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Mit Erbschuld schwer beladen

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Bill Clinton ist als Kind in der kleinen Stadt Hope in Arkansas aufgewachsen. Als 42. Präsident der USA will er in vielen Millionen Menschen die Hoffnung wecken, die sehr realen Probleme von ihren Schultern nehmen zu können: „Krankenversorgung, Sozialleistungen und eine Industriepolitik, die nicht länger Arbeitsplätze exportiert." Am 3. November begann für ihn ein „neuer Tag in Amerika".

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Bill Clinton ist als Kind in der kleinen Stadt Hope in Arkansas aufgewachsen. Als 42. Präsident der USA will er in vielen Millionen Menschen die Hoffnung wecken, die sehr realen Probleme von ihren Schultern nehmen zu können: „Krankenversorgung, Sozialleistungen und eine Industriepolitik, die nicht länger Arbeitsplätze exportiert." Am 3. November begann für ihn ein „neuer Tag in Amerika".

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Dieser neue Tag ist bereits jetzt durch lange Schatten internationaler Krisen und innenpolitischer Zeitbomben verdunkelt. Nichtsdestoweniger beginnt mit Bill Clinton eine neue politische und kulturelle Ära besonderer Qualität: Der neue Präsident und sein Vizepräsident AI Gore repräsentieren erstmals eine Generation, die den Zweiten Weltkrieg als das entscheidendste Ereignis der modernen Geschichte ausschließlich aus intellektueller Anschauung kennt. Mehr noch, Clinton war zur Zeit der Kubakrise am Höhepunkt des Kalten Krieges gegen den Kommunismus ein halbwüchsiger Knabe und bekämpfte den Vietnamkrieg, wie Hunderttausende seiner gleichaltrigen Landsleute, mit Demonstrationen auf der Straße. Gore hat als Soldat in Vietnam diesen sinnlosen Krieg am eigenen Leib erlebt. Und Clinton und Gore waren junge Studenten, als der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte.

Mit George Bush findet damit eine Ära bewährter ideologischer und politischer Paradigmen sowie der stabilen Berechenbarkeit politischer Konzepte ihr Ende. Das politische Handlungsmuster der Supermacht Amerika wird nicht mehr allein vom Feindbild Kommunismus bestimmt. Die USA vollziehen im Zuge eines Generationswechsels - wie Clinton immer wieder erklärte - ihre eigene „Wende", nachdem die Ereignisse in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion die politischen Prämissen unwiderruflich geändert haben. Einige Beobachter empfinden diesen Generationswechsel bereits als „Risiko", denken dabei aber weiterhin im großen Horizont einer vergangenen Welt.

Ronald Reagan und George Bush konnten die führende Rolle der USA in der Welt noch durch die stramme republikanische Ideologie des Antikommunismus und die Stärke der militärischen Supermacht definieren, ein Konzept, das in dieser Form nach dem Ende des Kalten Krieges aber nicht mehr gilt.

Bill Clinton verkündet daher eine politische und wirtschaftliche Erneuerung - a time for change. Die große Änderung besteht darin, und das muß der Rest der Welt erst begreifen, daß von nun an für die USA wirtschaftspolitische Fragen gleichzeitig zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen werden. Wenn die USA daher nach innen blicken, soll Europa nicht in Panik geraten und glauben, daß Washington aus seinen Archiven die alten und obsoleten Konzepte des „Isolationismus" ausgraben will.

Im Gegenteil: Für Clinton bestimmt sich die Rolle der USA nicht mehr allein durch militärische, sondern durch wirtschaftliche Stärke. Sein Credo lautet, daß die USA gar nicht anders kann, als Teil eines großen Weltmarktes zu sein, im ständigen Wettbe-werb mit ihren Partnern.

Und Westeuropa sowie Japan haben in den letzten beiden Jahrzehnten ein Vielfaches mehr in den Produktionsbereich, Infrastruktur, Technologie und Ausbildung investiert als die USA. Clintons Formel: Ohne innere wirtschaftliche Stärke und Erneuerung verlieren die USA ihre weltpolitische Rolle. Die „neue Weltordnung" Bill Clintons verdichtet sich, wenn man so will, in einer „wirtschaftlichen und politischen Weltordnung".

