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Mit Minen am Ende

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Zinn, Zink und verwandte Metalle bildeten mehr als hundert Jahre lang das Rückgrat Boliviens. Jetzt muß Präsident Victor Paz Estenssoro, Vater der nationalistischen Revolution von 1952, sein Land vom unrentabel gewordenen Bergbau wegsteuern.

Ursprünglich - im spanischen Imperium - war Bolivien das Silberland. Als unabhängiger Staat stieß Bolivien auf Zinn und Zink, Metalle, die mit einer ganzen Reihe von Nebenprodukten den Wirtschaftskern der indianischen Hochlandgesellschaft bildeten. Vor 1952 beherrschten einige

„Zinn-Barone“ diesen Produktionszweig. In der nationalistischen Revolution von 1952, das Werk Paz Estenssoros, wurden die Minen verstaatlicht. Seither zeichnet Comibol für Abbau und Export der Zinnmetalle verantwortlich.

In den letzten Jahrzehnten rückten zwar Erdöl und vor allem Erdgas vor, doch Bolivien blieb das klassische Dritte-Welt-Minenland. (Österreich arbeitete dort in den siebziger Jahren an einem seiner ehrgeizigsten Entwicklungshilfe-Projekte. In drei Phasen - Kostenpunkt allein der dritten 20 Millionen Schilling -sollte eine Hauerschule nach Leo-bener Muster errichtet werden. Die Schwierigkeiten, auf die die österreichische Mannschaft unter Gottfried Rainer stieß — etwa der Analphabetismus vieler Kumpel —, konnten zwar mit praktischem Anlernen gelöst, aber die theoretischen Anforderungen nicht erfüllt werden. In der Spannung zwischen Praxis und Modell, zwischen bolivianischen und österreichischen Vorstellungen, schlief das Projekt in den letzten Jahren ein.)

Inzwischen fährt Comibol derartige Verluste ein, daß Bolivien ständig im Bankrott lebt. Verschlimmert wurde die Situation durch den Zusammenbruch der Londoner Zinnbörse im vergangenen Jahr. Heute bringt jedes Pfund Zinn, das Bolivien überhaupt noch ausführt, das Zehnfache (!) des Verkaufspreises als Verlust ein. Comibol allein schuldet mehr als 500 Millionen Dollar, fast das Doppelte des kläglichen Ausfuhrwertes, den Bolivien im heurigen Jahr fertigbringt.

Victor Paz Estenssoro muß deshalb im Rahmen seiner drakonischen Sanierungsversuche auch die Defizite der Comibol anpak-ken. Das Maßnahmenbündel, das seit Sommer stückweise lanciert wird, will Bolivien dem Zinnbergbau entwöhnen und auf gewinnträchtigere Produktionen, wie Gold und Landwirtschaft, im großen Stil und exportorientiert, ansetzen. Das aber bedeutet das Schließen der meisten Minen, das „Kooperativisieren“, wie in Bolivien das Abtreten der Staatsminen an private Kleinstunternehmer heißt.

Die Reduzierung der Minenzahl ist in der jetzigen gespannten Situation bereits eingetreten - ohne Regierungsmaßnahmen: Protestmärsche, Hungerstreiks und Lie-ferstops an den Minen haben diese weitgehend stillgelegt.

Was aber tun mit den 27.000 Comibol-Angestellten, die eine der schlagkräftigsten bolivianischen Gewerkschaften, die FSTMB-Syndikalisten, unterhalten? Comibol soll auf nur zehn- bis zwölftausend Arbeiter und Angestellte abmagern, damit einige wenige profitable Minen und Schmelzen betrieben werden können oder die Verlagerung auf den vielversprechenden Goldbergbau durchgeführt werden kann.

Gesprochen wird von einer einmaligen Abfertigung, damit ein Neubeginn für die Arbeiter möglich ist.

In La Paz wird gerechnet und geplant: Multipliziert man die 20.000 überzähligen Mineure mit fünf, ergibt das 100.000 betroffene Familienangehörige; die Arbeitsfähigen unter ihnen könnte man in den tropischen Provinzen in der Agrarindustrie einsetzen. Aber: Der Staat verfügt nicht über die Mittel, die 1000-Dollar-Abfertigungen pro Kopf, die im Gespräch sind, auszuzahlen; die Hochlandindianer sind das tropische Klima nicht gewöhnt; die Agrarindustrie in der Santa-Cruz-Region hat bereits genug Arbeitskräfte.

Im Minenministerium schätzen die jungen Technokraten denn auch die traurige Situation realistisch ein: Die meisten Minen stehen sowieso still, sie werden wohl kaum wieder den Betrieb aufnehmen; die Hochlandindianer — so sie überhaupt ausgezahlt werden —, können sich einige Zeit über Wasser halten; dann wird die Abwanderung in die Slums von La Paz und in die nordöstlichen Co-ca- und Schmuggelregionen einsetzen.

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