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Mit ihrem Latein und ihrer Kunst am Ende ...

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Wer heute für das AHS-Lehramt studiert, geht einen unsicheren Weg. In den meisten Fächern (besonders Biologie) spürt man heute schon die „ Lehrerschwemme".

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Wer heute für das AHS-Lehramt studiert, geht einen unsicheren Weg. In den meisten Fächern (besonders Biologie) spürt man heute schon die „ Lehrerschwemme".

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Lehrer werden ist nicht schwer, Lehrer sein dagegen sehr! So könnte man (nicht ganz richtig, denn schon ein Lehramtsstudium ist keine Kleinigkeit) in Abwandlung eines alten Satzes sagen. Der Ernst des Lebens beginnt für den ausgebildeten Lehrer wie für den Schüler in der Schule: Bekommt er überhaupt einen Arbeitsplatz? Wie kann er sich im Unterricht durchsetzen?

Alle Lehrer waren Schüler. Jeder, der ein Lehramtsstudium beginnt, weiß daher, was in der Praxis nach diesem Studium auf ihn zukommt, ist ihm doch sein Schülerdasein zum Zeitpunkt der Studienwahl noch in taufrischer Erinnerung.

Gerade beim Lehrberuf, der kein Beruf wie jeder andere ist, sollte man vor Beginn des Studiums gründlichst prüfen, ob man für die damit verbundene Doppelfunktion, „gestalterisch relativ frei arbeitender Pädagoge und weisungsgebundener Beamter" (Zitat aus einer Broschüre der Arbeitsmarktverwaltung), wirklich geeignet ist.

Laut einer Umfrage der Jugendzeitschrift „Ping Pong" (Februar 1984) sagen sogar 92,5 Prozent der Lehrer selbst: „Nicht alle Lehrer sind für ihren Beruf geeignet." Aus dieser Umfrage und einer jüngst veröffentlichten des Wiener Psychologen Karl Koppel (unter 750 Wiener Pflichtschullehrern) geht eindeutig hervor, daß Lehrer oft Angst-, Aggressi-ons- und Unsicherheitsgefühle haben und großer psychischer Belastung ausgesetzt sind.

Die derzeitige Ausbildung reicht nach Ansicht vieler nicht aus. Ein guter Lehrer soll ja nicht nur den Stoff seines Fachgebietes beherrschen, er sollte dieses Wissen auch vermitteln und erzieherisch auf den einzelnen Schüler eingehen können.

Das Lehramt im klassischen Sinn ist jenes an AHS, während für jenes an BHS — mit Ausnahme jener Fächer, die sowohl an AHS als auch an BHS unterrichtet werden — die Berufseignung nicht durch Lehramtsprüfung und Probejahr, sondern durch den Abschluß eines Fachstudiums (z. B. Elektrotechnik, Maschinenbau, kaufmännische Fächer) und anschließende Berufspraxis nachzuweisen ist. An Österreichs BHS werden etwa 700 (!) verschiedene Fächer unterrichtet, die Berufschancen für Junglehrer sind hier — vor allem in einzelnen technischen Disziplinen — noch ungleich besser als im AHS-Bereich.

Dort ist das Fächerangebot (siehe Kasten) und der Studiengang überschaubar. Seit dem Wintersemester 1983/84 muß nach den neuen Studienbestimmungen begonnen werden. Mit wenigen Ausnahmen (Biologie, Religionsund Wirtschaftspädagogik) müssen zwei Fächer kombiniert werden. In jedem Fach müssen zwei Diplomprüfungen abgelegt werden, in einem Fach muß eine Diplomarbeit verfaßt werden. Die meisten dieser Studien fallen unter Geistes- und Naturwissenschaften.

Aussichtsreicher sind derzeit noch die anderen Studien: Religionspädagogik wird an theologischen, Wirtschaftspädagogik an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten gelehrt. Für Bildnerische Erziehung, Musikerziehung und Werkerziehung sind die Kunsthochschulen zuständig.

Allen Lehramtsstudien, ausgenommen Religionspädagogik (10 bis 12 Semester), ist eine Mindestdauer von neun Semestern gemeinsam, in der Praxis dauert das Studium laut Statistik 14,2 Semester. Statt des bisher üblichen Probejahrs nach Ende des Studiums ist nun ein Praxis-Semester während des Studiums vorgesehen, das noch heftig umstritten ist und erstmals in etwa eineinhalb Jahren auf jene zukommt, die 1983/84 nach der neuen Studienordnung beginnen mußten.

Offene Lehrerdienstposten werden in der „Wiener Zeitung" ausgeschrieben, die alljährliche große Ausschreibung erfolgt am 1. Mai. Wer die Voraussetzungen erfüllt (jetzt Studium und Probejahr, später nur Studium), kann sich bei den Landesschulräten bewerben, heuer lief die Frist am 15. Mai ab.

