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Mit Milchzähnen zubeißen

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Das umfassende Sicherheitskonzept der KSZE greift nicht. Trotzdem glaubt Wilhelm Höynck an die Zukunft dieser Institution.

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Das umfassende Sicherheitskonzept der KSZE greift nicht. Trotzdem glaubt Wilhelm Höynck an die Zukunft dieser Institution.

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Die Adresse ist nobel. Am feudalen Wiener Kärnterring hat die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ihr neues Hauptquartier bezogen. Deren frischgebackener Generalsekre-tär,Wilhelm Höynck, soll die ins Hintertreffen geratene Institution wieder auf Vordermann trimmen

Einfach wird diese Aufgabe für den 59jährigen Deutschen nicht. Neben einem Durch-und Nebeneinander von Foren und Gremien, das zu entwirren ist, bläst Höynck auch politisch der Wind ins Gesicht. Hinter den Kulissen wird ein Gespräch des US-Außenministers Warr^n Christopher mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl kolportiert, in dem beide Seiten ihr Desinteresse an der Konferenz klargemacht hätten.„Das kann ich mir nicht

vorstellen", verweist der Generalsekretär auf anderslautende Erklärungen Kohls. „Und gerade in der Vorstellung der amerikanischen Regierung kommt der KSZE angesichts der Entwicklung im Europa zwischen Vancouver und Wladiwostok große Be-deutung zu." Daß die KSZE, einst Beispiel für Verständigung über Blockgrenzen hinweg, heute noch nicht den Idealzustand erreicht hat, gesteht aber auch er zu.

„Leider ist viel zu wenig bekannt, welche neuen operativen Aktivitäten die KSZE seit 1990 gesetzt hat." Und manchmal sei es einfach wichtig, daß vertraulich gearbeitet werde. Dazu zählt Höynck die „ermutigende" Arbeit des neugeschaffenen Hochkommissars für nationale Minderheiten. So konnte der ehemalige holländische Außenminister Max van der Stoel den estnischen Präsidenten Lennart Meri überzeugen, ein bereits vom Parlament abgesegnetes Staatsangehörigkeitsgesetz nicht in Kraft zu setzen. Die russische Regierung hatte zuvor schön Sanktionen angedroht, weil das Gesetz die 500.000 russischsprachigen Einwohner Estlands „diskriminiert" hätte.

Weniger erfolgreich war die KSZE zuletzt bei ihren

„Langzeitmissionen" in den serbischen Provinzen Kosovo, Sandschak und Vojvodina. Dort flogen die KSZE-Beobachter nach zehn Monaten raus, weil sich die Konferenz weigerte, das suspendierte Best-Jugoslawien wieder in den Kreis der 53 Mitglieder aufzunehmen. Nur das Länderschild weist bei den heutigen Konferenzen noch auf den „Paria" in der Staatengemeinschaft hin.

Während die Jugoslawien-Mission in der Warteschleife hängt, plant man bereits den nächsten Einsatz, diesmal in Nagorny-Karabach. Doch als Voraussetzung für diese Aktion zur Sicherung „eines hoffentlich bald zu vereinbarenden, langfristigen Waffenstillstandes" müssen dort zuerst die Waffen schweigen. Erzwingen kann die KSZE den Waffenstillstand allerdings nicht. Die Konferenz habe weder die Aufgabe noch das Mandat, Zwangsmaßnahmen zu setzen und Frieden zu erzwingen. „Hier gibt es eine strikte Aufgabenteilung zwischen der UNO und der KSZE", stellt Höynck klar. „Wir konzentrieren uns im Bahmen der Konfliktverhütung und des -managements

eindeutig auf die Anwendung von friedlichen Mitteln."

Den Vorwurf, das „riesige Tier" KSZE habe deshalb nur „Milchzähne", weist er zurück. „Man muß wissen, was man will und mit welchen Methoden man arbeiten will. Will man ein Wadenbeißer sein und zuschlagen oder will man mit Methoden arbeiten, die dem Zustand, den wir in Europa Gott sei Dank erreicht haben, entsprechen?" Und im Konflikt im ehemaligen Jugoslawien hätten sich ja Organisationen versucht, die nach Vorstellung der meisten Leute „ausgewachsene Zähne" haben. „Über deren Erfolg brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten", stellt der Karrierediplomat kühl fest.

Daß die KSZE wegen der Vielzahl an Mitgliedern zum unbeweglichen Debattierklub verkommen ist, glaubt Höynck nicht. Die Probleme um das Einstimmigkeitsprinzip seien vielfach „ein Mythos". Es sei auch richtig gewesen, alle Staaten der Ex-Sowjetunion aufzunehmen.

Auch deshalb ist Höynck optimistisch, daß es die KSZE auch in Zukunft geben und sie nicht einfach in den Dornröschenschlaf versetzt werden wird. Europa brauche eine Institution, in der.alle Staaten zwischen Vancouver und

Wladiwostok mitreden können. „Die KSZE mit einem ganz bewußt umfassenden Sicherheitskonzept, das nicht nur die militärische Sicherheit, sondern auch schwergewichtig die menschliche Di-

mension und Grundfragen der wirtschaftlichen Gestaltung behandelt, ist für die Entwicklung einer europäischen Friedensordnung unentbehrlich", plädiert der Generalsekretär für seine KSZE.

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