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Mit Glück und dem richtigen Riecher. .

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Die New Yorker Wall Street, das Mekka des internationalen Aktienmarktes, ist weit weg. Aber auch am (noch ruhigen) Wiener Platz gibt es ein buntes Aktienpublikum.

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Die New Yorker Wall Street, das Mekka des internationalen Aktienmarktes, ist weit weg. Aber auch am (noch ruhigen) Wiener Platz gibt es ein buntes Aktienpublikum.

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Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich. Und es beruhigt auch nicht. Im Gegenteil: Es schafft mitunter Unruhe im Sinne des Politikers und Historikers Alexis de Tocqueville. Er schrieb schon vor 150 Jahren auf seiner Reise nach Amerika, beeindruckt vom Sinn für „business” der Amerikaner: „Die Leidenschaft des Geldmachens beherrscht alle anderen Leidenschaften.”

Zwar ankern auch die meisten Europäer nicht im sicheren Hafen ihres Wohlstandes, sondern versuchen, mehr aus ihrem Geld zu machen. Mit einem Unterschied: Von einem Mitteleuropäer — und im speziellen von einem Österreicher—erfährt man eher die intimsten Geheimnisse, als daß er auch nur einen Zipfel seiner Finanzgeheimnisse lüftet.

Diese Erfahrung mußte die FURCHE machen, als sie sich im Zuge des Wiedererwachens der Wiener Börse (FURCHE 10/ 1985) auf die Suche nach einem typischen österreichischen Aktionär machte.

Hierzulande sind es schätzungsweise 100.000 Menschen, die mit dem Risikopapier Aktie Geschäfte machen. Analysiert man dieses Publikum, so gibt es eine Minderheit von Aktienbesitzern, die ihre Papiere meist ererbt haben und sie mehr oder weniger träge im Depot liegen haben, meist, um sie weiterzuvererben. Der Großteil sind Aktionäre, deren Hauptanliegen es ist, eine möglichst hohe Rendite, sprich Gewinn, zu machen. Sie greifen aber aus Zeitgründen auf ihre Bank zurück, die die entsprechenden Kontakte zu den internationalen Aktienmärkten und die technischen Möglichkeiten hat. (Bildschirme als „Fenster” zu den Börseplätzen in aller Welt etc.)

Daß so wenig Österreicher Lust am Spekulieren verspüren, hat verschiedene Ursachen. Vordergründig sicherlich die Struktur des heimischen Marktes. Unsere Wirtschaft weist größtenteils klein- und mittelbetriebliche Strukturen auf, die als Aktiengesellschaften nicht geeignet sind. Es gibt zwar 569 Aktiengeseü-schaften, derzeit notieren aber nur 66 Aktien an der Wiener Börse, ausgegeben von 58 Gesellschaften. Viele dieser Unternehmen haben Großaktionäre—meist sind es die (noch dazu verstaatlichten) Großbanken —, die die Aktien im Festbesitz halten. Der restliche, sogenannte Streubesitz wird dann an der Börse gehandelt.

Eine zusätzliche Erschwernis für den österreichischen Aktienmarkt ist die sogenannte Doppelbesteuerung (siehe Kasten). Zwar hat allein schon die Ankündigung von Finanzminister Franz Vranitzky, steuerliche Erleichterungen für Aktionäre zu schaffen, nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß Wien Ende Jänner zur Uberraschungsbör-se avancierte und auch das Ausland aufmerksam wurde. (Als beispielsweise das US-Wirtschaftsmagazin „Barron's” erfolgreiche Investoren nach ihren Tips für gute Aktienmärkte fragte, wurde im Jänner an erster Stelle Wien genannt.)

Österreichern wird oft eine Sparstrumpfmentalität nachgesagt. Sie haben lieber ihr Sparbuch unterm Kopfkissen als Aktien im Safe. Bei nüchterner Betrachtung der Zahlen ist das nicht von der Hand zu weisen. Derzeit liegen in den österreichischen Banken rund 780 Milliarden Schilling in Form von Sparguthaben.

Die FURCHE fragte einen — eher atypischen - Aktionär nach seinen Motiven, trotzdem mit Aktien zu spekulieren — wenn auch (noch) nicht am Wiener Platz. Herr Kunstmann (Name von der Redaktion geändert — „Sie wissen, die Nachbarn, der Neid und der Fiskus”) besitzt derzeit Aktien im Wert von 350.000 Schüling. Er hat sein Geld vorwiegend am Rohstoffmarkt (Gold, Aluminium, Nickel und Kupfer) in Sydney, Australien, angelegt. Er ist insofern ein atypischer Aktionär, als er mit einer Leidenschaft spekuliert, die andere ins Kasino treibt. Ihm geht es lediglich um den täglichen Nervenkitzel, ob er mit seiner Entscheidung richtig „getippt” hat. Er verfolgt nämlich alle wichtigen Aktienmärkte selbst, liest täglich in- und ausländische Wirtschaftszeitungen, Länderberichte, die Börsenberichte der Banken und erstellt auch selbst sogenannte „chats”. Das sind grafische Darstellungen der Entwicklung des jeweiligen Aktienkurses. Wie bei einer Fieberkurve kann auf zukünftige Entwicklungen geschlossen werden. Anhand dieser Informationen trifft er seine Entscheidungen, die dann der Aktienbetreuer seiner Bank exekutiert.

Seit 15 Jahren betreibt Herr Kunstmann als „Privatier” seine Aktiengeschäfte. Reich ist er dabei nicht geworden („Hätte ich in all den Jahren mein Geld in festverzinslichen Wertpapieren angelegt — der Gewinn wäre ungefähr gleich geblieben”).

Die Aktien als Risikokapital sind also nicht gerade, für knappe Kassen oder als Notgroschen geeignet. Aber man muß auch nicht unbedingt ein „Krösus” sein, um mitzuspekulieren.

So hat beispielsweise der Damenverein im Raiffeisen-Effek-tenklub der Genossenschaftlichen Zentralbank in Wien schon recht beachtliche Gewinne gemacht. Die vifen Damen haben sich vor zwei Jahren zusammengetan und zahlen jeweils 150 Schilling monatlich an Beiträgen ein. Wenn 10.000 Schilling zur Verfügung stehen, wird demokratisch abgestimmt, wo welche Aktie gekauft wird. Heuer wurde das Aktien-Kränzchen mit einem Pokal als erfolgreichste Spekulierer-Gruppe belohnt...

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