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Mit Moral wirtschaften

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Adam Smith, Begründer der systematischen Ökonomie, war Moralphilosoph. Vor wenigen Jahrzehnten war Ökonomie eine Moralwissenschaft. Sollte sie es heute sein?

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Adam Smith, Begründer der systematischen Ökonomie, war Moralphilosoph. Vor wenigen Jahrzehnten war Ökonomie eine Moralwissenschaft. Sollte sie es heute sein?

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Die Ökonomie als Wissenschaft untersucht in erster Linie die Organisation der Gesellschaft durch Tausch und Transfer von Tauschgütern. Der ökonomische Problembereich selbst bezieht sich dabei im wesentlichen auf die Befriedigung von (potentiell unbegrenzten) Bedürfnissen und Wünschen des Menschen mit knappen (das heißt begrenzten) Tauschgütern und Dienstleistun-

gen. Damit wird der Bezug zur Wohlfahrt des Menschen hergestellt.

Marktmechanismus und Preissystem sollen dabei nach der klassischen Lehre diese Tauschbeziehungen beziehungsweise die Al-lokationen der knappen Ressourcen wie von „unsichtbarer Hand“ steuern. Dadurch sei es schließlich möglich, daß durch eigennützige Handlungsweise aller Individuen eine optimale Lösung für die Gesamtgesellschaft resultiert. Der Ursprung dieses „Prinzips des gleichen Vorteils“ beruht auf dem beständigen Bestreben des Menschen, seine persönliche Unzufriedenheit durch die Ausfüllung des von ihm wahrgenommenen Handlungsspielraumes abzubauen beziehungsweise seine Lage als Individuum gemäß seiner Wünsche und Bedürfnisse zu verbessern.

Als „homo oeconomicus“ handelt der Mensch demnach entsprechend den „ökonomischen Gesetzesmäßigkeiten“ und nicht nach solchen freiwilligen „moralischen“ Handlungen, die den Marktregeln widersprechen. Bedeutet diese Orientierung einen Determinismus, der die Ethik aus der Wirtschaft verbannt und Wertsysteme in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion ausschließt?

Wenn moralische oder ethische Sätze Aussagen über alternative Präferenzordnungen für Men-

sehen sind, so hat sich die Ökonomie schon immer mit normativen Werten auseinandergesetzt. Sie ist auch diejenige Sozialwissenschaft, die am stärksten an der Werttheorie interessiert ist. Man denke nur an die ethischen Beiträge der Verallgemeinerung der Markttheorie auf soziale Tatbestände oder in der Wohlfahrtsökonomie.

Da unser Leben - ökonomisch gesehen — durch die gegenseitige Abhängigkeit der Nutzenfunktionen gekennzeichnet ist, kann nicht behauptet werden, daß die Kosten-Nutzen-Analyse im besonderen und ökonomische Lehrsätze im allgemeinen ausschließlich egoistische Beweggründe unterstellen und die umfassenden Problembereiche der menschlichen Mißgunst, des Wohlwollens und des Gemeinsinns übergehen.

Jede Kultur oder Subkultur wird durch eine Menge von allgemein anerkannten Präferenzen oder gemeinsamen Wertvorstellungen definiert. Ohne diese gemeinsame Basis ist eine ausgedehnte Kommunikation, die eine Subkultur konstituiert und aufrechterhält, nicht möglich. Ein großer Teil dieser menschlichen Präferenzen wird offensichtlich durch das Wirken von Gewohnheiten, Institutionen, sozialen Werten und Normen gelernt und geleitet.

Die Ökonomie als solche trägt nicht viel zum formalen Verständnis dieses menschlichen Lernprozesses bei, obwohl einige philosophisch und ethisch interessierte Ökonomen wie Friedrich August von Hayek hierzu interessante Beiträge geliefert haben.

Was die Ökonomie dazu geleistet hat, ist, daß sie das Endprodukt des Lernprozesses beschreibt, nämlich Präferenzfunktionen, die erlernte Werte zum Inhalt haben, oder Produktionsfunktionen, die Resultat erlernter Techniken sind.

Eine der absonderlichsten Annahmen in der Ökonomie ist deshalb die — wie es Ken-neth Boulding einmal formuliert hat — Doktrin von der „unbefleckten Empfängnis“ der Indifferenzkurve, die besagt, daß Präferenzen oder ökonomische Werturteile einfach nur gegeben sind und sich der Mensch in me-

chanistischer Betrachtungsweise danach orientiert, ökonomische Prozesse wären demnach als von menschlichen Instinkten gelenkter Mechanismus interpretierbar. Die „ökonomische Ethik“ des Kosten-Nutzen-Prinzips beziehungsweise der individuellen Präferenz- und Nutzenfunktionen, wonach bei Entscheidungsalternative die Berechnung aller Kosten und die Bewertung aller Erträge anzustreben sind, ist deshalb nicht selten Gegenstand heftiger Kritik.

Man wendet ein, daß man durch diese Art der Entscheidungsfindung der unermeßlichen Komplexität des menschlichen Lebens nicht gerecht wird. Man muß daher zugestehen, daß es auch eine andere Art der Entscheidungsfindung und Präferenzhaltung gibt, bei der der Entscheidungsträger seine Wahl nicht wegen der zukünftigen Auswirkungen seiner Entscheidung trifft, sondern aufgrund dessen, was er hier und heute „ist“, das heißt aufgrund seines Selbstverständnisses und seiner personalen Identität.

„Geben und nicht nach den Kosten fragen, arbeiten und nicht nach dem Lohn verlangen“ lautet das Gebet des Heiligen Franziskus. Diese „heroische Ethik“, wie sie Boulding einmal bezeichnet hat, wurde von der Ökonomie stets vernachlässigt, die als ökonomisch rational nur zuläßt, was

auch Ertrag bringt. Die gesellschaftliche Legitimation von negativen Gewinnen, das heißt Opfer, wird damit anderen Bereichen zugerechnet, beispielsweise der Religion oder der Politik.

Die Schwäche der vornehmlich ökonomisch erachteten, das heißt auf Tausch ausgerichteten Institutionen, wie etwa die Börse, das Bankensystem oder organisierte Gütermärkte, besteht darin, daß sie — wie Schumpeter einmal aufgezeigt hat - sehr leicht ihre Legitimation einbüßen, wenn sie nicht von anderen Elementen und Institutionen der Gesellschaft getragen werden, die sie als unerläßliche Bestandteile eines umfassenden Gemeinwesens erhalten.

Das bedeutet, daß die menschliche und gesellschaftliche Entwicklung sowohl einer „ökonomischen Ethik“ als auch einer „heroischen“ bedarf. Das Hauptproblem besteht darin, diese beiden Elemente im Gleichgewicht zu halten.

Die Ökonomie als Moralwissenschaft? Sicher nicht im Sinne eines „Moralismus“. Eher als (Sozial-) Wissenschaft mit ethischer Dimension.

Der Autor ist Vorstandsdirektor der Landesverlag G. m. b. H. in Linz.

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