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Mit Kunst zur Revolution

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Zwei wesentliche Begriffe der letzten zwanzig Geschichtsjahre Chinas sind seit Hua Kuo Fengs Machtübernahme immer deutlicher zwischen, mitunter auch in den Zeilen der chinesischen Massenmedien aufgetaucht: die „Hundert Blumen“, jene von Mao Tse-tung geweckte Bewegung, die 1957 eine Wiedergewinnung der Intellektuellen zum Ziel hatte und als Liberalisierungsperiode in die Annalen einging (allerdings gefolgt von der Zwangsverschickung jener Persönlichkeiten, die sich mit ihrer Freiheit zu weit vorgewagt hatten), und die „Kulturrevolution“, in deren Verlauf die jugendlichen Roten Garden auf Maos Geheiß zum Stürm auf die Bürokratie ansetzten - was in der Folge zur totalen Anarchie führte, die nur mit Hilfe des Militärs bewältigt werden konnte.

Anzeichen für Ausschreitungen gibt es bereits etliche, offizielle Bestätigungen allerdings nicht. Doch riefen die chinesischen Zeitungen bereits zur „Mäßigung bei der Verfolgung von mutmaßlichen Parteiverrätern“ auf; ein Leitartikel der Pekinger „Ren-ming Re-bao“ verurteilte „Gewalt bei Verfolgung von Rechtsabweichlern und verstoßenen Linksradikalen“, man unterstreicht zwar die Schwere ihrer Fehler, will aber anerkennen, „wenn sie ihre Fehler verbessert haben“.

Das Militär spielte bei Hua Kuo Fengs erfolgreichem Vorgehen gegen die Vierergruppe um Maos Witwe Tschiang Tsching nach einstimmigen Beurteilungen der Beobachter eine wesentliche Rolle - viele berichten von engen Kontakten Hua Kuo Fengs zu den Generälen schon im Sommer. Die Schanghaier Gruppe dagegen stand eher mit der Miliz (also der Polizei) in enger Verbindung, was Radio Nan-chang in der Provinz Kiangsi wörtlich kritisierte: „Sie stellten eine separate Befehlsmacht auf, um die Pflichten der Miliz zu dirigieren.“

Auch die jüngste Aufforderung, „keine Kampftruppen nach dem Modell der Kulturrevolution“ zu bilden, entbehrt sicherlich nicht konkreter Anlässe.

Gleichzeitig wird versucht, den Gegensatz zwischen Mao Tse-tung und der Vierergruppe in ihrer Einschätzung der Gewaltanwendung zu unterstreichen. Tschiang Tsching und ihre Anhänger seien demzufolge immer für Kampf und Gewalt eingetreten, während Mao Tse-tung lieber durch Uberreden und andere friedliche Methoden die proletarische Revolution vorantreiben wollte. Dieser Kampagne gegen Gewalt entsprechend werden auch nur Anti-Gewalt-Parolen Mao Tse-tungs zitiert (obwohl man das genaue Gegenteil ebenfalls ohne allzu große Mühe aus seinen Worten herauslesen könnte). Mehr noch: Radio Peking kündigte Mitte November an: „Ein Frühling für vielfarbige sozialistische Literatur wird bald kommen.“

Offiziell also soll China keineswegs in Richtung „Kulturrevolution“, sprich Kampf mit Waffengewalt gegen Abweichler, steuern, man hofft vielmehr auf eine Erneuerung jener Zeiten, als Mao forderte: „Laßt hundert Blumen blühen und hundert Denkschulen wetteifern.“

Tschiang Tsching und ihre Anhänger, derzeit das Feindbild schlechthin, soll ihrer bisherigen Ehren im kulturellen Bereich verlustig gehen. Hatte man früher immer ihre wesentliche Rolle etwa bei der Neuorientierung der Peking-Oper unterstrichen, so versucht man jetzt, ihren Einfluß kleiner zu zeichnen. Parallel dazu tauchen etliche Werke wieder auf, die seit Jahren auf dem (von Tschiang Tsching wesentlich gesteuerten) Index standen -vor allem in Literatur, Theater, Film.