Clinton wird in seinem neuen Verständnis von „Wirtschaftspolitik als Außenpolitik" von sehr pragmatischen Bedingungen geleitet sein. Jeder im Export verdiente Dollar ist zur wirtschaftlichen Gesundung notwendig. Gleichzeitig muß er aber den Gordischen Knoten durchschneiden, wie zum Beispiel ein Freihandelsabkommen mit Mexiko möglich sein wird, ohne Millionen Arbeitsplätze an das südliche Billiglohnland zu verlieren. Sein Grundrezept: Ein Ja zu Handelsabkommen wie GATT oder NAFTA-Vertrag mit Kanada und Mexiko, solange die Bedingungen für die USA fair sind und nicht ganze Industriezweige sowie eine irreparable Zahl von Arbeitsplätzen in den USA zerstört werden. Clinton folgt nicht mehr länger der republikanischen Ideologie, daß Freihandelsverträge immer gut sind, was immer sie für das Gemeinwohl der Gesellschaft auch bedeuten.

Und trotzdem setzt diese neue Generation in dieser neuen Ära keinen völligen Neubeginn: Clinton erbt in der US-Außenpolitik von Bush riesige Probleme mit der Explosionskraft von Tretminen: Für die dramatischen Krisen in der Ex-Sowjetunion und in ExJugoslawien, die Unberechenbarkeit in China, die bevorstehenden Hungerkatastrophen in Bosnien und Somalia, das gefährliche Spiel mit dem Feuer im Persischen Golf hinterläßt Bush kein einziges Lösungskonzept. Diese Herausforderungen zwingen Clinton dazu, innerhalb von bewährten außenpolitischen Bündnissen nach Lösungen zu suchen, sprich im UNO-Sicherheitsrat und in der NATO.

Das Besondere der Präsidentschaft Bill Clintons liegt jedoch im Umstand, daß

erstmals seit 1930 sein Erfolg - und die Aussicht einer Wiederwahl im Jahr 1996 -nicht davon abhängt, wen er zum Außenminister, sondern wen es zum Wirtschafts- und Finanzminister bestellt. Clinton wird sowohl außen- als auch innenpolitisch scheitern, sollte es ihm nicht gelingen, innerhalb der beiden nächsten Jahre die Wirtschaft anzukurbeln, neue Arbeitsplätze zu schaffen und das jährliche Haushaltsdefizit zu verringern.

Die durchschnittlichen Amerikaner, von denen 62 von 100 gegen Bush gestimmt haben, wollen eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation erleben, nachdem sie in den vergangenen vier Jahren keinen einzigen Dollar an Steigerung ihres Stundenlohns erfahren konnten. Und die gigantische Last der von Reagan und Bush angehäuften Staatsverschuldung von mehr als vier Trillionen Dollar ist dazu angetan, die gesamte westliche Wirtschaft zu begraben. „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf, stand mit Riesenbuchstaben im Hauptquartier des Clinton-Teams. Wer spricht da noch von den bevorstehenden Zusammenbrüchen Hunderter Banken, die in den nächsten Wochen dem amerikanischen Kapitalmarkt den Atem rauben werden.

So gesehen haben Ronald Reagan und George Bush den Tisch für Bill Clinton bereits abgedeckt, bevor er überhaupt ins Weiße Haus einzieht. Diese neue Generation ist zunächst zum Notstandsmanagement gezwungen und muß dabei recht kreativ sein.

Die Welt kann aber trotz dieser großen Probleme eine neue - und für Menschen mit Ohren für die Katholische Soziallehre vertraute - politische Sprache aus Amerika erwarten: Nach zwölf Jahren konservativer politischer Rhetorik der „Reagan-Revolution", daß die Aufgabe des Staates allein darin bestehe, die Interessen des einzelnen Menschen auf dem magischen Spielplatz namens „Markt" zu ma-ximieren, unabhängig vom Nutzen und Schaden für das Gemeinwohl, versprach Clinton bereits am Wahlabend „ein neues Verständnis für Gemeinschaft" (siehe auch Seite 6).

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