Eine FURCHE-Recherche bei den einzelnen Landesschulräten ergab im wesentlichen nur mehr zwei Bereiche, in denen noch Lehrer gesucht werden: Latein und Kunsterziehung.

Das Resümee ist völlig eindeutig: eine Sättigung des österreichischen AHS-Lehrer-Arbeits-marktes zeichnet sich in allen Bundesländern ab und ist in den meisten Fächern (allen voran Biologie, Chemie, Französisch, Geschichte, aber auch Mathematik, Physik und Deutsch) bereits eingetreten. Schon jetzt sind die Absolventen oft nur vertretungsweise oder mittels Teillehrverpflichtungen unterzubringen. Andere füllen immer länger werdende Wartelisten.

Der in einzelnen Bundesländern noch vorhandene Bedarf bei Latein, Bildnerischer, Musik- und Werkerziehung sowie Turnen dürfte, soweit das absehbar ist, ebenfalls bald gedeckt sein.

Dagegen dürften die im BHS-Bereich freien Posten, vor allem für ausgebildete Diplom-Ingenieure für Elektrotechnik, Maschinenbau, Nachrichtenelektronik und Chemische Betriebstechnik, wie der zuständige Beamte in Oberösterreich vermutet, noch lange zu haben sein.

Wie aus der nebenstehenden Tabelle ersichtlich ist, haben Österreichs Studenten die Lage auch bereits erkannt: Begannen 1975 noch 2820 Maturanten mit einem Lehramtsstudium, so waren es acht Jahre später, trotz durchwegs gestiegener Studentenzahlen, nur mehr 2243. Der Anteil der Lehramtsstudien an allen Studien sank fast auf die Hälfte, von 23,9 auf 12,4 Prozent. Die stärksten Rückgänge gab es bei Biologie, Mathematik und Anglistik, entscheidend verbessern konnte sich nur die Wirtschaftspädagogik.

Wie stehen nun die Chancen für Junglehrer, doch noch zu einem

Arbeitsplatz zu kommen? Welche Maßnahmen werden von den öffentlichen Stellen ergriffen?

Bei der Entscheidung, wer gleich eine Chance bekommt oder auf die Warteliste muß, werden — so die zuständigen Beamten in den Landesschulräten — verschiedene Kriterien herangezogen: zunächst die Leistung des Bewerbers im Studium und Probejahr, seine soziale Situation, seine Bereitschaft, zunächst in einer entlegenen Region zu unterrichten (der Bedarf an Lehrern steigt mit der Entfernung von großen Städten) und schließlich die Dauer seiner bisherigen Wartezeit. Wer nur in der Großstadt unterrichten will, bleibt am ehesten auf der Strecke.

Ministerialrat Wolfgang Zechner vom Unterrichtsministerium erläutert die Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Lage führen sollen oder könnten:

• Ersetzung ungeprüfter durch geprüfte Lehrer, außer in sozialen Härtefällen (d. h. bei ungeprüften Lehrern in vorgerücktem Alter).

• Abbau von Uberstunden: im AHS-Bereich konnten dadurch 1983 1100 Lehrer eingestellt werden, ähnliches soll sich heuer wiederholen, bestimmte Uberstunden sind aber strukturbedingt und werden bleiben.

• Senkung der Klassenschüler-zahlen: obwohl bei vielen Klassen die Schülerzahl schon deutlich unter dem Maximum liegt, könnte diese Maßnahme einige hundert Lehrerposten bringen.

• 35-Stunden-Woche: diese Verringerung der Arbeitszeit um 12,5 Prozent würde natürlich auch : Lehrerposten vermehren.

i Offen bleibt, wie weit einige dieser Maßnahmen finanzierbar sind. Fest steht hingegen, daß auf den natürlichen Abgang nicht zu hoffen ist: Schon jetzt sind 70 Prozent von Österreichs AHS-Leh-rern unter 40 Jahre alt! Während jetzt geburtenstarke Jahrgänge studieren und fertig werden, rük-ken immer schwächere Jahrgänge in AHS und BHS nach.

Wer heute ein Lehramtsstudium beginnt, kann sich keinen sicheren Arbeitsplatz erwarten. Dies könnte im positiven Fall dazu führen, daß nur mehr jene dieses Studium wählen, denen dieser Beruf Freude macht und die sich ihm gewachsen fühlen. In einzelnen Landesschulräten scheint man geradezu froh zu sein, daß man sich jetzt die besten Leute aussuchen kann und „nicht mehr jeden nehmen muß, der kommt".

Angesichts der unsicheren Arbeitsmarktlage in allen Bereichen raten Experten jedenfalls allen, nicht zu verzweifeln und im Zweifelsfall doch ein Studium ihrer Neigung (und sei es das Biologie-Lehramt) zu wählen.

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