Die Meldung von neuen Filmen in China mag für den Europäer nicht aufregend klingen - man muß sich jedoch die Situation vergegenwärtigen, in der sich die Literatur, ja überhaupt die Kunst in China seit der Revolution befindet. Die Ideologisierung findet zu einem sehr großen Teil via Kunst statt; es gab in den letzten Jahren nur acht bewilligte Ballettopern (eine davon konnte man vor kurzem in Wien gu-stieren, das „Rote Frauenbataillon“), die nicht nur in jeder Provinzstadt die Theaterzettel bestritten, sondern via Film und Fernsehen auch die Daheimgebliebenen jederzeit erreichten; dazu wurden ihre Inhalte laufend in Massenmedien und Sitzungen bis ins kleinste Detail besprochen, i

Die Debatten um die Neueinstufung diverser Kunstwerke (wenn man sie als solche bezeichnen will) können auf Grund dieses unerhörten Bekannt-heitsgrades mit an Unverständlichkeit grenzender Subtilität geführt werden. Ren-ming Re-bao etwa kommentierte seitenweise den Film „Pioniere“ mit der expliziten Aufforderung, die Rezension aufmerksam zu lesen. „Sein Verdienst liegt in der Subtilität; solche Artikel entsprechen dem Bedarf der Leser, aber auch den Erfordernissen des jetzigen Kampfes.“

Der Film zeigt Tschu Ting-shan, einen Arbeiter der Muster-Produktionsbrigade Tatsching, und seinen „heroischen Kampf um die ölförde-rung. Im Vorjahr gab es Meinungsverschiedenheiten, und die Tschiang-Tsching-Gruppe stellte schließlich einen Katalog von zehn kapitalen Fehlern dieses Films auf - Mao selbst sah keinen „kapitalen Fehler“. Heute macht man aus dieser Vorjahrsdebatte einen Vorwand, um seitenlang den Machthunger der Vierergruppe zu beweisen.

Auch Lu Hsün, der „chinesische Gorki“, liefert Munition für die allgegenwärtige Kulturkampagne, ja sogar das ein halbes Jahrtausend alte Werk „Die Räuber vom Liang-Schan-Moor“ wird (zum wievielten Mal in seiner Geschichte) umfunktioniert zum Studium des Kapitulantentums der Shanghai-Gruppe; auch an ihm werden ideologische Differenzen demonstriert, die „Kulturtyrannen“ entlarvt.

Während laut Augenzeugenberichten die Arbeit am Mao-Mausoleum bereits konkrete Erfolge zeigt, ist man dabei, für das Volk auch neue Identifikationssubjekte vorzuführen. Da gibt es einmal die Bestrebung, die weibliche Leitfigur der Tschiang Tsching zu verdrängen - zu diesem Zweck zieht man die greise Witwe Sun Yat-sens wieder ans Licht“ der Öffentlichkeit, gibt der Witwe Tschu En-lais ungewohnte politische Ehren, läßt sogar die längst gestorbene frühere Frau Mao Tse-tungs wieder geistig auferstehen.

Und Hua Kuo Feng? Nachdem zunächst seine Legitimation durch Mao Tse-Tung vorrangiges Thema der Massenmedien war, erhält er jetzt langsam auch Fleisch und Blut. Etwa in einem rührenden Bericht: am 23. November besuchte er höchstpersönlich die 160. Mittelschule von Peking, um an einem Elterntreffen teüzuneh-men, und erklärte dort, daß seine jüngste Tochter Hsiao Li so wie alle anderen Schüler auch zur Arbeit aufs Land gehen werde. Das Bild des menschennahen Führers also, der nicht den Rangunterschied betont, sondern seine Bescheidenheit.

Sichtlich auf allen Linien der Versuch, mit Hilfe von Ideologie und Überredung die neuen Machthaber zu stärken. Die Erfolge auf diesem Gebiet wiegen um so schwerer, als die Shanghai-Gruppe vor allem die Massenmedien, von der Wandzeitung angefangen, als ihre Hausmacht betrachten konnte.

Ob sich diese Methode als probates Mittel erweisen wird, um den drohenden Waffengang um die Macht zu verhindern?

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