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Mit Hälsen wie die Gänse

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„Gestern ist wieder von einem geplanten Umbau des Burgtheaters die Rede gewesen. Nach uns gewordenen Informationen handelt es sich neuerdings um das vor zwei Jahren entstandene Projekt, die Logen zu rekonstruieren.“

Das „Illustrirte Wiener Extrablatt“ vom 2. März 1897 berichtete von diesem Gerücht, das schon lange durch den Blätterwald geisterte und die Wiener Theaterfreunde bewegte.

Seit der Eröffnung des Burgtheaters am 14. Oktober 1888 waren die Klagen über die katastrophale Akustik des Hauses nicht mehr verstummt. Nun endlich, nach neun Jahren, in denen Ämter und Behörden den Umbau ventiliert hatten, schien der Plan seiner Verwirklichung entgegenzugehen.

Die Wiener Presse hatte allerdings den Eindruck, daß man sich nicht aufraffen konnte, den Umbau in Angriff zu nehmen. „Uber Pourparlers (AnmAi. Autors: Fürsprachen) ist die Angelegenheit nicht hinaus gediehen“, drückt sich das „Illustrirte Wiener Extrablatt“ im Bericht vom 2.3.1897 vornehm und zurückhaltend aus.

Ein von den Zeitungen und vom Publikum bereits kurz nach der Einweihung des Hauses angestimmtes Lamento wollte nicht verstummen. Am 27. November 1888 zeigte sich etwa die Gräfin Leo Thun in einem Brief an die Generalintendanz völlig echauffiert:

„Wir waren vorgestern zum ersten Male in der uns zugewiesenen Loge. Zwei Personen sehen sehr gut — aber bei den hohen Preisen ist das doch nicht genug. Da mein Mann bei seinem Alter natürlich den bequemen Platz vor mir haben muß, so sitze ich auf der hohen Bank — jedenfalls ist dieselbe doch für keinen Zuschauer bestimmt — da sieht man absolut nichts als einen ganz kleinen Teil der Bühne der rechten Seite. Ich mußte mich so herausbiegen, daß ich ganz leidend und ermüdet davon wurde.“

Das Publikum sah nichts und hörte nichts oder hörte zuviel. Der Ingenieur Karl Wulles beschwerte sich in einem Brief: „Der Beifall • war null, trotzdem gut gespielt wurde. Wie kann ein Publikum Beifall spenden, wenn es die Schauspieler nicht versteht.“ Der Advokat Adolf Daum meinte in seinem Schreiben dagegen: „Was speziell meine Loge betrifft, so höre ich von derselben aus sogar sehr genau, nicht nur, was die Darsteller, sondern häufig auch, was der Souffleur spricht.“

Besonders schlecht muß es Herrn Hugo Hitschmann ergangen sein. „Für morgen steht mir wieder der Aufenthalt in meiner Folterkammer bevor“, jammert er und berichtet von bitteren Erfahrungen: „Hineingezwängt in die fürchterliche Enge, war der Genuß schon deshalb etwas geringer, er währte aber in dieser gemilderten Form nur insolange, als ein sehr deutlich sprechender Künstler bzw. eine detto Künstlerin auf der Bühne stand, nur solange sich diese links in der Mitte aufhielt, endlich solange es die Muskeln meines Halses vertrugen, in dieser Haltung zu verharren, welche die Hälse im Schnellschritt marschierender Gänse einnehmen.“

In den Zeitungen machte man sich aber nicht nur um die Logen verwöhnter Reicher Sorgen. Im Jahr des Umbaus — 1897 — erhielt die Debatte einen bemerkenswerten sozialkritischen Aspekt. Die „Neue Freie Presse“ notierte am 18. März 1897: „Auch die Radikalkur wäre folglich eine halbe Maßregel, weiter nichts, umso mehr, als sie ja nur zur Rettung von ein paar Logen geplant wird, zu Gunsten also von einigen ohnehin bevorzugten Theaterbesuchern. In seiner Einteilung nach Rängen und Sitzreihen bietet uns ja der Zuschauerraum eines Theaters das getreue Abbild unserer Gesellschaftsgliederung, nur daß das Untere hier zuoberst erscheint. Das gleiche Recht aller, in einem Schauspielhause sehen und hören zu können, wird niemand bestreiten wollen. In dem Prachthause am Franzensring wird es nicht gewährt.“

Endlich, gut Ding braucht Weile, wurde der Umbau beschlossen. Während der gesamten Phase ätzte besonders die politisch-humoristische Wochenschrift „Der Floh“ über die „unfreiwilligen Ferien“ der Burgschauspieler. In einer fiktiven Umfrage unter den Ensemblemitgliedern ließ sie Adolf von Sonnenthal antworten:

„Ich wurde in den letzten Jahren so wenig beschäftigt, daß ich die unfreiwillige Muße kaum stark empfinden werde. Man hat mich im k. k. Hofburgtheater weder gesehen noch gehört, und ich kann ruhig die Zeit abwarten, bis der Zuschauerraum rekonstruiert sein und das p. t. Publikum sehen wird, ob es mich dann zu hören bekommt.“ Und Charlotte Wolter machte sich im „Floh“ Sorgen über die geplante kurzzeitige Ubersiedlung in die Hofoper: „Ich hab nur Angst, daß, wenn in der Hof oper gespielt wird und ich auftreten sollte, man mich für eine Ballettänzerin halten wird.“

Bei der Wiedereröffnung im Herbst 1897 verkleidete „Der Floh“ seine Häme in Verse: „Beseitigt ist die Lyraform/Doch fürchten wir auch heuer/Wird hören man am Franzensring/Trotzdem die alte Leier. Die Rekonstruktion des Saales/Sie hat sich trefflich bewährt/Bei Kainz, da hat man gut gesehen/ Bei Kainz, da hat man gut gehört.“

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