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Mit Lucas Cranach...

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Die DDR beginnt, in Lateinamerika eine Rolle zu spielen. Sie unterhält jetzt diplomatische Beziehungen zu acht Staaten (nach dem Sturz Allendes hat sie die Beziehungen zu Chile ihrerseits abgebrochen). Zum erstenmal hat Brasilien offiziell an der Leipziger Messe teilgenommen und ein DDR-Botschafter, Dr. Günter Blum, eine Pressekonferenz in Buenos Aires abgehalten. Eine Lucas-Cranach-Ausstel-lung in der argentinischen Hauptstadt und ein Künstleraustausch kennzeichnen den Auftakt zu normalen Beziehungen. Aber die DDR kann vorläufig weder in Brasilien noch in Argentinien mit der Bundesrepublik konkurrieren. Sie steht — durch die späte Aufnahme der diplomatischen Beziehungen — noch am Anfang einer Entwicklung, die von den anderen Ostblockstaaten seit Jahren angestrebt wird.

Ihren Höhepunkt bilden die Abkommen, die der argentinische Wirtschaftsminister Dr. Jose Gelbard soeben in Moskau unterzeichnet hat. Er reiste in Begleitung führender Politiker, 45 Industrieller, 3 prominenter Generale und zahlreicher Journalisten in die sowjetische Hauptstadt, verhandelte mit Podgorny, Kossygin und Breschnjew, und dekorierte sie mit den höchsten argentinischen Orden. Peröns Besuch in Moskau wurde für Oktober angekündigt. In den wechselseitigen Grußadressen sprach man von einem „historischen Ereignis“.

Tatsächlich hat sich die Position Argentiniens über Nacht in einer ähnlichen Weise verwandelt wie dies mit der Position der USA durch Nixons Besuch in Peking geschehen ist

Nun ist es gewiß von großer Bedeutung, daß Argentinien einen Kredit von 600 Millionen Dollar erhalten hat und 100.000 Tonnen Fleisch und Reis, aber auch Industrieprodukte, verkaufen kann. Aber weit wichtiger ist, daß die Sowjetunion die Industrialisierung Argentiniens auf dem Gebiet der Fleischproduktion, der Petrochemie, der Medikamente, Land-, Wasser-, Lufttransporte und des Fernmeldewesens finanzieren und organisieren wird. Die grundlegende Veränderung, wie sie sonst nur in den Beziehungen zwischen Moskau und Havanna zu beobachten war, besteht darin, daß die Sowjetunion zum Partner Argentiniens mit gemeinsamer Planung auf 10 bis 20 Jahre beim Aufbau der gesamten Energie-Produktion — Elektrizität, Gas, Petroleum und Kohle — wurde. Auch auf dem Gebiet der Schwerindustrie sind Beteiligungen vorgesehen. Die argentinische Fluggesellschaft „Aerolineas Argentinas“ und die sowjetische „Aeroflot“ werden den direkten Flugdienst zwischen Buenos Aires und Moskau einrichten.

Diese intensive Zusammenarbeit bedeutet einen völligen Wechsel in der lateinamerikanischen Orientierung. Während die nordamerikanischen Ingenieure und Geschäftsleute wegen der Entführungswelle in Scharen Buenos Aires verlassen, bereiten sich die sowjetischen auf den Einzug vor. Die Beteiligung der Sowjetunion an fast allen wichtigen öffentlichen Projekten hat zur Voraussetzung und zur Folge, daß sich Argentinien unter den Einfluß der sowjetischen Technologie begibt, die weitgehend die nordamerikanische und westdeutsche ersetzen dürfte. Die Abkommen mit Polen über den Ausbau der Fischereiwirtschaft unc. der Kohlenerzeugung, mit der Tschechoslowakei, die eine Skoda-Filiale einrichten wird und mit Rumänien ergänzen das Bild der Ostblock-Expansion nach Argentinien. Dadurch, daß die Sowjetunion Kraftwerke errichtet, stößt sie bis zum neuralgischen Punkt der lateinamerikanischen Industrialisierung vor.

Dieselbe Entwicklung kann man in Brasilien beobachten. Die Sowjetunion ist schon vor zwei Jahren durch politische Zwischenfälle mit dem Angebot, das größte Wasserkraftwerk der Welt, den hydroelektrischen Komplex Urubupunga, zu konstruieren, gescheitert. Der Lateinamerika-Referent des sowjetischen Außenamtes, Dimitrij Zukow, der sein Land bei der Regierungsübernahme des neuen Präsidenten Erne-sto Geisel vertrat, hat jetzt — anscheinend unter günstigeren Umständen — bei dem inzwischen veränderten internationalen Klima dieses Angebot wiederholt Aber es kann keine Rede davon sein, daß Moskau in Brasilien, wie in Argentinien, eine für Lateinamerika spektakuläre Schlüsselstellung erobert

Die Rolle Pekings bei der Auseinandersetzung um den lateinamerikanischen Markt ergibt sich aus dem weltpolitischen Gegensatz zu Moskau. In einem ungewöhnlich aggressiven Bericht der offiziellen chinesischen Zeitschrift „Peking informiert“, erklärt man, daß „der revisionistische Sozial-Imperialismus in Lateinamerika eindringt“. Während die anderen Ostblockstaaten die Beziehungen zum chilenischen Militärregime des Generals Pinochet abgebrochen haben, hat ihm ein neuer chinesischer Botschafter gerade sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Mit Argentinien hat Rotchina ein auf drei Jahre befristetes Handelsabkommen geschlossen, demzufolge es jährlich bis zu einer Million Tonnen Getreide kauft. Zum erstenmal ist eine offizielle Mission aus Brasilien nach Peking unterwegs. Man erwartet — nach längeren Verhandlungen — die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, wie sie Argentinien übrigens seit Beginn des neuen peronistischen Regimes unterhält.

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