroristen effektiv zu kooperieren.

Der türkische Staatschef, General Kenan Evren hat seine Verstimmung in seiner Stellungnahme zum Agca’s Attentat gegen den Papst gar nicht verheimlicht. Die türkischen Behör­den sehen jetzt befriedigt die neue Auffassung der westlichen Regierun­gen und der Presse angesichts der po­litischen Gewalt in der Türkei.

Seit der Machtübernahme durch die Militärs wurden die meisten von 40 links- und rechtsextremistischen Terrororganisationen aufgelöst. Fast 23,000 vermutliche Extremisten wur­den im Land verhaftet. Massenpro­zesse laufen gegen Terroristengrup- pen, die in Morde, Bombenangriffe, Raubüberfälle und andere Gewaltak­te verwickelt sind.

Der Todeszoll des Terrorismus vor der militärischen Machtübernahme erreichte ungefähr zwei Dutzend pro Tag. Linke Organisationen (von Pro- Moskau- bis Pro-Albanien-Fraktio­nen) und rechte Ultranationalisten una Rassisten hatten ihre eigenen

„befreite Zonen“ in verschiedenen Teilen des Landes errichtet.

In den Großstädten waren Bank- und Geschäftsüberfälle an der Tages­ordnung, zahlreiche ’ unschuldige Menschen wurden bei Bombenatten­taten und bewaffneten Überfällen ver­letzt, die meisten Universitäten wur­den geschlossen und die Leute hatten Angst, in der Nacht auszugehen.

Jetzt ist das normale Leben zurück­

gekehrt. Geschäfte, Restaurants, Theater und Nachtlokale sind offen und die Menschen haben keine Angst mehr. Mit der Wiederherstellung der Autorität und der Disziplin sank so­gar die Zahl der gewöhnlichen Ver­brechen.

Die Militärbehörden haben Hun­derttausende Waffen beschlagnahmt, von sowjetischen Raketen bis Maschi­nengewehren. Nach Ansicht eines Ge­nerals könnte man mit den beschlag­nahmten Waffen eine ganze Armee ausrüsten. *

Dennoch: Es ist noch ein langer Weg bis zur totalen Ausrottung des Terrors. Ein Beamter der Administra­tion bemerkte: „Wir kontrollieren die Lage zu 80 bis 90 Prozent. Aber es gibt noch untergetauchte Terroristen im Land und andere außerhalb der Türkei. Es gibt noch Gruppen, die ih­re Existenz beweisen möchten. Aber das Rückgrat des Terrorismus wurde in der Türkei gebrochen. Sporadische Aktionen sind verzweifelte Anstren­gungen der übriggebliebenen Terrori­sten.“

Die Machtübernahme durch die Militärs hat zweifellos politische Ein-'' Schränkungen mit sich gebracht: poli­tische Aktivitäten sind unterbunden, Streiks verboten, öffentliche Ver­sammlungen und Demonstrationen nicht erlaubt. Die Presse hingegen un­terliegt keiner Zensur, wenngleich sie eine gewisse Selbstkontrolle ausübt.

Menschenrechts-Aktivisten bean­standen die Ausdehnung der Haftpe­rioden und Folterungen während der Untersuchungshaft. Dies ist zweifel­los der Preis dafür, den die türkische Nation für die Restaurierung des Rechts und der Ordnung nach Jahren der Unruhe und der Beinahe-Anar- chie zu zahlen hat!

Die Hoffnung besteht, daß die Übergangsperiode kurz sein wird und' die Türkei spätestens 1983 - wie ver­sprochen - zur Demokratie zurück­kehren wird.

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