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Digital In Arbeit

Mit energischer Herzlichkeit

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„Mit zwölf Jahren habe ich mein erstes Gedicht geschrieben. Von diesem Augenblick an wußte ich, daß ich Dichterin werden wollte.“ Ich glaube es ihr aufs Wort. Denn Jeannie Ebners Wort ist getragen von dem unbedingten Anspruch nach Wahrhaftigkeit. Sie hat keine Starallüren. Sie macht sich und der Welt nichts vor. Sie wollte eine Dichterin werden, und sie ist es geworden. Allen Schwierigkeiten zum Trotz, alle Hindernisse überwindend.

Wir sitzen in dem kleinen Redaktionsraum im Palais Palffy, der zehn Jahre lang ihr literarisches Hauptquartier war. Seit 1968 hat sie hier mit unermüdlichem Eifer und Idealismus dafür gesorgt, daß die Zeitschrift „Literatur und Kritik“ erscheine. Jetzt hat sie genug. Die redaktionelle Arbeit hat sie buchstäblich aufgefressen. Ans Romanschreiben war nicht zu denken. „Wenn ich einmal eine Viertelstunde Zeit hab'“, gestand sie einmal, „schreib' ich ein Gedicht. Wenn ich einmal einen halben Tag frei hab', schreib' ich eine Geschichte. Und mehr freie Zeit hab' ich nicht.“ Das wird mit Beginn des nächsten Jahres anders werden. Jeannie Ebner wird dann wieder vornehmlich Dichterin sein. Und vielleicht wird sie einen neuen Roman schreiben („Vier halbfertige Romane hab' ich in der Schreibtischlade liegen.“).

Als sie zwölf Jahre alt war, lebte sie schon in Wiener Neustadt. Bald nach ihrer Geburt- am 17. November 1918 in Sidney - war sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach östereich gekommen. Da in der Familie Ebner Wert darauf gelegt wurde, die Kinder zweisprachig zu erziehen, blieb ihr auch das Reich der „zauberhaften englischen Kinderbücher“ nicht verschlossen; in späteren Jahren befähigten sie ihre Sprachkenntnisse, zahlreiche Ubersetzungen aus dem Englischen zu verfassen.

Mit 15 1/2 Jahren wird sie Büroangestellte, mit 21 leitet sie eine eigene Speditionsfirma mit 35 Beschäftigten. Ihre Vitalität, ihre Tatkraft ist enorm. Heute so wie früher. Doch ihre Energie entspringt einem feinsinnigen, empfindsamen Gemüt Sie

„jgt, könnte man sagen, erfüllt von energischer Herzlichkeit.

Und was tut die Dichterin in den Speditionsjahren? Sie schreibt unentwegt; schreibend erlernt sie das Handwerkliche dieses Berufs, schreibend findet sie in der Kunst zu sich selbst.

„Schreiben kann man nur durch Schreiben lernen“, bemerkt sie. „Die ersten fünfhunderte Gedichte habe ich weggeschmissen. Denn die waren von Rilke, nicht von mir.“

1938 begann Jeannie Ebner mit dem Studium der Bildhauerei an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Als das Kriegsende nahte, fuhr sie gemeinsam mit ihrer Mutter auf einem von zwei Rössern gezogenen Wagen nach Tirol. Ein Jahr verbrachten die beiden Frauen in einer Hütte am Kitzbühler Horn. Jeannie Ebner bastelte Puppen, ging auf Schwammerlsuche (so wurde sie eine Pilzexpertin), besorgte den Haushalt, und fand auch noch Zeit, um zu schreiben.

Ihre erste Buchpublikation erschien allerdings erst im Jahre 1952: „Gesang an das Heute“, Gedichte, Geschichten. Seit 1946 wohnt sie in Wien, wo sie bald andere Künstlerkollegen kennelernte. „Wenn es in der Nachkriegszeit auch große materielle Not gab, so waren wir doch glücklich, übermütig, zufrieden.“ Und voll Schaffenskraft. Ausgerüstet mit einem Tintenflascherl, einer Schreibfeder und einem unscheinbaren Heft, saß Jeannie Ebner stundenlang im Kaffehaus und schrieb. Romane und Geschichten. Nun gab es keinen Zweifel mehr: Sie war eine Dichterin geworden.

Es ist spät geworden. Viele Zigarettenstummel liegen im Aschenbecher. Vor dem Fenster steht das kalte Zwielicht eines Herbstabends. „Die Erde ist nur ein Durchgangsstadium“, sagt Jeannie Ebner. „Ich bin ein religiöser Mensch. Wie anders könnte man in dieser Welt einen Sinn finden?“ Und dennoch, nein, deshalb liebt sie das Leben. Eines ihrer letzten Gedichte endet mit dem innigen Bekenntnis: „Die Welt ist unendlich schön.“

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